Wenn wir die Munterkeit unserer Leibeskräfte, oder eine Mattigkeit und Krankheit in den Gliedern, oder eine Wallung im Geblüte spüren. Dahin gehören auch die Regungen der Natur, welche auf die Fortpflan- zung gerichtet sind, und welche auch die unschuldigsten oder wildesten Menschen, ohne äußerlichen Reiz, in dem blühenden Alter bey sich empfinden müssen, wenn sie gleich noch selbst nicht wissen, was das sey, oder wohin es ziele. Aber man muß doch überhaupt ge- stehen, daß wir Menschen eine weit genauere innere Empfindung haben von unserm innern Seelenzustande und Beschaffenheit, von ihren Kräften und deren Reg- len, und von den Veränderungen, die darinnen vor- gehen, als wir uns durchs innere Gefühl bewußt seyn können, was in unserm Körper sey und vorgehe, denn wir sind uns alle Augenblicke durch innere Empfindun- gen bewust, daß wir uns etwas in Gedanken vorstel- len, daß wir etwas, und was wir, und warum wir es begehren. Die ganze Vernunft- und Sittenlehre sind bloß auf diese innere Erfahrung gebaut. Aber wer kann bey sich aus innerem Gefühle merken, was er für Theile und Gefäße im Leibe habe, was der Magen und die Gedärme zur Berdauung machen, wie Leber und Milz beschaffen seyen, wie es selbst im Gehirn aussehe, ob alles im guten Stande sey, oder was mit seiner innern Natur und Verfassung des Leibes übereinstimme? Die innere Empfindung dient also dem Menschen mehr, daß er sich der Seele nach kennen lerne, als nach dem Körper etc."
Nach
Wenn wir die Munterkeit unſerer Leibeskraͤfte, oder eine Mattigkeit und Krankheit in den Gliedern, oder eine Wallung im Gebluͤte ſpuͤren. Dahin gehoͤren auch die Regungen der Natur, welche auf die Fortpflan- zung gerichtet ſind, und welche auch die unſchuldigſten oder wildeſten Menſchen, ohne aͤußerlichen Reiz, in dem bluͤhenden Alter bey ſich empfinden muͤſſen, wenn ſie gleich noch ſelbſt nicht wiſſen, was das ſey, oder wohin es ziele. Aber man muß doch uͤberhaupt ge- ſtehen, daß wir Menſchen eine weit genauere innere Empfindung haben von unſerm innern Seelenzuſtande und Beſchaffenheit, von ihren Kraͤften und deren Reg- len, und von den Veraͤnderungen, die darinnen vor- gehen, als wir uns durchs innere Gefuͤhl bewußt ſeyn koͤnnen, was in unſerm Koͤrper ſey und vorgehe, denn wir ſind uns alle Augenblicke durch innere Empfindun- gen bewuſt, daß wir uns etwas in Gedanken vorſtel- len, daß wir etwas, und was wir, und warum wir es begehren. Die ganze Vernunft- und Sittenlehre ſind bloß auf dieſe innere Erfahrung gebaut. Aber wer kann bey ſich aus innerem Gefuͤhle merken, was er fuͤr Theile und Gefaͤße im Leibe habe, was der Magen und die Gedaͤrme zur Berdauung machen, wie Leber und Milz beſchaffen ſeyen, wie es ſelbſt im Gehirn ausſehe, ob alles im guten Stande ſey, oder was mit ſeiner innern Natur und Verfaſſung des Leibes uͤbereinſtimme? Die innere Empfindung dient alſo dem Menſchen mehr, daß er ſich der Seele nach kennen lerne, als nach dem Koͤrper ꝛc.„
Nach
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0107"n="88"/>
Wenn wir die Munterkeit unſerer Leibeskraͤfte, oder<lb/>
eine Mattigkeit und Krankheit in den Gliedern, oder<lb/>
eine Wallung im Gebluͤte ſpuͤren. Dahin gehoͤren auch<lb/>
