auch die zartesten Thiere wissen, sobald sie aus Mut- terleib oder auf die Welt gesetzt sind, was ihnen nach- theilig sey, und fliehen das schädliche; die, welche den Raubvögeln unterwürfig sind, scheuen sich sogar vor den Schatten der vorüberfliegenden. Frage nicht, wie ist das möglich? Die Frage ist nicht, wie sie das wis- sen können, sondern, ob sie es wissen. -- Warum flieht die Henne nicht vor einem Pfauen, oder vor ei- ner Gans, da sie doch vor dem Habicht, der noch klei- ner ist, und den sie noch nicht einmal kennet, flieht? -- Es ist klar, daß sie eine Erkenntniß von dem Schäd- lichen haben, welches sie nicht aus der Erfahrung ge- lernt; denn sie hüten sich schon davor, ehe sie die Erfahrung bekommen können. -- Was die Uibung lehret, das entsteht langsam, und geschieht auf man- cherley Art; was aber die Natur selbst gelehret, das ist bey allen gleich, und alsobald da -- es geschieht ohne Nachdenken und Uiberlegung, wozu die Natur treibt. Du siehst ja, mit welcher Behendigkeit die Bienen ihren Bau anzulegen wissen, und mit welcher Eintracht sie die verschiedenen Arbeiten unter sich thei- len. Siehst du nicht, daß die Weberey der Spinne für uns Menschen unnachahmlich sey? was es für ein Werk sey, die Fäden in die Ordnung zu bringen, daß einige zur Festigkeit gerade in den Mittelpunkt geführt werden, andere in die Runde laufen, und immer wei- ter auseinander gehen, damit andere kleinere Thiere, denen nachgestellet wird, als in einem Netze darinnen verwickelt und gefangen werden mögen? Die Kunst entspringet mit der Geburt und wird nicht gelernet:
Daher
auch die zarteſten Thiere wiſſen, ſobald ſie aus Mut- terleib oder auf die Welt geſetzt ſind, was ihnen nach- theilig ſey, und fliehen das ſchaͤdliche; die, welche den Raubvoͤgeln unterwuͤrfig ſind, ſcheuen ſich ſogar vor den Schatten der voruͤberfliegenden. Frage nicht, wie iſt das moͤglich? Die Frage iſt nicht, wie ſie das wiſ- ſen koͤnnen, ſondern, ob ſie es wiſſen. — Warum flieht die Henne nicht vor einem Pfauen, oder vor ei- ner Gans, da ſie doch vor dem Habicht, der noch klei- ner iſt, und den ſie noch nicht einmal kennet, flieht? — Es iſt klar, daß ſie eine Erkenntniß von dem Schaͤd- lichen haben, welches ſie nicht aus der Erfahrung ge- lernt; denn ſie huͤten ſich ſchon davor, ehe ſie die Erfahrung bekommen koͤnnen. — Was die Uibung lehret, das entſteht langſam, und geſchieht auf man- cherley Art; was aber die Natur ſelbſt gelehret, das iſt bey allen gleich, und alſobald da — es geſchieht ohne Nachdenken und Uiberlegung, wozu die Natur treibt. Du ſiehſt ja, mit welcher Behendigkeit die Bienen ihren Bau anzulegen wiſſen, und mit welcher Eintracht ſie die verſchiedenen Arbeiten unter ſich thei- len. Siehſt du nicht, daß die Weberey der Spinne fuͤr uns Menſchen unnachahmlich ſey? was es fuͤr ein Werk ſey, die Faͤden in die Ordnung zu bringen, daß einige zur Feſtigkeit gerade in den Mittelpunkt gefuͤhrt werden, andere in die Runde laufen, und immer wei- ter auseinander gehen, damit andere kleinere Thiere, denen nachgeſtellet wird, als in einem Netze darinnen verwickelt und gefangen werden moͤgen? Die Kunſt entſpringet mit der Geburt und wird nicht gelernet:
Daher
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auch die zarteſten Thiere wiſſen, ſobald ſie aus Mut-
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theilig ſey, und fliehen das ſchaͤdliche; die, welche den
Raubvoͤgeln unterwuͤrfig ſind, ſcheuen ſich ſogar vor
den Schatten der voruͤberfliegenden. Frage nicht, wie
iſt das moͤglich? Die Frage iſt nicht, wie ſie das wiſ-
ſen koͤnnen, ſondern, ob ſie es wiſſen. — Warum
flieht die Henne nicht vor einem Pfauen, oder vor ei-
ner Gans, da ſie doch vor dem Habicht, der noch klei-
ner iſt, und den ſie noch nicht einmal kennet, flieht?
— Es iſt klar, daß ſie eine Erkenntniß von dem Schaͤd-
lichen haben, welches ſie nicht aus der Erfahrung ge-
lernt; denn ſie huͤten ſich ſchon davor, ehe ſie die
Erfahrung bekommen koͤnnen. — Was die Uibung
lehret, das entſteht langſam, und geſchieht auf man-
cherley Art; was aber die Natur ſelbſt gelehret, das
iſt bey allen gleich, und alſobald da — es geſchieht
ohne Nachdenken und Uiberlegung, wozu die Natur
treibt. Du ſiehſt ja, mit welcher Behendigkeit die
Bienen ihren Bau anzulegen wiſſen, und mit welcher
Eintracht ſie die verſchiedenen Arbeiten unter ſich thei-
len. Siehſt du nicht, daß die Weberey der Spinne
fuͤr uns Menſchen unnachahmlich ſey? was es fuͤr ein
Werk ſey, die Faͤden in die Ordnung zu bringen, daß
einige zur Feſtigkeit gerade in den Mittelpunkt gefuͤhrt
werden, andere in die Runde laufen, und immer wei-
ter auseinander gehen, damit andere kleinere Thiere,
denen nachgeſtellet wird, als in einem Netze darinnen
verwickelt und gefangen werden moͤgen? Die Kunſt
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/112>, abgerufen am 09.11.2024.
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