Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.Sie wissen, daß in der gelehrten Republik eine Ich gehe von Athen nach Rom über, und finde Crassus
Sie wiſſen, daß in der gelehrten Republik eine Ich gehe von Athen nach Rom uͤber, und finde Craſſus
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0010" n="4"/> <p>Sie wiſſen, daß in der gelehrten Republik eine<lb/> vollkommene Freyheit der Meynungen herrſcht. Sie<lb/> ſehen die Gegenſtaͤnde aus einem, ich aus einem <hi rendition="#g">an-<lb/> dern</hi> Geſichtspunkt. Erlauben Sie alſo, daß ich mich<lb/> erklaͤre, und Ihnen meine Art zu denken, ſo wie mei-<lb/> ne Ideen uͤber die alte und neue Litteratur, genauer<lb/> entwickele. Ich werde ſie in Abſicht der Sprachen,<lb/> der Wiſſenſchaften und des Geſchmacks betrachten.<lb/> Ich mache mit <placeName>Griechenland</placeName>, dieſer Wiege der ſchoͤ-<lb/> nen Kuͤnſte, den Anfang. Die Sprache der griechi-<lb/> ſchen Nation iſt die harmoniſchſte von allen, welche je<lb/> geredet worden. Ihre erſten Theologen und Ge-<lb/> ſchichtſchreiber waren Dichter. Dieſe brachten gluͤck-<lb/> liche Wendungen in ihre Sprache, wurden Schoͤpfer<lb/> einer Menge mahleriſcher Ausdruͤcke, und fuͤr alle ihre<lb/> Nachfolger, Lehrer der Kunſt, ſich mit Anmuth, Fein-<lb/> heit und Wuͤrde auszudruͤcken.</p><lb/> <p>Ich gehe von <placeName>Athen</placeName> nach <placeName>Rom</placeName> uͤber, und finde<lb/> hier eine Republik, welche zuerſt lange Zeit mit ihren<lb/> Nachbarn krieget, und dann fuͤr die Ehre und die Ver-<lb/> groͤſſerung ihres Reichs kaͤmpft. Alles in dieſem<lb/> Staat war Nerve und Kraft, und nicht eher, bis<lb/><placeName>Rom</placeName>s Nebenbuhlerin, <placeName>Carthago</placeName>, zerſtoͤrt war, fanden<lb/> hier die Wiſſenſchaften Eingang. Der große <persName>Scipio<lb/> der Afrikaner</persName>, der Freund des <persName>Laͤlius</persName> und <persName>Polybius</persName>,<lb/> war der erſte Roͤmer, der die Wiſſenſchaften beſchuͤtzte.<lb/> Dann folgten die <persName>Gracchen</persName>; dann <persName>Antonius</persName> und<lb/> <fw place="bottom" type="catch"><persName>Craſſus</persName></fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0010]
Sie wiſſen, daß in der gelehrten Republik eine
vollkommene Freyheit der Meynungen herrſcht. Sie
ſehen die Gegenſtaͤnde aus einem, ich aus einem an-
dern Geſichtspunkt. Erlauben Sie alſo, daß ich mich
erklaͤre, und Ihnen meine Art zu denken, ſo wie mei-
ne Ideen uͤber die alte und neue Litteratur, genauer
entwickele. Ich werde ſie in Abſicht der Sprachen,
der Wiſſenſchaften und des Geſchmacks betrachten.
Ich mache mit Griechenland, dieſer Wiege der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte, den Anfang. Die Sprache der griechi-
ſchen Nation iſt die harmoniſchſte von allen, welche je
geredet worden. Ihre erſten Theologen und Ge-
ſchichtſchreiber waren Dichter. Dieſe brachten gluͤck-
liche Wendungen in ihre Sprache, wurden Schoͤpfer
einer Menge mahleriſcher Ausdruͤcke, und fuͤr alle ihre
Nachfolger, Lehrer der Kunſt, ſich mit Anmuth, Fein-
heit und Wuͤrde auszudruͤcken.
Ich gehe von Athen nach Rom uͤber, und finde
hier eine Republik, welche zuerſt lange Zeit mit ihren
Nachbarn krieget, und dann fuͤr die Ehre und die Ver-
groͤſſerung ihres Reichs kaͤmpft. Alles in dieſem
Staat war Nerve und Kraft, und nicht eher, bis
Roms Nebenbuhlerin, Carthago, zerſtoͤrt war, fanden
hier die Wiſſenſchaften Eingang. Der große Scipio
der Afrikaner, der Freund des Laͤlius und Polybius,
war der erſte Roͤmer, der die Wiſſenſchaften beſchuͤtzte.
Dann folgten die Gracchen; dann Antonius und
Craſſus
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Zitationshilfe: | Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/10>, abgerufen am 16.07.2024. |