Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.genommenen Meynungen des andern nicht angreifen Wenn
genommenen Meynungen des andern nicht angreifen Wenn
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="38"/> genommenen Meynungen des andern nicht angreifen<lb/> darf. Ich wende mich alſo ſogleich zum Philoſophen.<lb/> Ich verlange, daß er ſeine Vorleſungen mit einer ge-<lb/> nauen Definition der Philoſophie anfange, daß er<lb/> alsdann bis zu den entfernteſten Zeiten zuruͤckgehe,<lb/> und alle die verſchiedenen Meynungen, welche die Men-<lb/> ſchen gehabt und gelehrt haben, nach der Ordnung der<lb/> Zeit, genau entwickele und beurtheile. Er muß, z. E.<lb/> ſich nicht begnuͤgen, bloß zu ſagen, daß nach dem Sy-<lb/> ſtem der Stoicker, die menſchliche Seelen, Theilchen der<lb/> Gottheit ſind. So ſchoͤn und erhaben dieſe Idee auch<lb/> bey dem erſten Anblick ſcheint; ſo muß unſer Profeſſor<lb/> doch zeigen, wie ſie einen wahren Widerſprnch enthaͤlt,<lb/> weil der Menſch, wenn er ein Theil der Gottheit waͤre,<lb/> unendliche Kenntniſſe haben muͤßte, die er doch nicht<lb/> hat; weil, wenn Gott in dem Menſchen waͤre, itzt der<lb/> engliſche Gott mit dem franzoͤſiſchen und ſpaniſchen<lb/> Krieg fuͤhren, und alſo die verſchiedenen Theile der Gott-<lb/> heit ſich gegenſeitig zu zerſtoͤren ſuchen wuͤrden; weil<lb/> endlich nach dieſer Lehre, die ſchaͤndlichſten Handlun-<lb/> gen und alle Verbrechen, welche die Menſchen begehn,<lb/> goͤttliche Werke ſeyn wuͤrden. Iſt es nicht abge-<lb/> ſchmackt, ſolche abſcheuliche Meinungen anzunehmen?<lb/> Sie koͤnnen eben deshalb, weil ſie ſo ungereimt ſind,<lb/> nicht wahr ſeyn.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [38/0044]
genommenen Meynungen des andern nicht angreifen
darf. Ich wende mich alſo ſogleich zum Philoſophen.
Ich verlange, daß er ſeine Vorleſungen mit einer ge-
nauen Definition der Philoſophie anfange, daß er
alsdann bis zu den entfernteſten Zeiten zuruͤckgehe,
und alle die verſchiedenen Meynungen, welche die Men-
ſchen gehabt und gelehrt haben, nach der Ordnung der
Zeit, genau entwickele und beurtheile. Er muß, z. E.
ſich nicht begnuͤgen, bloß zu ſagen, daß nach dem Sy-
ſtem der Stoicker, die menſchliche Seelen, Theilchen der
Gottheit ſind. So ſchoͤn und erhaben dieſe Idee auch
bey dem erſten Anblick ſcheint; ſo muß unſer Profeſſor
doch zeigen, wie ſie einen wahren Widerſprnch enthaͤlt,
weil der Menſch, wenn er ein Theil der Gottheit waͤre,
unendliche Kenntniſſe haben muͤßte, die er doch nicht
hat; weil, wenn Gott in dem Menſchen waͤre, itzt der
engliſche Gott mit dem franzoͤſiſchen und ſpaniſchen
Krieg fuͤhren, und alſo die verſchiedenen Theile der Gott-
heit ſich gegenſeitig zu zerſtoͤren ſuchen wuͤrden; weil
endlich nach dieſer Lehre, die ſchaͤndlichſten Handlun-
gen und alle Verbrechen, welche die Menſchen begehn,
goͤttliche Werke ſeyn wuͤrden. Iſt es nicht abge-
ſchmackt, ſolche abſcheuliche Meinungen anzunehmen?
Sie koͤnnen eben deshalb, weil ſie ſo ungereimt ſind,
nicht wahr ſeyn.
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