Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.zur Aufgabe machte. Sie war Hysterica, mit grösster Leichtigkeit in Somnambulismus zu versetzen, und als ich dies merkte, entschloss ich mich, das Breuer'sche Verfahren der Ausforschung in der Hypnose bei ihr anzuwenden, das ich aus den Mittheilungen Breuer's über die Heilungsgeschichte seiner ersten Patientin kannte. Es war mein erster Versuch in der Handhabung dieser therapeutischen Methode, ich war noch weit davon entfernt, dieselbe zu beherrschen, und habe in der That die Analyse der Krankheitsymptome weder weit genug getrieben, noch sie genügend planmässig verfolgt. Vielleicht wird es mir am besten gelingen, den Zustand der Kranken und mein ärztliches Vorgehen anschaulich zu machen, wenn ich die Aufzeichnungen wiedergebe, die ich mir in den ersten 3 Wochen der Behandlung allabendlich gemacht habe. Wo mir nachherige Erfahrung ein besseres Verständniss ermöglicht hat, werde ich es in Noten und Zwischenbemerkungen zum Ausdruck bringen: 1. Mai 1889. Ich finde eine noch jugendlich aussehende Frau mit feinen, charakteristisch geschnittenen Gesichtszügen auf dem Divan liegend, eine Lederrolle unter dem Nacken. Ihr Gesicht hat einen gespannten, schmerzhaften Ausdruck, die Augen sind zusammengekniffen, der Blick gesenkt, die Stirne stark gerunzelt, die Nasolabialfalten vertieft. Sie spricht wie mühselig, mit leiser Stimme, gelegentlich durch spastische Sprachstockung bis zum Stottern unterbrochen. Dabei hält sie die Finger in einander verschränkt, die eine unaufhörliche Athetoseartige Unruhe zeigen. Häufige tickartige Zuckungen im Gesicht und an den Halsmuskeln, wobei einzelne, besonders der r. Sternocleidomastoideus plastisch vorspringen. Ferner unterbricht sie sich häufig in der Rede, um ein eigenthümliches Schnalzen hervorzubringen, das ich nicht nachahmen kann.1 Was sie spricht, ist durchaus zusammenhängend und bezeugt offenbar eine nicht gewöhnliche Bildung und Intelligenz. Umso befremdender ist es, dass sie alle paar Minuten plötzlich abbricht, das Gesicht zum Ausdruck des Grausens und Ekels verzieht, die Hand mit gespreizten und gekrümmten Fingern gegen mich ausstreckt und dabei mit veränderter, angsterfüllter Stimme die Worte ruft: "Seien Sie still, - reden Sie nichts, - rühren Sie mich nicht an!" Sie steht wahrscheinlich unter dem Eindrucke einer wiederkehrenden grauenvollen 1 Dieses Schnalzen bestand aus mehreren Tempi; jagdkundige Collegen, die es hörten, verglichen dessen Endlaute mit dem Balzen des Auerhahnes.
zur Aufgabe machte. Sie war Hysterica, mit grösster Leichtigkeit in Somnambulismus zu versetzen, und als ich dies merkte, entschloss ich mich, das Breuer'sche Verfahren der Ausforschung in der Hypnose bei ihr anzuwenden, das ich aus den Mittheilungen Breuer's über die Heilungsgeschichte seiner ersten Patientin kannte. Es war mein erster Versuch in der Handhabung dieser therapeutischen Methode, ich war noch weit davon entfernt, dieselbe zu beherrschen, und habe in der That die Analyse der Krankheitsymptome weder weit genug getrieben, noch sie genügend planmässig verfolgt. Vielleicht wird es mir am besten gelingen, den Zustand der Kranken und mein ärztliches Vorgehen anschaulich zu machen, wenn ich die Aufzeichnungen wiedergebe, die ich mir in den ersten 3 Wochen der Behandlung allabendlich gemacht habe. Wo mir nachherige Erfahrung ein besseres Verständniss ermöglicht hat, werde ich es in Noten und Zwischenbemerkungen zum Ausdruck bringen: 1. Mai 1889. Ich finde eine noch jugendlich aussehende Frau mit feinen, charakteristisch geschnittenen Gesichtszügen auf dem Divan liegend, eine Lederrolle unter dem Nacken. Ihr Gesicht hat einen gespannten, schmerzhaften Ausdruck, die Augen sind zusammengekniffen, der Blick gesenkt, die Stirne stark