den Reiz von den Nerven entfernte; erregte eine ver- schlückte Nadel den schmerzhaftesten Krampf, der alle Hilfe von oben und unten gewaltthätig abwendete, der den verletzten Darm heftig entzündete, und unter schrecklichen Martern das Leben durch den Brand zer- störte; so hatte zwar die Seele die beste Absicht; al- lein sie konnte, wie alle erschaffenen Dinge, nicht über- all und allzeit gute Wirkungen hervorbringen. -- In der Wasserscheue stemmte sie sich, so lange sie konnte, gegen den heftigen Trieb zu beißen; sie warnte die Umstehenden, ließ die Gliedmassen bereitwillig in Fes- seln legen, bis sie endlich vom unseeligen Drang über- wältigt die körperlichen Bewegungen nimmer einhalten konnte.*) So prieß und entschuldigte man sie in al- lem, was im gesunden und kranken Zustande des Men- schen bis zum Tode vorgieng.
Dieser Meinung war vorzüglich Stahl, der unter seinen Schülern einen grossen Anhang bekam. Die Bewegungen der thierischen Werkzeuge, als: den Umlauf der allgemeinen Säfte sowohl durch die Schlag- als Blutadern in Verbindung mit der Bewegung des Herzens und der Athemwerkzeuge, als auch durch das System der Lymphengefäße; alle Absonderungen und Ausführungen, welche theils in den schlauchförmigen Absonderungswerkzeugen, in dem Magen, in den Ge- därmen u. s. w. theils in den Drüsen und drüsenarti- gen Eingeweiden geschehen, betrachtete er als Thä- tigkeiten der Seelenkraft, welche, mittelst der den
Ner-
*)Albrecht de Thaer de actione Systematis nervosi in febribus §. X. p. 25.
den Reiz von den Nerven entfernte; erregte eine ver- ſchluͤckte Nadel den ſchmerzhafteſten Krampf, der alle Hilfe von oben und unten gewaltthaͤtig abwendete, der den verletzten Darm heftig entzuͤndete, und unter ſchrecklichen Martern das Leben durch den Brand zer- ſtoͤrte; ſo hatte zwar die Seele die beſte Abſicht; al- lein ſie konnte, wie alle erſchaffenen Dinge, nicht uͤber- all und allzeit gute Wirkungen hervorbringen. — In der Waſſerſcheue ſtemmte ſie ſich, ſo lange ſie konnte, gegen den heftigen Trieb zu beißen; ſie warnte die Umſtehenden, ließ die Gliedmaſſen bereitwillig in Feſ- ſeln legen, bis ſie endlich vom unſeeligen Drang uͤber- waͤltigt die koͤrperlichen Bewegungen nimmer einhalten konnte.*) So prieß und entſchuldigte man ſie in al- lem, was im geſunden und kranken Zuſtande des Men- ſchen bis zum Tode vorgieng.
Dieſer Meinung war vorzuͤglich Stahl, der unter ſeinen Schuͤlern einen groſſen Anhang bekam. Die Bewegungen der thieriſchen Werkzeuge, als: den Umlauf der allgemeinen Saͤfte ſowohl durch die Schlag- als Blutadern in Verbindung mit der Bewegung des Herzens und der Athemwerkzeuge, als auch durch das Syſtem der Lymphengefaͤße; alle Abſonderungen und Ausfuͤhrungen, welche theils in den ſchlauchfoͤrmigen Abſonderungswerkzeugen, in dem Magen, in den Ge- daͤrmen u. ſ. w. theils in den Druͤſen und druͤſenarti- gen Eingeweiden geſchehen, betrachtete er als Thaͤ- tigkeiten der Seelenkraft, welche, mittelſt der den
Ner-
*)Albrecht de Thaer de actione Syſtematis nervoſi in febribus §. X. p. 25.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0027"n="8"/>
den Reiz von den Nerven entfernte; erregte eine ver-<lb/>ſchluͤckte Nadel den ſchmerzhafteſten Krampf, der alle<lb/>
Hilfe von oben und unten gewaltthaͤtig abwendete,<lb/>
