Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir haben unsere Bekanntschaft freilich auf seltsame Weise gemacht, erwiderte der Gefangene, doch wüßt' ich nicht, weßhalb Ihr ein besonderes Bedauern darüber haben solltet.

Ich komme, um Eure Verzeihung zu erlangen. Gebt mir den Trost, daß Ihr mir keinen Haß, keinen Groll tragt über die Schuld, die ich an Euch begangen habe.

Haß und Groll gegen Menschen hab' ich mein Leben lang nicht gekannt; warum sollt' ich solche im Angesichte des Todes gegen Euch gefaßt haben, junger Mann? ... Euch überrascht es, einen Rebellen so etwas sagen zu hören! ... Und doch hab' ich nie eine andere Sprache geführt; ich hasse und verabscheue üble Gewohnheiten, Gesetze und Zustände, weil in diesen die Quellen alles Bösen liegen; aber den einzelnen Menschen, der von diesen Verhältnissen umsponnen wird, daß er selten sein besseres, eigenmenschliches Selbst zu finden vermag, den hab' ich stets nur bedauern, nur beklagen können.

Euer Trost trifft nicht einmal ganz zu für mich, sagte Theobald nachdenklich; ich habe Euch gefangen genommen und mir dadurch mittelbar eine Mitschuld an Eurem Verderben aufgebürdet, ohne durch die Macht gewohnter Verhältnisse zu der That bewogen worden zu sein. Ich habe sie ganz aus freien Stücken begangen.

Glaubt Ihr das? rief der Gefangene trübe lächelnd;

Wir haben unsere Bekanntschaft freilich auf seltsame Weise gemacht, erwiderte der Gefangene, doch wüßt' ich nicht, weßhalb Ihr ein besonderes Bedauern darüber haben solltet.

Ich komme, um Eure Verzeihung zu erlangen. Gebt mir den Trost, daß Ihr mir keinen Haß, keinen Groll tragt über die Schuld, die ich an Euch begangen habe.

Haß und Groll gegen Menschen hab' ich mein Leben lang nicht gekannt; warum sollt' ich solche im Angesichte des Todes gegen Euch gefaßt haben, junger Mann? … Euch überrascht es, einen Rebellen so etwas sagen zu hören! … Und doch hab' ich nie eine andere Sprache geführt; ich hasse und verabscheue üble Gewohnheiten, Gesetze und Zustände, weil in diesen die Quellen alles Bösen liegen; aber den einzelnen Menschen, der von diesen Verhältnissen umsponnen wird, daß er selten sein besseres, eigenmenschliches Selbst zu finden vermag, den hab' ich stets nur bedauern, nur beklagen können.

Euer Trost trifft nicht einmal ganz zu für mich, sagte Theobald nachdenklich; ich habe Euch gefangen genommen und mir dadurch mittelbar eine Mitschuld an Eurem Verderben aufgebürdet, ohne durch die Macht gewohnter Verhältnisse zu der That bewogen worden zu sein. Ich habe sie ganz aus freien Stücken begangen.

Glaubt Ihr das? rief der Gefangene trübe lächelnd;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <pb facs="#f0094"/>
        <p>Wir haben unsere Bekanntschaft freilich auf seltsame Weise gemacht, erwiderte der Gefangene,      doch wüßt' ich nicht, weßhalb Ihr ein besonderes Bedauern darüber haben solltet.</p><lb/>
        <p>Ich komme, um Eure Verzeihung zu erlangen. Gebt mir den Trost, daß Ihr mir keinen Haß, keinen      Groll tragt über die Schuld, die ich an Euch begangen habe.</p><lb/>
        <p>Haß und Groll gegen Menschen hab' ich mein Leben lang nicht gekannt; warum sollt' ich solche      im Angesichte des Todes gegen Euch gefaßt haben, junger Mann? &#x2026; Euch überrascht es, einen      Rebellen so etwas sagen zu hören! &#x2026; Und doch hab' ich nie eine andere Sprache geführt; ich      hasse und verabscheue üble Gewohnheiten, Gesetze und Zustände, weil in diesen die Quellen alles      Bösen liegen; aber den einzelnen Menschen, der von diesen Verhältnissen umsponnen wird, daß er      selten sein besseres, eigenmenschliches Selbst zu finden vermag, den hab' ich stets nur      bedauern, nur beklagen können.</p><lb/>
        <p>Euer Trost trifft nicht einmal ganz zu für mich, sagte Theobald nachdenklich; ich habe Euch      gefangen genommen und mir dadurch mittelbar eine Mitschuld an Eurem Verderben aufgebürdet, ohne      durch die Macht gewohnter Verhältnisse zu der That bewogen worden zu sein. Ich habe sie ganz      aus freien Stücken begangen.</p><lb/>
        <p>Glaubt Ihr das? rief der Gefangene trübe lächelnd;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Wir haben unsere Bekanntschaft freilich auf seltsame Weise gemacht, erwiderte der Gefangene, doch wüßt' ich nicht, weßhalb Ihr ein besonderes Bedauern darüber haben solltet. Ich komme, um Eure Verzeihung zu erlangen. Gebt mir den Trost, daß Ihr mir keinen Haß, keinen Groll tragt über die Schuld, die ich an Euch begangen habe. Haß und Groll gegen Menschen hab' ich mein Leben lang nicht gekannt; warum sollt' ich solche im Angesichte des Todes gegen Euch gefaßt haben, junger Mann? … Euch überrascht es, einen Rebellen so etwas sagen zu hören! … Und doch hab' ich nie eine andere Sprache geführt; ich hasse und verabscheue üble Gewohnheiten, Gesetze und Zustände, weil in diesen die Quellen alles Bösen liegen; aber den einzelnen Menschen, der von diesen Verhältnissen umsponnen wird, daß er selten sein besseres, eigenmenschliches Selbst zu finden vermag, den hab' ich stets nur bedauern, nur beklagen können. Euer Trost trifft nicht einmal ganz zu für mich, sagte Theobald nachdenklich; ich habe Euch gefangen genommen und mir dadurch mittelbar eine Mitschuld an Eurem Verderben aufgebürdet, ohne durch die Macht gewohnter Verhältnisse zu der That bewogen worden zu sein. Ich habe sie ganz aus freien Stücken begangen. Glaubt Ihr das? rief der Gefangene trübe lächelnd;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:04:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/94
Zitationshilfe: Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/94>, abgerufen am 23.11.2024.