Gabelentz, Georg von der: Die ostasiatischen Studien und die Sprachwissenschaft. In: Unsere Zeit, Jg. 1881, Bd. 1, S. 279-291.Die ostasiatischen Studien und die Sprachwissenschaft. als Trägerin einer der bedeutendsten Literaturen, jeder logischen Abstraction ge¬wachsen, fähig eines reichen Periodenbaues und wieder einer wuchtigen Kürze und einer rhetorischen Kraft und Innigkeit, wie sie so vereint sich kaum in einer andern Sprache finden dürften. Die Grammatik stellt an das Gedächtniß des Lernenden sehr bescheidene, an sein logisches Denken sehr hohe Anforderungen. Mit dem Hersagen von Paradigmen und dem Aufzählen von Unregelmäßigkeiten bleibt er verschont. Dafür muß er seinen Geist einer ihm gänzlich neuen Denkweise anbe¬ quemen; er muß diese in ihrer ganzen Folgerichtigkeit nicht nur begreifen, sondern geradezu erleben, und ich wüßte nicht, wo ihm die Bedeutung der Syntax deut¬ licher zu Tage treten sollte als hier, wo nicht nur die Beziehungen der Wörter untereinander, sondern auch ihre Functionen als Redetheile, als Substantiva, Adjectiva, Verba u. s. w. sich lediglich aus dem Satznexus ergeben. Die An¬ regung mag eine einseitige sein, aber sie ist eine mächtige; wer sie mit wissen¬ schaftlich empfänglichem Sinne empfunden hat, dem wird von selbst nach andern ähnlichen verlangen. Und kein Verlangen ist gegründeter; denn mit jeder neuen Sprache, die wir erlernen, erschließt sich in uns eine neue Gedankenwelt. 19*
Die oſtaſiatiſchen Studien und die Sprachwiſſenſchaft. als Trägerin einer der bedeutendſten Literaturen, jeder logiſchen Abſtraction ge¬wachſen, fähig eines reichen Periodenbaues und wieder einer wuchtigen Kürze und einer rhetoriſchen Kraft und Innigkeit, wie ſie ſo vereint ſich kaum in einer andern Sprache finden dürften. Die Grammatik ſtellt an das Gedächtniß des Lernenden ſehr beſcheidene, an ſein logiſches Denken ſehr hohe Anforderungen. Mit dem Herſagen von Paradigmen und dem Aufzählen von Unregelmäßigkeiten bleibt er verſchont. Dafür muß er ſeinen Geiſt einer ihm gänzlich neuen Denkweiſe anbe¬ quemen; er muß dieſe in ihrer ganzen Folgerichtigkeit nicht nur begreifen, ſondern geradezu erleben, und ich wüßte nicht, wo ihm die Bedeutung der Syntax deut¬ licher zu Tage treten ſollte als hier, wo nicht nur die Beziehungen der Wörter untereinander, ſondern auch ihre Functionen als Redetheile, als Subſtantiva, Adjectiva, Verba u. ſ. w. ſich lediglich aus dem Satznexus ergeben. Die An¬ regung mag eine einſeitige ſein, aber ſie iſt eine mächtige; wer ſie mit wiſſen¬ ſchaftlich empfänglichem Sinne empfunden hat, dem wird von ſelbſt nach andern ähnlichen verlangen. Und kein Verlangen iſt gegründeter; denn mit jeder neuen Sprache, die wir erlernen, erſchließt ſich in uns eine neue Gedankenwelt. 19*
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Die oſtaſiatiſchen Studien und die Sprachwiſſenſchaft.
als Trägerin einer der bedeutendſten Literaturen, jeder logiſchen Abſtraction ge¬
wachſen, fähig eines reichen Periodenbaues und wieder einer wuchtigen Kürze und
einer rhetoriſchen Kraft und Innigkeit, wie ſie ſo vereint ſich kaum in einer andern
Sprache finden dürften. Die Grammatik ſtellt an das Gedächtniß des Lernenden
ſehr beſcheidene, an ſein logiſches Denken ſehr hohe Anforderungen. Mit dem
Herſagen von Paradigmen und dem Aufzählen von Unregelmäßigkeiten bleibt er
verſchont. Dafür muß er ſeinen Geiſt einer ihm gänzlich neuen Denkweiſe anbe¬
quemen; er muß dieſe in ihrer ganzen Folgerichtigkeit nicht nur begreifen, ſondern
geradezu erleben, und ich wüßte nicht, wo ihm die Bedeutung der Syntax deut¬
licher zu Tage treten ſollte als hier, wo nicht nur die Beziehungen der Wörter
untereinander, ſondern auch ihre Functionen als Redetheile, als Subſtantiva,
Adjectiva, Verba u. ſ. w. ſich lediglich aus dem Satznexus ergeben. Die An¬
regung mag eine einſeitige ſein, aber ſie iſt eine mächtige; wer ſie mit wiſſen¬
ſchaftlich empfänglichem Sinne empfunden hat, dem wird von ſelbſt nach andern
ähnlichen verlangen. Und kein Verlangen iſt gegründeter; denn mit jeder neuen
Sprache, die wir erlernen, erſchließt ſich in uns eine neue Gedankenwelt.
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