die Regungen der Natur, welche auf die Fortpflan-<lb/>
zung gerichtet ſind, und welche auch die unſchuldigſten<lb/>
oder wildeſten Menſchen, ohne aͤußerlichen Reiz, in<lb/>
dem bluͤhenden Alter bey ſich empfinden muͤſſen, wenn<lb/>ſie gleich noch ſelbſt nicht wiſſen, was das ſey, oder<lb/>
wohin es ziele. Aber man muß doch uͤberhaupt ge-<lb/>ſtehen, daß wir Menſchen eine weit genauere innere<lb/>
Empfindung haben von unſerm innern Seelenzuſtande<lb/>
und Beſchaffenheit, von ihren Kraͤften und deren Reg-<lb/>
len, und von den Veraͤnderungen, die darinnen vor-<lb/>
gehen, als wir uns durchs innere Gefuͤhl bewußt ſeyn<lb/>
koͤnnen, was in unſerm Koͤrper ſey und vorgehe, denn<lb/>
wir ſind uns alle Augenblicke durch innere Empfindun-<lb/>
gen bewuſt, daß wir uns etwas in Gedanken vorſtel-<lb/>
len, daß wir etwas, und was wir, und warum wir<lb/>
es begehren. Die ganze Vernunft- und Sittenlehre<lb/>ſind bloß auf dieſe innere Erfahrung gebaut. Aber<lb/>
wer kann bey ſich aus innerem Gefuͤhle merken, was<lb/>
er fuͤr Theile und Gefaͤße im Leibe habe, was der<lb/>
Magen und die Gedaͤrme zur Berdauung machen,<lb/>
wie Leber und Milz beſchaffen ſeyen, wie es ſelbſt<lb/>
im Gehirn ausſehe, ob alles im guten Stande ſey,<lb/>
oder was mit ſeiner innern Natur und Verfaſſung des<lb/>
Leibes uͤbereinſtimme? Die innere Empfindung dient<lb/>
alſo dem Menſchen mehr, daß er ſich der Seele nach<lb/>
kennen lerne, als nach dem Koͤrper ꝛc.„</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nach</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[88/0107]
Wenn wir die Munterkeit unſerer Leibeskraͤfte, oder
eine Mattigkeit und Krankheit in den Gliedern, oder
eine Wallung im Gebluͤte ſpuͤren. Dahin gehoͤren auch
die Regungen der Natur, welche auf die Fortpflan-
zung gerichtet ſind, und welche auch die unſchuldigſten
oder wildeſten Menſchen, ohne aͤußerlichen Reiz, in
dem bluͤhenden Alter bey ſich empfinden muͤſſen, wenn
ſie gleich noch ſelbſt nicht wiſſen, was das ſey, oder
wohin es ziele. Aber man muß doch uͤberhaupt ge-
ſtehen, daß wir Menſchen eine weit genauere innere
Empfindung haben von unſerm innern Seelenzuſtande
und Beſchaffenheit, von ihren Kraͤften und deren Reg-
len, und von den Veraͤnderungen, die darinnen vor-
gehen, als wir uns durchs innere Gefuͤhl bewußt ſeyn
koͤnnen, was in unſerm Koͤrper ſey und vorgehe, denn
wir ſind uns alle Augenblicke durch innere Empfindun-
gen bewuſt, daß wir uns etwas in Gedanken vorſtel-
len, daß wir etwas, und was wir, und warum wir
es begehren. Die ganze Vernunft- und Sittenlehre
ſind bloß auf dieſe innere Erfahrung gebaut. Aber
wer kann bey ſich aus innerem Gefuͤhle merken, was
er fuͤr Theile und Gefaͤße im Leibe habe, was der
Magen und die Gedaͤrme zur Berdauung machen,
wie Leber und Milz beſchaffen ſeyen, wie es ſelbſt
im Gehirn ausſehe, ob alles im guten Stande ſey,
oder was mit ſeiner innern Natur und Verfaſſung des
Leibes uͤbereinſtimme? Die innere Empfindung dient
alſo dem Menſchen mehr, daß er ſich der Seele nach
kennen lerne, als nach dem Koͤrper ꝛc.„
Nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/107>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.