gerunzelt, die Nasolabialfalten vertieft. Sie spricht wie mühselig, mit leiser Stimme, gelegentlich durch spastische Sprachstockung bis zum Stottern unterbrochen. Dabei hält sie die Finger in einander verschränkt, die eine unaufhörliche Athetoseartige Unruhe zeigen. Häufige tickartige Zuckungen im Gesicht und an den Halsmuskeln, wobei einzelne, besonders der r. Sternocleidomastoideus plastisch vorspringen. Ferner unterbricht sie sich häufig in der Rede, um ein eigenthümliches Schnalzen hervorzubringen, das ich nicht nachahmen kann.1 Was sie spricht, ist durchaus zusammenhängend und bezeugt offenbar eine nicht gewöhnliche Bildung und Intelligenz. Umso befremdender ist es, dass sie alle paar Minuten plötzlich abbricht, das Gesicht zum Ausdruck des Grausens und Ekels verzieht, die Hand mit gespreizten und gekrümmten Fingern gegen mich ausstreckt und dabei mit veränderter, angsterfüllter Stimme die Worte ruft: „Seien Sie still, – reden Sie nichts, – rühren Sie mich nicht an!“ Sie steht wahrscheinlich unter dem Eindrucke einer wiederkehrenden grauenvollen 1 Dieses Schnalzen bestand aus mehreren Tempi; jagdkundige Collegen, die es hörten, verglichen dessen Endlaute mit dem Balzen des Auerhahnes.
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zur Aufgabe machte. Sie war Hysterica, mit grösster Leichtigkeit in Somnambulismus zu versetzen, und als ich dies merkte, entschloss ich mich, das Breuer'sche Verfahren der Ausforschung in der Hypnose bei ihr anzuwenden, das ich aus den Mittheilungen Breuer's über die Heilungsgeschichte seiner ersten Patientin kannte. Es war mein erster Versuch in der Handhabung dieser therapeutischen Methode, ich war noch weit davon entfernt, dieselbe zu beherrschen, und habe in der That die Analyse der Krankheitsymptome weder weit genug getrieben, noch sie genügend planmässig verfolgt. Vielleicht wird es mir am besten gelingen, den Zustand der Kranken und mein ärztliches Vorgehen anschaulich zu machen, wenn ich die Aufzeichnungen wiedergebe, die ich mir in den ersten 3 Wochen der Behandlung allabendlich gemacht habe. Wo mir nachherige Erfahrung ein besseres Verständniss ermöglicht hat, werde ich es in Noten und Zwischenbemerkungen zum Ausdruck bringen:
1. Mai 1889. Ich finde eine noch jugendlich aussehende Frau mit feinen, charakteristisch geschnittenen Gesichtszügen auf dem Divan liegend, eine Lederrolle unter dem Nacken. Ihr Gesicht hat einen gespannten, schmerzhaften Ausdruck, die Augen sind zusammengekniffen, der Blick gesenkt, die Stirne stark gerunzelt, die Nasolabialfalten vertieft. Sie spricht wie mühselig, mit leiser Stimme, gelegentlich durch spastische Sprachstockung bis zum Stottern unterbrochen. Dabei hält sie die Finger in einander verschränkt, die eine unaufhörliche Athetoseartige Unruhe zeigen. Häufige tickartige Zuckungen im Gesicht und an den Halsmuskeln, wobei einzelne, besonders der r. Sternocleidomastoideus plastisch vorspringen. Ferner unterbricht sie sich häufig in der Rede, um ein eigenthümliches Schnalzen hervorzubringen, das ich nicht nachahmen kann. 1
Was sie spricht, ist durchaus zusammenhängend und bezeugt offenbar eine nicht gewöhnliche Bildung und Intelligenz. Umso befremdender ist es, dass sie alle paar Minuten plötzlich abbricht, das Gesicht zum Ausdruck des Grausens und Ekels verzieht, die Hand mit gespreizten und gekrümmten Fingern gegen mich ausstreckt und dabei mit veränderter, angsterfüllter Stimme die Worte ruft: „Seien Sie still, – reden Sie nichts, – rühren Sie mich nicht an!“ Sie steht wahrscheinlich unter dem Eindrucke einer wiederkehrenden grauenvollen
1 Dieses Schnalzen bestand aus mehreren Tempi; jagdkundige Collegen, die es hörten, verglichen dessen Endlaute mit dem Balzen des Auerhahnes.
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