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Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Theobald drückte sich erbleichend und mit geschlossenen Augen in die dunkle Wagenecke zurück. Aber wenn er auch mit klaren Blicken ausgeschaut, er hätte doch nicht wahrnehmen können, wie zur nämlichen Minute am andern Ende der Stadt ebenfalls ein Wagen durch das Thor rollte, der in entgegengesetzter Richtung nach Süden fuhr. Derselbe war wie der nordwärts fahrende mit dem Wappen des Obersten geschmückt und führte gleich diesem eine schweigende Gesellschaft von dannen -- den Obersten selbst und seine Tochter, die auch in eine Wagenecke zurückgelehnt, ihre still rinnenden Thränen mit dem Schleier zu verbergen suchte.

Die Zwei fuhren den ganzen Nachmittag und die Nacht hindurch ohne Unterbrechung; als sie in der Morgenfrühe eine Anhöhe erreicht, sahen sie vor sich in der Tiefe den Spiegel des Genfersee's aufschimmern. Die drei nach Norden Ziehenden dagegen fuhren um Mitternacht durch ein hallendes Bogenthor, hinter dem der Wagen Halt machte. Endlich am Ziele! rief einer der Brüder Juliens; steigt aus, Schwager.

Und wo sind wir denn? fragte Theobald aus seinem dumpfen Brüten aufschreckend; ich vermag nichts zu erkennen in dieser Finsterniß.

Auf dem Schlosse Aarburg ... dem festesten im Gebiete unserer ganzen Republik, mein Herr.

Aber wie denn? ... ich glaubte, Aarburg werde nur noch als Staatsgefängniß benützt; nicht so? ...

Allerdings, indessen nicht für gewöhnliche Ver-

Theobald drückte sich erbleichend und mit geschlossenen Augen in die dunkle Wagenecke zurück. Aber wenn er auch mit klaren Blicken ausgeschaut, er hätte doch nicht wahrnehmen können, wie zur nämlichen Minute am andern Ende der Stadt ebenfalls ein Wagen durch das Thor rollte, der in entgegengesetzter Richtung nach Süden fuhr. Derselbe war wie der nordwärts fahrende mit dem Wappen des Obersten geschmückt und führte gleich diesem eine schweigende Gesellschaft von dannen — den Obersten selbst und seine Tochter, die auch in eine Wagenecke zurückgelehnt, ihre still rinnenden Thränen mit dem Schleier zu verbergen suchte.

Die Zwei fuhren den ganzen Nachmittag und die Nacht hindurch ohne Unterbrechung; als sie in der Morgenfrühe eine Anhöhe erreicht, sahen sie vor sich in der Tiefe den Spiegel des Genfersee's aufschimmern. Die drei nach Norden Ziehenden dagegen fuhren um Mitternacht durch ein hallendes Bogenthor, hinter dem der Wagen Halt machte. Endlich am Ziele! rief einer der Brüder Juliens; steigt aus, Schwager.

Und wo sind wir denn? fragte Theobald aus seinem dumpfen Brüten aufschreckend; ich vermag nichts zu erkennen in dieser Finsterniß.

Auf dem Schlosse Aarburg … dem festesten im Gebiete unserer ganzen Republik, mein Herr.

Aber wie denn? … ich glaubte, Aarburg werde nur noch als Staatsgefängniß benützt; nicht so? …

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[0106] Theobald drückte sich erbleichend und mit geschlossenen Augen in die dunkle Wagenecke zurück. Aber wenn er auch mit klaren Blicken ausgeschaut, er hätte doch nicht wahrnehmen können, wie zur nämlichen Minute am andern Ende der Stadt ebenfalls ein Wagen durch das Thor rollte, der in entgegengesetzter Richtung nach Süden fuhr. Derselbe war wie der nordwärts fahrende mit dem Wappen des Obersten geschmückt und führte gleich diesem eine schweigende Gesellschaft von dannen — den Obersten selbst und seine Tochter, die auch in eine Wagenecke zurückgelehnt, ihre still rinnenden Thränen mit dem Schleier zu verbergen suchte. Die Zwei fuhren den ganzen Nachmittag und die Nacht hindurch ohne Unterbrechung; als sie in der Morgenfrühe eine Anhöhe erreicht, sahen sie vor sich in der Tiefe den Spiegel des Genfersee's aufschimmern. Die drei nach Norden Ziehenden dagegen fuhren um Mitternacht durch ein hallendes Bogenthor, hinter dem der Wagen Halt machte. Endlich am Ziele! rief einer der Brüder Juliens; steigt aus, Schwager. Und wo sind wir denn? fragte Theobald aus seinem dumpfen Brüten aufschreckend; ich vermag nichts zu erkennen in dieser Finsterniß. Auf dem Schlosse Aarburg … dem festesten im Gebiete unserer ganzen Republik, mein Herr. Aber wie denn? … ich glaubte, Aarburg werde nur noch als Staatsgefängniß benützt; nicht so? … Allerdings, indessen nicht für gewöhnliche Ver-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:04:13Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/106>, abgerufen am 25.05.2024.