Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

frühesten Kindheit kannte, so hatte er die Gewohnheit, ihn "du" zu nennen, beibehalten.

Bernhard blickte den Grafen überrascht an. Herablassung war sonst gerade nicht dessen starke Seite, aber bald errieth er die Wahrheit, daß nämlich der Graf, der wohl fühlen mochte, daß sein Hochmuth kein dem Himmel wohlgefälliger Zug sei, da Demuth die erste Eigenschaft eines Christen ist, sich durch diese Herablassung eine besondere Gnade zu erkaufen wähnte. Bernhard sagte deßhalb ganz ruhig:

Wie Sie befehlen, Herr Graf.

Der Herr Graf ließ nun auch sogleich anspannen und fuhr mit Bernhard, der auf einem seiner Ackergäule hergeritten, auf den Pachthof, besuchte die junge Mutter, der er eine goldene Broche "für die Frau Gevatterin" auf die Bettdecke legte, und ging dann mit in die Kirche und hob eigenhändig den Erstgeborenen seines Pachters, einen wunderbar schönen und kräftigen Jungen, aus der Taufe.

Vier Tage später, es fing schon an zu dämmern, und Bernhard saß vor dem Bette seiner Frau und besprach mit ihr, welche Kenntnisse sich einst ihr Kind erwerben, welche Laufbahn es ergreifen, und Gott weiß noch, was es Alles thun sollte, als ein Reiter auf den Hof gesprengt kam und eilig nach Artmann frug.

Als der Knecht Diesen herbeigeholt, sah Bernhard, daß es der Reitknecht des Grafen war, der noch zu so ungewohnter Stunde herauskam.

frühesten Kindheit kannte, so hatte er die Gewohnheit, ihn „du“ zu nennen, beibehalten.

Bernhard blickte den Grafen überrascht an. Herablassung war sonst gerade nicht dessen starke Seite, aber bald errieth er die Wahrheit, daß nämlich der Graf, der wohl fühlen mochte, daß sein Hochmuth kein dem Himmel wohlgefälliger Zug sei, da Demuth die erste Eigenschaft eines Christen ist, sich durch diese Herablassung eine besondere Gnade zu erkaufen wähnte. Bernhard sagte deßhalb ganz ruhig:

Wie Sie befehlen, Herr Graf.

Der Herr Graf ließ nun auch sogleich anspannen und fuhr mit Bernhard, der auf einem seiner Ackergäule hergeritten, auf den Pachthof, besuchte die junge Mutter, der er eine goldene Broche „für die Frau Gevatterin“ auf die Bettdecke legte, und ging dann mit in die Kirche und hob eigenhändig den Erstgeborenen seines Pachters, einen wunderbar schönen und kräftigen Jungen, aus der Taufe.

Vier Tage später, es fing schon an zu dämmern, und Bernhard saß vor dem Bette seiner Frau und besprach mit ihr, welche Kenntnisse sich einst ihr Kind erwerben, welche Laufbahn es ergreifen, und Gott weiß noch, was es Alles thun sollte, als ein Reiter auf den Hof gesprengt kam und eilig nach Artmann frug.

Als der Knecht Diesen herbeigeholt, sah Bernhard, daß es der Reitknecht des Grafen war, der noch zu so ungewohnter Stunde herauskam.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0013"/>
frühesten Kindheit      kannte, so hatte er die Gewohnheit, ihn &#x201E;du&#x201C; zu nennen, beibehalten.</p><lb/>
        <p>Bernhard blickte den Grafen überrascht an. Herablassung war sonst gerade nicht dessen starke      Seite, aber bald errieth er die Wahrheit, daß nämlich der Graf, der wohl fühlen mochte, daß      sein Hochmuth kein dem Himmel wohlgefälliger Zug sei, da Demuth die erste Eigenschaft eines      Christen ist, sich durch diese Herablassung eine besondere Gnade zu erkaufen wähnte. Bernhard      sagte deßhalb ganz ruhig:</p><lb/>
        <p>Wie Sie befehlen, Herr Graf.</p><lb/>
        <p>Der Herr Graf ließ nun auch sogleich anspannen und fuhr mit Bernhard, der auf einem seiner      Ackergäule hergeritten, auf den Pachthof, besuchte die junge Mutter, der er eine goldene Broche      &#x201E;für die Frau Gevatterin&#x201C; auf die Bettdecke legte, und ging dann mit in die Kirche und hob      eigenhändig den Erstgeborenen seines Pachters, einen wunderbar schönen und kräftigen Jungen,      aus der Taufe.</p><lb/>
        <p>Vier Tage später, es fing schon an zu dämmern, und Bernhard saß vor dem Bette seiner Frau und      besprach mit ihr, welche Kenntnisse sich einst ihr Kind erwerben, welche Laufbahn es ergreifen,      und Gott weiß noch, was es Alles thun sollte, als ein Reiter auf den Hof gesprengt kam und      eilig nach Artmann frug.</p><lb/>
        <p>Als der Knecht Diesen herbeigeholt, sah Bernhard, daß es der Reitknecht des Grafen war, der      noch zu so ungewohnter Stunde herauskam.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] frühesten Kindheit kannte, so hatte er die Gewohnheit, ihn „du“ zu nennen, beibehalten. Bernhard blickte den Grafen überrascht an. Herablassung war sonst gerade nicht dessen starke Seite, aber bald errieth er die Wahrheit, daß nämlich der Graf, der wohl fühlen mochte, daß sein Hochmuth kein dem Himmel wohlgefälliger Zug sei, da Demuth die erste Eigenschaft eines Christen ist, sich durch diese Herablassung eine besondere Gnade zu erkaufen wähnte. Bernhard sagte deßhalb ganz ruhig: Wie Sie befehlen, Herr Graf. Der Herr Graf ließ nun auch sogleich anspannen und fuhr mit Bernhard, der auf einem seiner Ackergäule hergeritten, auf den Pachthof, besuchte die junge Mutter, der er eine goldene Broche „für die Frau Gevatterin“ auf die Bettdecke legte, und ging dann mit in die Kirche und hob eigenhändig den Erstgeborenen seines Pachters, einen wunderbar schönen und kräftigen Jungen, aus der Taufe. Vier Tage später, es fing schon an zu dämmern, und Bernhard saß vor dem Bette seiner Frau und besprach mit ihr, welche Kenntnisse sich einst ihr Kind erwerben, welche Laufbahn es ergreifen, und Gott weiß noch, was es Alles thun sollte, als ein Reiter auf den Hof gesprengt kam und eilig nach Artmann frug. Als der Knecht Diesen herbeigeholt, sah Bernhard, daß es der Reitknecht des Grafen war, der noch zu so ungewohnter Stunde herauskam.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/13
Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/13>, abgerufen am 21.11.2024.