der den verletzten Darm heftig entzuͤndete, und unter<lb/>ſchrecklichen Martern das Leben durch den Brand zer-<lb/>ſtoͤrte; ſo hatte zwar die Seele die beſte Abſicht; al-<lb/>
lein ſie konnte, wie alle erſchaffenen Dinge, nicht uͤber-<lb/>
all und allzeit gute Wirkungen hervorbringen. — In<lb/>
der Waſſerſcheue ſtemmte ſie ſich, ſo lange ſie konnte,<lb/>
gegen den heftigen Trieb zu beißen; ſie warnte die<lb/>
Umſtehenden, ließ die Gliedmaſſen bereitwillig in Feſ-<lb/>ſeln legen, bis ſie endlich vom unſeeligen Drang uͤber-<lb/>
waͤltigt die koͤrperlichen Bewegungen nimmer einhalten<lb/>
konnte.<noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Albrecht de Thaer de actione Syſtematis nervoſi in febribus<lb/>
§. X. p. 25.</hi></note> So prieß und entſchuldigte man ſie in al-<lb/>
lem, was im geſunden und kranken Zuſtande des Men-<lb/>ſchen bis zum Tode vorgieng.</p><lb/><p>Dieſer Meinung war vorzuͤglich <hirendition="#fr">Stahl</hi>, der<lb/>
unter ſeinen Schuͤlern einen groſſen Anhang bekam.<lb/>
Die Bewegungen der thieriſchen Werkzeuge, als: den<lb/>
Umlauf der allgemeinen Saͤfte ſowohl durch die Schlag-<lb/>
als Blutadern in Verbindung mit der Bewegung des<lb/>
Herzens und der Athemwerkzeuge, als auch durch das<lb/>
Syſtem der Lymphengefaͤße; alle Abſonderungen und<lb/>
Ausfuͤhrungen, welche theils in den ſchlauchfoͤrmigen<lb/>
Abſonderungswerkzeugen, in dem Magen, in den Ge-<lb/>
daͤrmen u. ſ. w. theils in den Druͤſen und druͤſenarti-<lb/>
gen Eingeweiden geſchehen, betrachtete er als Thaͤ-<lb/>
tigkeiten der Seelenkraft, welche, mittelſt der den<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ner-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[8/0027]
den Reiz von den Nerven entfernte; erregte eine ver-
ſchluͤckte Nadel den ſchmerzhafteſten Krampf, der alle
Hilfe von oben und unten gewaltthaͤtig abwendete,
der den verletzten Darm heftig entzuͤndete, und unter
ſchrecklichen Martern das Leben durch den Brand zer-
ſtoͤrte; ſo hatte zwar die Seele die beſte Abſicht; al-
lein ſie konnte, wie alle erſchaffenen Dinge, nicht uͤber-
all und allzeit gute Wirkungen hervorbringen. — In
der Waſſerſcheue ſtemmte ſie ſich, ſo lange ſie konnte,
gegen den heftigen Trieb zu beißen; ſie warnte die
Umſtehenden, ließ die Gliedmaſſen bereitwillig in Feſ-
ſeln legen, bis ſie endlich vom unſeeligen Drang uͤber-
waͤltigt die koͤrperlichen Bewegungen nimmer einhalten
konnte. *) So prieß und entſchuldigte man ſie in al-
lem, was im geſunden und kranken Zuſtande des Men-
ſchen bis zum Tode vorgieng.
Dieſer Meinung war vorzuͤglich Stahl, der
unter ſeinen Schuͤlern einen groſſen Anhang bekam.
Die Bewegungen der thieriſchen Werkzeuge, als: den
Umlauf der allgemeinen Saͤfte ſowohl durch die Schlag-
als Blutadern in Verbindung mit der Bewegung des
Herzens und der Athemwerkzeuge, als auch durch das
Syſtem der Lymphengefaͤße; alle Abſonderungen und
Ausfuͤhrungen, welche theils in den ſchlauchfoͤrmigen
Abſonderungswerkzeugen, in dem Magen, in den Ge-
daͤrmen u. ſ. w. theils in den Druͤſen und druͤſenarti-
gen Eingeweiden geſchehen, betrachtete er als Thaͤ-
tigkeiten der Seelenkraft, welche, mittelſt der den
Ner-
*) Albrecht de Thaer de actione Syſtematis nervoſi in febribus
§. X. p. 25.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/27>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.