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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Aus dergleichen Erfahrungen macht er den Schluß:
daß das menschliche Geschlecht an seiner guten Be-
schaffenheit viel bisher verloren habe, und das allge-
meine Gesundheitswohl gegen jenes älterer Zeiten in
gewisser Abnahme sey, indem die Dauer unsers Le-
bens vorzüglich auf der ursprünglichen guten Beschaf-
fenheit unsers Körpers ruhe.

Es ist also gewiß, daß der beträchtlichste Un-
terschied zwischen den Krankheiten gesitteter und roher
Völker, alter und neuer Zeiten, aus der bessern oder
schlechtern Leibesbeschaffenheit entspringe. Und dieses
ist auch die Quelle jener unzählbaren Widersprüche,
die man bey den Schriftstellern in Hinsicht des Ver-
laufes, der Dauer, der Zufälle, und der Heilanzeigen
zu verschiedenen Zeiten und bey verschiedenen Völkern
antrift.

Diese Betrachtungen, besonders wenn sie wei-
ter ausgedehnt würden, könnten vorzüglich dazu die-
nen, den Antheil der Wirksamkeit oder des Unvermö-
gens der Natur bey jeder Krankheit zu bestimmen.
Wenn wir zum Beyspiele sehen, daß die ersten Fol-
gen, einer vom höchsten Grade der Vollkommenheit
abweichenden Leibesbeschaffenheit, allerlei Auswürfe auf
der Oberfläche des Körpers, und gewisse Gattungen
Fieber sind, so dörfen wir in diesen Ausschlägen und
Fiebern noch das meiste von der Thätigkeit der Na-
tur erwarten, und umgekehrt. Auch läßt sich dadurch
die Stuffenfolge der Krankheiten einem jeden Volke
eben so sicher weissagen, als man den Gang seiner
Sitten und seiner Lebensart zum voraus bestimmen könn-

te.

Aus dergleichen Erfahrungen macht er den Schluß:
daß das menſchliche Geſchlecht an ſeiner guten Be-
ſchaffenheit viel bisher verloren habe, und das allge-
meine Geſundheitswohl gegen jenes aͤlterer Zeiten in
gewiſſer Abnahme ſey, indem die Dauer unſers Le-
bens vorzuͤglich auf der urſpruͤnglichen guten Beſchaf-
fenheit unſers Koͤrpers ruhe.

Es iſt alſo gewiß, daß der betraͤchtlichſte Un-
terſchied zwiſchen den Krankheiten geſitteter und roher
Voͤlker, alter und neuer Zeiten, aus der beſſern oder
ſchlechtern Leibesbeſchaffenheit entſpringe. Und dieſes
iſt auch die Quelle jener unzaͤhlbaren Widerſpruͤche,
die man bey den Schriftſtellern in Hinſicht des Ver-
laufes, der Dauer, der Zufaͤlle, und der Heilanzeigen
zu verſchiedenen Zeiten und bey verſchiedenen Voͤlkern
antrift.

Dieſe Betrachtungen, beſonders wenn ſie wei-
ter ausgedehnt wuͤrden, koͤnnten vorzuͤglich dazu die-
nen, den Antheil der Wirkſamkeit oder des Unvermoͤ-
gens der Natur bey jeder Krankheit zu beſtimmen.
Wenn wir zum Beyſpiele ſehen, daß die erſten Fol-
gen, einer vom hoͤchſten Grade der Vollkommenheit
abweichenden Leibesbeſchaffenheit, allerlei Auswuͤrfe auf
der Oberflaͤche des Koͤrpers, und gewiſſe Gattungen
Fieber ſind, ſo doͤrfen wir in dieſen Ausſchlaͤgen und
Fiebern noch das meiſte von der Thaͤtigkeit der Na-
tur erwarten, und umgekehrt. Auch laͤßt ſich dadurch
die Stuffenfolge der Krankheiten einem jeden Volke
eben ſo ſicher weiſſagen, als man den Gang ſeiner
Sitten und ſeiner Lebensart zum voraus beſtimmen koͤnn-

te.
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[301/0320] Aus dergleichen Erfahrungen macht er den Schluß: daß das menſchliche Geſchlecht an ſeiner guten Be- ſchaffenheit viel bisher verloren habe, und das allge- meine Geſundheitswohl gegen jenes aͤlterer Zeiten in gewiſſer Abnahme ſey, indem die Dauer unſers Le- bens vorzuͤglich auf der urſpruͤnglichen guten Beſchaf- fenheit unſers Koͤrpers ruhe. Es iſt alſo gewiß, daß der betraͤchtlichſte Un- terſchied zwiſchen den Krankheiten geſitteter und roher Voͤlker, alter und neuer Zeiten, aus der beſſern oder ſchlechtern Leibesbeſchaffenheit entſpringe. Und dieſes iſt auch die Quelle jener unzaͤhlbaren Widerſpruͤche, die man bey den Schriftſtellern in Hinſicht des Ver- laufes, der Dauer, der Zufaͤlle, und der Heilanzeigen zu verſchiedenen Zeiten und bey verſchiedenen Voͤlkern antrift. Dieſe Betrachtungen, beſonders wenn ſie wei- ter ausgedehnt wuͤrden, koͤnnten vorzuͤglich dazu die- nen, den Antheil der Wirkſamkeit oder des Unvermoͤ- gens der Natur bey jeder Krankheit zu beſtimmen. Wenn wir zum Beyſpiele ſehen, daß die erſten Fol- gen, einer vom hoͤchſten Grade der Vollkommenheit abweichenden Leibesbeſchaffenheit, allerlei Auswuͤrfe auf der Oberflaͤche des Koͤrpers, und gewiſſe Gattungen Fieber ſind, ſo doͤrfen wir in dieſen Ausſchlaͤgen und Fiebern noch das meiſte von der Thaͤtigkeit der Na- tur erwarten, und umgekehrt. Auch laͤßt ſich dadurch die Stuffenfolge der Krankheiten einem jeden Volke eben ſo ſicher weiſſagen, als man den Gang ſeiner Sitten und ſeiner Lebensart zum voraus beſtimmen koͤnn- te.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/320>, abgerufen am 22.11.2024.