Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.krank werden oder nicht am Leben bleiben, ihr Bruder, der jetzt auf der Hochzeitsreise sei, könnte einen Unfall erleiden, seine Frau sterben, weil alle Geschwister so kurz verheirathet waren. Andere Befürchtungen sind ihr nicht zu entlocken. Ich verweise ihr das Bedürfnis, sich zu ängstigen, wo kein Grund vorliegt. Sie verspricht es zu unterlassen, "weil Sie es verlangen". Weitere Suggestionen für die Schmerzen, das Bein u. s. w. 16. Mai. Sie hat gut geschlafen, klagt noch über Schmerzen im Gesicht, Arm, Beinen, ist sehr heiter. Die Hypnose fällt ganz unergiebig aus. Faradische Pinselung des anästhetischen Beines. Abends. Sie erschrickt gleich bei meinem Eintreten. - "Gut, dass Sie kommen. Ich bin so erschrocken." - Dabei alle Zeichen des Grausens, Stottern, Tick. Ich lasse mir zuerst im Wachen erzählen, was es gegeben hat, wobei sie das Entsetzen mit gekrümmten Fingern und vorgestreckten Händen vortrefflich darstellt. - Im Garten ist eine ungeheuere Maus plötzlich über ihre Hand gehuscht und dann plötzlich verschwunden, es huschte überhaupt beständig hin und her (Illusion spielender Schatten?). Auf den Bäumen sassen lauter Mäuse. - Hören Sie nicht die Pferde im Circus stampfen? - Daneben stöhnt ein Herr, ich glaube, er hat Schmerzen nach der Operation. - Bin ich denn auf Rügen, habe ich dort so einen Ofen gehabt? - Sie ist auch verworren unter der Fülle von Gedanken, die sich in ihr kreuzen, und in dem Bemühen, die Gegenwart herauszufinden. Auf Fragen nach gegenwärtigen Dingen, z. B. ob die Töchter heute da waren, weiss sie nicht zu antworten. Ich versuche die Entwirrung dieses Zustandes in der Hypnose. Hypnose. Wovor haben Sie sich denn geängstigt? - Sie wiederholt die Mäusegeschichte mit allen Zeichen des Entsetzens; auch sei, als sie über die Treppe ging, ein scheussliches Thier da gelegen und gleich verschwunden. Ich erkläre das für Hallucinationen, verweise ihr die Furcht vor Mäusen, die komme nur bei Trinkern vor (die sie sehr verabscheut). Ich erzähle ihr die Geschichte vom Bischof Hatto, die sie auch kennt und mit ärgstem Grausen anhört. - "Wie kommen Sie denn auf den Circus?" - Sie hört deutlich aus der Nähe, wie die Pferde in den Ställen stampfen und sich dabei im Halfter verwickeln, wodurch sie sich beschädigen können. Der Johann pflege dann immer hinauszugehen und sie loszubinden. - Ich bestreite ihr die Nähe des Stalles und das Stöhnen des Nachbars. Ob sie wisse, wo sie ist? - Sie weiss es, aber sie glaubte früher, auf Rügen zu sein. - Wie krank werden oder nicht am Leben bleiben, ihr Bruder, der jetzt auf der Hochzeitsreise sei, könnte einen Unfall erleiden, seine Frau sterben, weil alle Geschwister so kurz verheirathet waren. Andere Befürchtungen sind ihr nicht zu entlocken. Ich verweise ihr das Bedürfnis, sich zu ängstigen, wo kein Grund vorliegt. Sie verspricht es zu unterlassen, „weil Sie es verlangen“. Weitere Suggestionen für die Schmerzen, das Bein u. s. w. 16. Mai. Sie hat gut geschlafen, klagt noch über Schmerzen im Gesicht, Arm, Beinen, ist sehr heiter. Die Hypnose fällt ganz unergiebig aus. Faradische Pinselung des anästhetischen Beines. Abends. Sie erschrickt gleich bei meinem Eintreten. – „Gut, dass Sie kommen. Ich bin so erschrocken.