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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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sundheit noch übrig ist. Daraus folgert er, daß zu
einer glücklichen Heilung nichts mehr beytragen kbnne,
als standhafte Kräfte des Kranken. Diese müsse man
daher mit gröstem Fleiße zu erhalten, und diejenige
Heilanzeige, welche auf die Erhaltung der Lebenskräf-
te gerichtet ist, verdiene billig die erste Stelle.*)

Tissot gründet seinen Begriff von der Natur
auf die harmonisch vertheilten Kräfte des Körpers zu-
sammen genommen, oder in wie fern sich die Lebens-
kraft in jedem Theile desselben ergießet; folglich sagt
er, wenn die Kräfte zernichtet sind, so vermag die
Natur nichts mehr; -- Speise und Trank gedeyen
nicht, und die Arzneyen bleiben fruchtlos.

Störk giebt die Lehre, in jeder Krankheit vor-
züglich die Leibesbeschaffenheit, und dann die Kräfte
des Kranken zu untersuchen**) In der Folge nimmt
er bey jeder von ihm behandelten Krankheit aufs sorg-
fältigste Rücksicht auf diesen Umstand, und verzwei-
felt nie, so lange die Kräfte gut sind; zeigt aber je-
desmal bey ihrem Verfall die instehende Gefahr an.

Das Ansehen dieser Männer, und die tägliche
Erfahrung, daß die Kunst ohne Mitwirkung der Le-
benskräfte nichts vermag, werden mich rechtfertigen,
wenn ich diesem Gegenstande eine weitläufigere Unter-
suchung widme, als, meines Wissens, bisher gesche-
hen ist.


§. 35.
*) T. II. §. 598. Nro 1.
**) A. a. O. p. 1. p. 32.

ſundheit noch uͤbrig iſt. Daraus folgert er, daß zu
einer gluͤcklichen Heilung nichts mehr beytragen kbnne,
als ſtandhafte Kraͤfte des Kranken. Dieſe muͤſſe man
daher mit groͤſtem Fleiße zu erhalten, und diejenige
Heilanzeige, welche auf die Erhaltung der Lebenskraͤf-
te gerichtet iſt, verdiene billig die erſte Stelle.*)

Tiſſot gruͤndet ſeinen Begriff von der Natur
auf die harmoniſch vertheilten Kraͤfte des Koͤrpers zu-
ſammen genommen, oder in wie fern ſich die Lebens-
kraft in jedem Theile deſſelben ergießet; folglich ſagt
er, wenn die Kraͤfte zernichtet ſind, ſo vermag die
Natur nichts mehr; — Speiſe und Trank gedeyen
nicht, und die Arzneyen bleiben fruchtlos.

Störk giebt die Lehre, in jeder Krankheit vor-
zuͤglich die Leibesbeſchaffenheit, und dann die Kraͤfte
des Kranken zu unterſuchen**) In der Folge nimmt
er bey jeder von ihm behandelten Krankheit aufs ſorg-
faͤltigſte Ruͤckſicht auf dieſen Umſtand, und verzwei-
felt nie, ſo lange die Kraͤfte gut ſind; zeigt aber je-
desmal bey ihrem Verfall die inſtehende Gefahr an.

Das Anſehen dieſer Maͤnner, und die taͤgliche
Erfahrung, daß die Kunſt ohne Mitwirkung der Le-
benskraͤfte nichts vermag, werden mich rechtfertigen,
wenn ich dieſem Gegenſtande eine weitlaͤufigere Unter-
ſuchung widme, als, meines Wiſſens, bisher geſche-
hen iſt.


§. 35.
*) T. II. §. 598. Nro 1.
**) A. a. O. p. 1. p. 32.
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[343/0362] ſundheit noch uͤbrig iſt. Daraus folgert er, daß zu einer gluͤcklichen Heilung nichts mehr beytragen kbnne, als ſtandhafte Kraͤfte des Kranken. Dieſe muͤſſe man daher mit groͤſtem Fleiße zu erhalten, und diejenige Heilanzeige, welche auf die Erhaltung der Lebenskraͤf- te gerichtet iſt, verdiene billig die erſte Stelle. *) Tiſſot gruͤndet ſeinen Begriff von der Natur auf die harmoniſch vertheilten Kraͤfte des Koͤrpers zu- ſammen genommen, oder in wie fern ſich die Lebens- kraft in jedem Theile deſſelben ergießet; folglich ſagt er, wenn die Kraͤfte zernichtet ſind, ſo vermag die Natur nichts mehr; — Speiſe und Trank gedeyen nicht, und die Arzneyen bleiben fruchtlos. Störk giebt die Lehre, in jeder Krankheit vor- zuͤglich die Leibesbeſchaffenheit, und dann die Kraͤfte des Kranken zu unterſuchen **) In der Folge nimmt er bey jeder von ihm behandelten Krankheit aufs ſorg- faͤltigſte Ruͤckſicht auf dieſen Umſtand, und verzwei- felt nie, ſo lange die Kraͤfte gut ſind; zeigt aber je- desmal bey ihrem Verfall die inſtehende Gefahr an. Das Anſehen dieſer Maͤnner, und die taͤgliche Erfahrung, daß die Kunſt ohne Mitwirkung der Le- benskraͤfte nichts vermag, werden mich rechtfertigen, wenn ich dieſem Gegenſtande eine weitlaͤufigere Unter- ſuchung widme, als, meines Wiſſens, bisher geſche- hen iſt. §. 35. *) T. II. §. 598. Nro 1. **) A. a. O. p. 1. p. 32.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/362>, abgerufen am 24.11.2024.