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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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steht aber, daß seine Natur, sein verständiges We-
sen "manchmal furchtsam, zweifelhaft und unschlü-
ßig verfahre, z. B. wo ein ansteckendes und zum
kalten Brand eilendes Wesen vorhanden ist." u. d. gl.

Dergleichen Gesinnungen müssen einigen neuern
Schriftstellern, welche ein Geschäft daraus machen,
so manche unerklärbare Fähigkeit unserer Seele theils
zu erläutern, theils zu erdichten, ungemein willkom-
men seyn. Diese Leute sind so von ihrer Seele be-
zaubert, daß sie derselben Kraft und Thätigkeit in al-
len Ecken zu sehen glauben. Eckartshausen sagt: "Da
der Schöpfer in den Körperbau der Thiere tausend
Mittel zu ihrer Erhaltung legte; wie viel vollkomm-
nere wird er nicht in die feinere Organisation des
Menschen und in seine Seele gelegt haben"! -- Bis
daher vortrefflich -- -- "Einen Beweis der Thätig-
keit der Seele, fährt er fort, haben wir an Men-
schen und Geschöpfen, die eines Sinnes verlustigt
werden. Die Seele sucht alsogleich durch einen
andern Sinn den Verlust zu ersetzen, und wendet
alle ihre Kraft zur Verfeinerung anderer Organe
an."

Aus Vorliebe zur Geisterwelt verwechseln sie
bald das Vermögen, verworrene, dunkle Begriffe
unter gewissen Umständen zu entwicklen und aufzuklä-
ren, mit der unmittelbaren Vorhersehungskraft; bald
den geheimen Gang der Gewohnheit, das Geschäft
der Ideenvergesellschaftung, Wirkungen schwacher,
entfernter, unfühlbarer Ursachen, mit dem unabhän-
gigen Ahndungsvermögen. Die Leichtglaubigkeit

belegt

ſteht aber, daß ſeine Natur, ſein verſtaͤndiges We-
ſen “manchmal furchtſam, zweifelhaft und unſchluͤ-
ßig verfahre, z. B. wo ein anſteckendes und zum
kalten Brand eilendes Weſen vorhanden iſt.„ u. d. gl.

Dergleichen Geſinnungen muͤſſen einigen neuern
Schriftſtellern, welche ein Geſchaͤft daraus machen,
ſo manche unerklaͤrbare Faͤhigkeit unſerer Seele theils
zu erlaͤutern, theils zu erdichten, ungemein willkom-
men ſeyn. Dieſe Leute ſind ſo von ihrer Seele be-
zaubert, daß ſie derſelben Kraft und Thaͤtigkeit in al-
len Ecken zu ſehen glauben. Eckartshauſen ſagt: “Da
der Schoͤpfer in den Koͤrperbau der Thiere tauſend
Mittel zu ihrer Erhaltung legte; wie viel vollkomm-
nere wird er nicht in die feinere Organiſation des
Menſchen und in ſeine Seele gelegt haben„! — Bis
daher vortrefflich — — “Einen Beweis der Thaͤtig-
keit der Seele, faͤhrt er fort, haben wir an Men-
ſchen und Geſchoͤpfen, die eines Sinnes verluſtigt
werden. Die Seele ſucht alſogleich durch einen
andern Sinn den Verluſt zu erſetzen, und wendet
alle ihre Kraft zur Verfeinerung anderer Organe
an.„

Aus Vorliebe zur Geiſterwelt verwechſeln ſie
bald das Vermoͤgen, verworrene, dunkle Begriffe
unter gewiſſen Umſtaͤnden zu entwicklen und aufzuklaͤ-
ren, mit der unmittelbaren Vorherſehungskraft; bald
den geheimen Gang der Gewohnheit, das Geſchaͤft
der Ideenvergeſellſchaftung, Wirkungen ſchwacher,
entfernter, unfuͤhlbarer Urſachen, mit dem unabhaͤn-
gigen Ahndungsvermoͤgen. Die Leichtglaubigkeit

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[11/0030] ſteht aber, daß ſeine Natur, ſein verſtaͤndiges We- ſen “manchmal furchtſam, zweifelhaft und unſchluͤ- ßig verfahre, z. B. wo ein anſteckendes und zum kalten Brand eilendes Weſen vorhanden iſt.„ u. d. gl. Dergleichen Geſinnungen muͤſſen einigen neuern Schriftſtellern, welche ein Geſchaͤft daraus machen, ſo manche unerklaͤrbare Faͤhigkeit unſerer Seele theils zu erlaͤutern, theils zu erdichten, ungemein willkom- men ſeyn. Dieſe Leute ſind ſo von ihrer Seele be- zaubert, daß ſie derſelben Kraft und Thaͤtigkeit in al- len Ecken zu ſehen glauben. Eckartshauſen ſagt: “Da der Schoͤpfer in den Koͤrperbau der Thiere tauſend Mittel zu ihrer Erhaltung legte; wie viel vollkomm- nere wird er nicht in die feinere Organiſation des Menſchen und in ſeine Seele gelegt haben„! — Bis daher vortrefflich — — “Einen Beweis der Thaͤtig- keit der Seele, faͤhrt er fort, haben wir an Men- ſchen und Geſchoͤpfen, die eines Sinnes verluſtigt werden. Die Seele ſucht alſogleich durch einen andern Sinn den Verluſt zu erſetzen, und wendet alle ihre Kraft zur Verfeinerung anderer Organe an.„ Aus Vorliebe zur Geiſterwelt verwechſeln ſie bald das Vermoͤgen, verworrene, dunkle Begriffe unter gewiſſen Umſtaͤnden zu entwicklen und aufzuklaͤ- ren, mit der unmittelbaren Vorherſehungskraft; bald den geheimen Gang der Gewohnheit, das Geſchaͤft der Ideenvergeſellſchaftung, Wirkungen ſchwacher, entfernter, unfuͤhlbarer Urſachen, mit dem unabhaͤn- gigen Ahndungsvermoͤgen. Die Leichtglaubigkeit belegt

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/30>, abgerufen am 21.11.2024.