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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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das Blatterngift, sondern blos der ungesunde Körper
zu beschuldigen ist. Er folgert daraus mit allem Rech-
te auf die Eitelkeit eines eigenen Gegenmittels gegen
die bösartigen Blattern, weil nämlich der Grund der
Bösartigkeit nicht im Blatternstoffe, sondern in der
Leibesbeschaffenheit des Kranken lieget.*) -- Von
den 738. Personen, welche Jenner einnimpfte, star-
ben nur zwey. Der eine ein junger Mann von zwey
und zwanzig Jahren, der nach einem vor einigen Mo-
naten erlittenen, aussetzenden Fieber wassersüchtig ge-
worden war, und gar keine Pockenzufälle bekam. Der
andere ein Kind von drey Monaten, welches von Ge-
burt an den Zuckungen unterworfen gewesen ist.**)

Aber auch da giebt es Ausnahmen. Syden-
ham
beobachtete bey einer sonst gleichen Heilart die
zusammfließenden Blattern am öftesten bey starken,
vollblütigen, ausgewachsenen jungen Leuten, wie z.
B. bey dem Bedienten des Elliot. Zärtliche, schwäch-
liche Kinder, da sie nur eines geringen Fiebers fä-
hig sind, bekommen allermeist gutartigere und weni-
ger Blattern. -- Ich weiß, daß in unserer letzten
Blatternepidemie venerische Kinder sehr gut durchka-
men, da gesunde von den schlimmsten Blattern befal-
len wurden. Deßwegen nehmen wir keinen Anstand,
geknüpfte und skrophulöse Kinder zu impfen. Eine
Krankheit von entzündlicher Natur kann solchen Kör-
pern bey kluger Aufsicht mehr zum Vortheil als Nach-
theil gereichen.


*) Strack responsum ad Quaestionem de enervando variola-
rum miasmate. p. 21.
**) Lentin Beyt. z. aus. Arz. S. 203.

das Blatterngift, ſondern blos der ungeſunde Koͤrper
zu beſchuldigen iſt. Er folgert daraus mit allem Rech-
te auf die Eitelkeit eines eigenen Gegenmittels gegen
die boͤsartigen Blattern, weil naͤmlich der Grund der
Boͤsartigkeit nicht im Blatternſtoffe, ſondern in der
Leibesbeſchaffenheit des Kranken lieget.*) — Von
den 738. Perſonen, welche Jenner einnimpfte, ſtar-
ben nur zwey. Der eine ein junger Mann von zwey
und zwanzig Jahren, der nach einem vor einigen Mo-
naten erlittenen, ausſetzenden Fieber waſſerſuͤchtig ge-
worden war, und gar keine Pockenzufaͤlle bekam. Der
andere ein Kind von drey Monaten, welches von Ge-
burt an den Zuckungen unterworfen geweſen iſt.**)

Aber auch da giebt es Ausnahmen. Syden-
ham
beobachtete bey einer ſonſt gleichen Heilart die
zuſammfließenden Blattern am oͤfteſten bey ſtarken,
vollbluͤtigen, ausgewachſenen jungen Leuten, wie z.
B. bey dem Bedienten des Elliot. Zaͤrtliche, ſchwaͤch-
liche Kinder, da ſie nur eines geringen Fiebers faͤ-
hig ſind, bekommen allermeiſt gutartigere und weni-
ger Blattern. — Ich weiß, daß in unſerer letzten
Blatternepidemie veneriſche Kinder ſehr gut durchka-
men, da geſunde von den ſchlimmſten Blattern befal-
len wurden. Deßwegen nehmen wir keinen Anſtand,
geknuͤpfte und ſkrophuloͤſe Kinder zu impfen. Eine
Krankheit von entzuͤndlicher Natur kann ſolchen Koͤr-
pern bey kluger Aufſicht mehr zum Vortheil als Nach-
theil gereichen.


*) Strack reſponſum ad Quaeſtionem de enervando variola-
rum miaſmate. p. 21.
**) Lentin Beyt. z. aus. Arz. S. 203.
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[325/0344] das Blatterngift, ſondern blos der ungeſunde Koͤrper zu beſchuldigen iſt. Er folgert daraus mit allem Rech- te auf die Eitelkeit eines eigenen Gegenmittels gegen die boͤsartigen Blattern, weil naͤmlich der Grund der Boͤsartigkeit nicht im Blatternſtoffe, ſondern in der Leibesbeſchaffenheit des Kranken lieget. *) — Von den 738. Perſonen, welche Jenner einnimpfte, ſtar- ben nur zwey. Der eine ein junger Mann von zwey und zwanzig Jahren, der nach einem vor einigen Mo- naten erlittenen, ausſetzenden Fieber waſſerſuͤchtig ge- worden war, und gar keine Pockenzufaͤlle bekam. Der andere ein Kind von drey Monaten, welches von Ge- burt an den Zuckungen unterworfen geweſen iſt. **) Aber auch da giebt es Ausnahmen. Syden- ham beobachtete bey einer ſonſt gleichen Heilart die zuſammfließenden Blattern am oͤfteſten bey ſtarken, vollbluͤtigen, ausgewachſenen jungen Leuten, wie z. B. bey dem Bedienten des Elliot. Zaͤrtliche, ſchwaͤch- liche Kinder, da ſie nur eines geringen Fiebers faͤ- hig ſind, bekommen allermeiſt gutartigere und weni- ger Blattern. — Ich weiß, daß in unſerer letzten Blatternepidemie veneriſche Kinder ſehr gut durchka- men, da geſunde von den ſchlimmſten Blattern befal- len wurden. Deßwegen nehmen wir keinen Anſtand, geknuͤpfte und ſkrophuloͤſe Kinder zu impfen. Eine Krankheit von entzuͤndlicher Natur kann ſolchen Koͤr- pern bey kluger Aufſicht mehr zum Vortheil als Nach- theil gereichen. *) Strack reſponſum ad Quaeſtionem de enervando variola- rum miaſmate. p. 21. **) Lentin Beyt. z. aus. Arz. S. 203.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/344>, abgerufen am 22.11.2024.