Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hard nicht, weil er überhaupt Niemand sah, und Bernhard kannte ihn nicht, so verändert war sein Gutsherr, der dennoch so viel Fassung behielt, den Schloßbewohnern zu befehlen, den Todesfall möglichst geheim zu halten, damit nicht ein Gerücht zu der Gräfin dringe, die vielleicht schon unterwegs war; und wirklich kam ein Brief vom Badearzte, der schrieb, die Gräfin habe die Rückreise angetreten, weil sie, von schmerzlichen Ahnungen ergriffen, behauptet, ihrem Kinde sei etwas zugestoßen. Niemand begleite sie als ihre Kammerfrau, aber die habe ihm, dem Arzte, bei der Abreise mitgetheilt, die Gräfin sei in einer solchen Aufregung, daß sie für ihre Besinnung fürchte.

Was war zu thun? Der Graf empfing den Brief am Sarge seines Kindes, und morgen sollte die unglückliche Mutter eintreffen! Und so kam es, daß bei der nun folgenden Beisetzung der Leiche in die Familiengruft der so zärtliche Vater kaum an seinen gestorbenen Liebling, sondern nur daran dachte, wie er seiner Gemahlin diesen Todesfall verberge, bis sie kräftiger sei, einen so furchtbaren Schlag zu ertragen. Da hörte er hinter sich ein unterdrücktes Schluchzen, er wandte sich unwillkürlich, um zu sehen, wer seinem Kinde diese Theilnahme zolle; sein Auge fiel auf Bernhard, der seinem Pathen die letzte Ehre zu erweisen herübergekommen, und der nun weinte, wie ein Mann es nicht gern thut.

Als die Beisetzung vorüber war, trat der Graf

hard nicht, weil er überhaupt Niemand sah, und Bernhard kannte ihn nicht, so verändert war sein Gutsherr, der dennoch so viel Fassung behielt, den Schloßbewohnern zu befehlen, den Todesfall möglichst geheim zu halten, damit nicht ein Gerücht zu der Gräfin dringe, die vielleicht schon unterwegs war; und wirklich kam ein Brief vom Badearzte, der schrieb, die Gräfin habe die Rückreise angetreten, weil sie, von schmerzlichen Ahnungen ergriffen, behauptet, ihrem Kinde sei etwas zugestoßen. Niemand begleite sie als ihre Kammerfrau, aber die habe ihm, dem Arzte, bei der Abreise mitgetheilt, die Gräfin sei in einer solchen Aufregung, daß sie für ihre Besinnung fürchte.

Was war zu thun? Der Graf empfing den Brief am Sarge seines Kindes, und morgen sollte die unglückliche Mutter eintreffen! Und so kam es, daß bei der nun folgenden Beisetzung der Leiche in die Familiengruft der so zärtliche Vater kaum an seinen gestorbenen Liebling, sondern nur daran dachte, wie er seiner Gemahlin diesen Todesfall verberge, bis sie kräftiger sei, einen so furchtbaren Schlag zu ertragen. Da hörte er hinter sich ein unterdrücktes Schluchzen, er wandte sich unwillkürlich, um zu sehen, wer seinem Kinde diese Theilnahme zolle; sein Auge fiel auf Bernhard, der seinem Pathen die letzte Ehre zu erweisen herübergekommen, und der nun weinte, wie ein Mann es nicht gern thut.

Als die Beisetzung vorüber war, trat der Graf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0031"/>
hard nicht, weil er überhaupt Niemand sah,      und Bernhard kannte ihn nicht, so verändert war sein Gutsherr, der dennoch so viel Fassung      behielt, den Schloßbewohnern zu befehlen, den Todesfall möglichst geheim zu halten, damit nicht      ein Gerücht zu der Gräfin dringe, die vielleicht schon unterwegs war; und wirklich kam ein      Brief vom Badearzte, der schrieb, die Gräfin habe die Rückreise angetreten, weil sie, von      schmerzlichen Ahnungen ergriffen, behauptet, ihrem Kinde sei etwas zugestoßen. Niemand begleite      sie als ihre Kammerfrau, aber die habe ihm, dem Arzte, bei der Abreise mitgetheilt, die Gräfin      sei in einer solchen Aufregung, daß sie für ihre Besinnung fürchte.</p><lb/>
        <p>Was war zu thun? Der Graf empfing den Brief am Sarge seines Kindes, und morgen sollte die      unglückliche Mutter eintreffen! Und so kam es, daß bei der nun folgenden Beisetzung der Leiche      in die Familiengruft der so zärtliche Vater kaum an seinen gestorbenen Liebling, sondern nur      daran dachte, wie er seiner Gemahlin diesen Todesfall verberge, bis sie kräftiger sei, einen so      furchtbaren Schlag zu ertragen. Da hörte er hinter sich ein unterdrücktes Schluchzen, er wandte      sich unwillkürlich, um zu sehen, wer seinem Kinde diese Theilnahme zolle; sein Auge fiel auf      Bernhard, der seinem Pathen die letzte Ehre zu erweisen herübergekommen, und der nun weinte,      wie ein Mann es nicht gern thut.</p><lb/>
        <p>Als die Beisetzung vorüber war, trat der Graf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] hard nicht, weil er überhaupt Niemand sah, und Bernhard kannte ihn nicht, so verändert war sein Gutsherr, der dennoch so viel Fassung behielt, den Schloßbewohnern zu befehlen, den Todesfall möglichst geheim zu halten, damit nicht ein Gerücht zu der Gräfin dringe, die vielleicht schon unterwegs war; und wirklich kam ein Brief vom Badearzte, der schrieb, die Gräfin habe die Rückreise angetreten, weil sie, von schmerzlichen Ahnungen ergriffen, behauptet, ihrem Kinde sei etwas zugestoßen. Niemand begleite sie als ihre Kammerfrau, aber die habe ihm, dem Arzte, bei der Abreise mitgetheilt, die Gräfin sei in einer solchen Aufregung, daß sie für ihre Besinnung fürchte. Was war zu thun? Der Graf empfing den Brief am Sarge seines Kindes, und morgen sollte die unglückliche Mutter eintreffen! Und so kam es, daß bei der nun folgenden Beisetzung der Leiche in die Familiengruft der so zärtliche Vater kaum an seinen gestorbenen Liebling, sondern nur daran dachte, wie er seiner Gemahlin diesen Todesfall verberge, bis sie kräftiger sei, einen so furchtbaren Schlag zu ertragen. Da hörte er hinter sich ein unterdrücktes Schluchzen, er wandte sich unwillkürlich, um zu sehen, wer seinem Kinde diese Theilnahme zolle; sein Auge fiel auf Bernhard, der seinem Pathen die letzte Ehre zu erweisen herübergekommen, und der nun weinte, wie ein Mann es nicht gern thut. Als die Beisetzung vorüber war, trat der Graf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/31
Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/31>, abgerufen am 05.05.2024.