“ – Dabei alle Zeichen des Grausens, Stottern, Tick. Ich lasse mir zuerst im Wachen erzählen, was es gegeben hat, wobei sie das Entsetzen mit gekrümmten Fingern und vorgestreckten Händen vortrefflich darstellt. – Im Garten ist eine ungeheuere Maus plötzlich über ihre Hand gehuscht und dann plötzlich verschwunden, es huschte überhaupt beständig hin und her (Illusion spielender Schatten?). Auf den Bäumen sassen lauter Mäuse. – Hören Sie nicht die Pferde im Circus stampfen? – Daneben stöhnt ein Herr, ich glaube, er hat Schmerzen nach der Operation. – Bin ich denn auf Rügen, habe ich dort so einen Ofen gehabt? – Sie ist auch verworren unter der Fülle von Gedanken, die sich in ihr kreuzen, und in dem Bemühen, die Gegenwart herauszufinden. Auf Fragen nach gegenwärtigen Dingen, z. B. ob die Töchter heute da waren, weiss sie nicht zu antworten. Ich versuche die Entwirrung dieses Zustandes in der Hypnose. Hypnose. Wovor haben Sie sich denn geängstigt? – Sie wiederholt die Mäusegeschichte mit allen Zeichen des Entsetzens; auch sei, als sie über die Treppe ging, ein scheussliches Thier da gelegen und gleich verschwunden. Ich erkläre das für Hallucinationen, verweise ihr die Furcht vor Mäusen, die komme nur bei Trinkern vor (die sie sehr verabscheut). Ich erzähle ihr die Geschichte vom Bischof Hatto, die sie auch kennt und mit ärgstem Grausen anhört. – „Wie kommen Sie denn auf den Circus?“ – Sie hört deutlich aus der Nähe, wie die Pferde in den Ställen stampfen und sich dabei im Halfter verwickeln, wodurch sie sich beschädigen können. Der Johann pflege dann immer hinauszugehen und sie loszubinden. – Ich bestreite ihr die Nähe des Stalles und das Stöhnen des Nachbars. Ob sie wisse, wo sie ist? – Sie weiss es, aber sie glaubte früher, auf Rügen zu sein. – Wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="60"/> krank werden oder nicht am Leben bleiben, ihr Bruder, der jetzt auf der Hochzeitsreise sei, könnte einen Unfall erleiden, seine Frau sterben, weil alle Geschwister so kurz verheirathet waren. Andere Befürchtungen sind ihr nicht zu entlocken. Ich verweise ihr das Bedürfnis, sich zu ängstigen, wo kein Grund vorliegt. Sie verspricht es zu unterlassen, „weil Sie es verlangen“. Weitere Suggestionen für die Schmerzen, das Bein u. s. w.</p> <p>16. Mai. Sie hat gut geschlafen, klagt noch über Schmerzen im Gesicht, Arm, Beinen, ist sehr heiter. Die Hypnose fällt ganz unergiebig aus. Faradische Pinselung des anästhetischen Beines.</p> <p><hi rendition="#g">Abends</hi>. Sie erschrickt gleich bei meinem Eintreten. – „Gut, dass Sie kommen. Ich bin so erschrocken.“ – Dabei alle Zeichen des Grausens, Stottern, Tick. Ich lasse mir zuerst im Wachen erzählen, was es gegeben hat, wobei sie das Entsetzen mit gekrümmten Fingern und vorgestreckten Händen vortrefflich darstellt. – Im Garten ist eine ungeheuere Maus plötzlich über ihre Hand gehuscht und dann plötzlich verschwunden, es huschte überhaupt beständig hin und her (Illusion spielender Schatten?). Auf den Bäumen sassen lauter Mäuse. – Hören Sie nicht die Pferde im Circus stampfen? – Daneben stöhnt ein Herr, ich glaube, er hat Schmerzen nach der Operation. – Bin ich denn auf <hi rendition="#g">Rügen</hi>, habe ich dort so einen Ofen gehabt? – Sie ist auch verworren unter der Fülle von Gedanken, die sich in ihr kreuzen, und in dem Bemühen, die Gegenwart herauszufinden. Auf Fragen nach gegenwärtigen Dingen, z. B. ob die Töchter heute da waren, weiss sie nicht zu antworten.</p> <p>Ich versuche die Entwirrung dieses Zustandes in der Hypnose.