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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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unruhig, und wechselt mit der Dauer und Stärke der
schmerzhaften Empfindungen selbst ab. Das Geschrey
der Bosheit zeugt überhaupt von mehr Kraft, und ist,
nebst dem, daß es von andern Bewegungen der Glie-
der begleitet wird, zwar heftig, aber wird aus einem
gröbern Tone angestimmt. Es geht endlich in jenes der
langen Weile über, welches aus noch gröbern, eintöni-
gen, abgestossenen, faulen, hie und da schwächern,
ausgesetzten, bald aber wieder mit mehr Stärke an-
gestimmten Tönen besteht. Wenn das Kind um
Speiße und Trank, oder etwan in der Absicht schreit,
daß es solle gewieget oder getragen werden u. d. gl.
so wird es ihm nie fehlen, in dem Gemüthe seiner
Mutter jenes Gefühl zu erwecken, wodurch sie zur Er-
füllung seiner Wünsche bestimmt wird. -- Zum Säu-
gen werden sehr viele Muskeln, sehr verwickelte und
abwechselnde Bewegungen derselben erfordert, und
dennoch säugt es gleich anfänglich meisterhaft; und
läßt man ihm die Hände frey, so legt es sie auf die Brust,
befördert den Ausfluß der Milch durch sein abwech-
selndes Drucken und Grabbeln eben so geschickt, als
es das säugende Kalb durch das Aufstossen gegen
das Euter mit dem Maule, und der Hund durch das
wechselseitige Anstemmen seiner Pfoten auf die Zizen
zu rhun im Stande sind. Sobald dergleichen Kunst-
griffe und Geschicklichkeiten entbehrlich geworden sind,
sobald fangen wir an, sie zu vergessen und zu verlernen,
und der ausgezehrte Vater muß es von seinem Kinde
absehen, wie er am geschicktesten die Brüste seiner Am-
me aussaugen könne, um aufs Neue belebt zu werden.

-- Die

unruhig, und wechſelt mit der Dauer und Staͤrke der
ſchmerzhaften Empfindungen ſelbſt ab. Das Geſchrey
der Bosheit zeugt uͤberhaupt von mehr Kraft, und iſt,
nebſt dem, daß es von andern Bewegungen der Glie-
der begleitet wird, zwar heftig, aber wird aus einem
groͤbern Tone angeſtimmt. Es geht endlich in jenes der
langen Weile uͤber, welches aus noch groͤbern, eintoͤni-
gen, abgeſtoſſenen, faulen, hie und da ſchwaͤchern,
ausgeſetzten, bald aber wieder mit mehr Staͤrke an-
geſtimmten Toͤnen beſteht. Wenn das Kind um
Speiße und Trank, oder etwan in der Abſicht ſchreit,
daß es ſolle gewieget oder getragen werden u. d. gl.
ſo wird es ihm nie fehlen, in dem Gemuͤthe ſeiner
Mutter jenes Gefuͤhl zu erwecken, wodurch ſie zur Er-
fuͤllung ſeiner Wuͤnſche beſtimmt wird. — Zum Saͤu-
gen werden ſehr viele Muskeln, ſehr verwickelte und
abwechſelnde Bewegungen derſelben erfordert, und
dennoch ſaͤugt es gleich anfaͤnglich meiſterhaft; und
laͤßt man ihm die Haͤnde frey, ſo legt es ſie auf die Bruſt,
befoͤrdert den Ausfluß der Milch durch ſein abwech-
ſelndes Drucken und Grabbeln eben ſo geſchickt, als
es das ſaͤugende Kalb durch das Aufſtoſſen gegen
das Euter mit dem Maule, und der Hund durch das
wechſelſeitige Anſtemmen ſeiner Pfoten auf die Zizen
zu rhun im Stande ſind. Sobald dergleichen Kunſt-
griffe und Geſchicklichkeiten entbehrlich geworden ſind,
ſobald fangen wir an, ſie zu vergeſſen und zu verlernen,
und der ausgezehrte Vater muß es von ſeinem Kinde
abſehen, wie er am geſchickteſten die Bruͤſte ſeiner Am-
me ausſaugen koͤnne, um aufs Neue belebt zu werden.

— Die
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[114/0133] unruhig, und wechſelt mit der Dauer und Staͤrke der ſchmerzhaften Empfindungen ſelbſt ab. Das Geſchrey der Bosheit zeugt uͤberhaupt von mehr Kraft, und iſt, nebſt dem, daß es von andern Bewegungen der Glie- der begleitet wird, zwar heftig, aber wird aus einem groͤbern Tone angeſtimmt. Es geht endlich in jenes der langen Weile uͤber, welches aus noch groͤbern, eintoͤni- gen, abgeſtoſſenen, faulen, hie und da ſchwaͤchern, ausgeſetzten, bald aber wieder mit mehr Staͤrke an- geſtimmten Toͤnen beſteht. Wenn das Kind um Speiße und Trank, oder etwan in der Abſicht ſchreit, daß es ſolle gewieget oder getragen werden u. d. gl. ſo wird es ihm nie fehlen, in dem Gemuͤthe ſeiner Mutter jenes Gefuͤhl zu erwecken, wodurch ſie zur Er- fuͤllung ſeiner Wuͤnſche beſtimmt wird. — Zum Saͤu- gen werden ſehr viele Muskeln, ſehr verwickelte und abwechſelnde Bewegungen derſelben erfordert, und dennoch ſaͤugt es gleich anfaͤnglich meiſterhaft; und laͤßt man ihm die Haͤnde frey, ſo legt es ſie auf die Bruſt, befoͤrdert den Ausfluß der Milch durch ſein abwech- ſelndes Drucken und Grabbeln eben ſo geſchickt, als es das ſaͤugende Kalb durch das Aufſtoſſen gegen das Euter mit dem Maule, und der Hund durch das wechſelſeitige Anſtemmen ſeiner Pfoten auf die Zizen zu rhun im Stande ſind. Sobald dergleichen Kunſt- griffe und Geſchicklichkeiten entbehrlich geworden ſind, ſobald fangen wir an, ſie zu vergeſſen und zu verlernen, und der ausgezehrte Vater muß es von ſeinem Kinde abſehen, wie er am geſchickteſten die Bruͤſte ſeiner Am- me ausſaugen koͤnne, um aufs Neue belebt zu werden. — Die

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/133>, abgerufen am 21.11.2024.