</p> <p><hi rendition="#g">Hypnose</hi>. Wovor haben Sie sich denn geängstigt? – Sie wiederholt die Mäusegeschichte mit allen Zeichen des Entsetzens; auch sei, als sie über die Treppe ging, ein scheussliches Thier da gelegen und gleich verschwunden. Ich erkläre das für Hallucinationen, verweise ihr die Furcht vor Mäusen, die komme nur bei Trinkern vor (die sie sehr verabscheut). Ich erzähle ihr die Geschichte vom Bischof <hi rendition="#g">Hatto</hi>, die sie auch kennt und mit ärgstem Grausen anhört. – „Wie kommen Sie denn auf den Circus?“ – Sie hört deutlich aus der Nähe, wie die Pferde in den Ställen stampfen und sich dabei im Halfter verwickeln, wodurch sie sich beschädigen können. Der Johann pflege dann immer hinauszugehen und sie loszubinden. – Ich bestreite ihr die Nähe des Stalles und das Stöhnen des Nachbars. Ob sie wisse, wo sie ist? – Sie weiss es, aber sie glaubte früher, auf <hi rendition="#g">Rügen</hi> zu sein. – Wie </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0066]
krank werden oder nicht am Leben bleiben, ihr Bruder, der jetzt auf der Hochzeitsreise sei, könnte einen Unfall erleiden, seine Frau sterben, weil alle Geschwister so kurz verheirathet waren. Andere Befürchtungen sind ihr nicht zu entlocken. Ich verweise ihr das Bedürfnis, sich zu ängstigen, wo kein Grund vorliegt. Sie verspricht es zu unterlassen, „weil Sie es verlangen“. Weitere Suggestionen für die Schmerzen, das Bein u. s. w.
16. Mai. Sie hat gut geschlafen, klagt noch über Schmerzen im Gesicht, Arm, Beinen, ist sehr heiter. Die Hypnose fällt ganz unergiebig aus. Faradische Pinselung des anästhetischen Beines.
Abends. Sie erschrickt gleich bei meinem Eintreten. – „Gut, dass Sie kommen. Ich bin so erschrocken.“ – Dabei alle Zeichen des Grausens, Stottern, Tick. Ich lasse mir zuerst im Wachen erzählen, was es gegeben hat, wobei sie das Entsetzen mit gekrümmten Fingern und vorgestreckten Händen vortrefflich darstellt. – Im Garten ist eine ungeheuere Maus plötzlich über ihre Hand gehuscht und dann plötzlich verschwunden, es huschte überhaupt beständig hin und her (Illusion spielender Schatten?). Auf den Bäumen sassen lauter Mäuse. – Hören Sie nicht die Pferde im Circus stampfen? – Daneben stöhnt ein Herr, ich glaube, er hat Schmerzen nach der Operation. – Bin ich denn auf Rügen, habe ich dort so einen Ofen gehabt? – Sie ist auch verworren unter der Fülle von Gedanken, die sich in ihr kreuzen, und in dem Bemühen, die Gegenwart herauszufinden. Auf Fragen nach gegenwärtigen Dingen, z. B. ob die Töchter heute da waren, weiss sie nicht zu antworten.
Ich versuche die Entwirrung dieses Zustandes in der Hypnose.
Hypnose. Wovor haben Sie sich denn geängstigt? – Sie wiederholt die Mäusegeschichte mit allen Zeichen des Entsetzens; auch sei, als sie über die Treppe ging, ein scheussliches Thier da gelegen und gleich verschwunden. Ich erkläre das für Hallucinationen, verweise ihr die Furcht vor Mäusen, die komme nur bei Trinkern vor (die sie sehr verabscheut). Ich erzähle ihr die Geschichte vom Bischof Hatto, die sie auch kennt und mit ärgstem Grausen anhört. – „Wie kommen Sie denn auf den Circus?“ – Sie hört deutlich aus der Nähe, wie die Pferde in den Ställen stampfen und sich dabei im Halfter verwickeln, wodurch sie sich beschädigen können. Der Johann pflege dann immer hinauszugehen und sie loszubinden. – Ich bestreite ihr die Nähe des Stalles und das Stöhnen des Nachbars. Ob sie wisse, wo sie ist? – Sie weiss es, aber sie glaubte früher, auf Rügen zu sein. – Wie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |