Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Seele verkrüppelt, und auf immer zu dauerhaften
wichtigen Geschäften unfähig gemacht werden; die
allzusorgfältige Lebensordnung; das Entziehen der
Fleischspeisen vor den Pocken; die angeerbten Krank-
heiten, Schwächlichkeiten, und Krankheitsanlagen
u. s. w. die den Kindern ohnehin eignen Uebel, die
Masern, Pocken, die Zahnarbeit, die verstopften
Eingeweide, die Würmer, die mannigfaltigen Aus-
schläge, den Schleim- und Krampfhusten; fremde
Milch; den Mangel freyer Luft in Städten u. s. w.
Betrachten wir alle diese Hindernisse der Entwicklung
und Abhärtung, so können wirs nimmermehr sonder-
bar finden, daß bey unsern Kindern durchgängig die
Sterblichkeit zugenommen hat, und in unsern Zeiten
weniger sehr alte Leute, als ehemals, gefunden wer-
den.

Ich habe sehr oft die Bemerkung von Kämpf
und Weikard bestättigt gefunden, das schwächliche,
bis in ihr siebentes Jahr mit Pflanzenspeisen genährte
Kinder am allerersten rachitisch werden. Daher ließ
ich vor drey Jahren einen Buben, dessen Mutter
unbeschreiblich leidenschaftlich ist, durch zehn Kindbetten,
zahlreiche Aderlassen während jeder Schwangerschaft,
häufigen Blutflüssen, und fast auf jede Entbindung er-
folgten schweren Krankheit außerordentlich geschwächt
und reitzbar gemacht worden war, gleich von der Ge-
burt an stuffenweis an kalte Bäder gewöhnen, ohne
alles Fatschen allermeist ganz frey sich herumwälzen
Die Umstände erlaubten nicht, ihm eine Amme zu
geben; hingegen bekam er zum Frühstück einen guten

starken

Seele verkruͤppelt, und auf immer zu dauerhaften
wichtigen Geſchaͤften unfaͤhig gemacht werden; die
allzuſorgfaͤltige Lebensordnung; das Entziehen der
Fleiſchſpeiſen vor den Pocken; die angeerbten Krank-
heiten, Schwaͤchlichkeiten, und Krankheitsanlagen
u. ſ. w. die den Kindern ohnehin eignen Uebel, die
Maſern, Pocken, die Zahnarbeit, die verſtopften
Eingeweide, die Wuͤrmer, die mannigfaltigen Aus-
ſchlaͤge, den Schleim- und Krampfhuſten; fremde
Milch; den Mangel freyer Luft in Staͤdten u. ſ. w.
Betrachten wir alle dieſe Hinderniſſe der Entwicklung
und Abhaͤrtung, ſo koͤnnen wirs nimmermehr ſonder-
bar finden, daß bey unſern Kindern durchgaͤngig die
Sterblichkeit zugenommen hat, und in unſern Zeiten
weniger ſehr alte Leute, als ehemals, gefunden wer-
den.

Ich habe ſehr oft die Bemerkung von Kämpf
und Weikard beſtaͤttigt gefunden, das ſchwaͤchliche,
bis in ihr ſiebentes Jahr mit Pflanzenſpeiſen genaͤhrte
Kinder am allererſten rachitiſch werden. Daher ließ
ich vor drey Jahren einen Buben, deſſen Mutter
unbeſchreiblich leidenſchaftlich iſt, durch zehn Kindbetten,
zahlreiche Aderlaſſen waͤhrend jeder Schwangerſchaft,
haͤufigen Blutfluͤſſen, und faſt auf jede Entbindung er-
folgten ſchweren Krankheit außerordentlich geſchwaͤcht
und reitzbar gemacht worden war, gleich von der Ge-
burt an ſtuffenweis an kalte Baͤder gewoͤhnen, ohne
alles Fatſchen allermeiſt ganz frey ſich herumwaͤlzen
Die Umſtaͤnde erlaubten nicht, ihm eine Amme zu
geben; hingegen bekam er zum Fruͤhſtuͤck einen guten

ſtarken
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0368" n="349"/>
Seele verkru&#x0364;ppelt, und auf immer zu dauerhaften<lb/>
wichtigen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften unfa&#x0364;hig gemacht werden; die<lb/>
allzu&#x017F;orgfa&#x0364;ltige Lebensordnung; das Entziehen der<lb/>
Flei&#x017F;ch&#x017F;pei&#x017F;en vor den Pocken; die angeerbten Krank-<lb/>
heiten, Schwa&#x0364;chlichkeiten, und Krankheitsanlagen<lb/>
u. &#x017F;. w. die den Kindern ohnehin eignen Uebel, die<lb/>
Ma&#x017F;ern, Pocken, die Zahnarbeit, die ver&#x017F;topften<lb/>
Eingeweide, die Wu&#x0364;rmer, die mannigfaltigen Aus-<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;ge, den Schleim- und Krampfhu&#x017F;ten; fremde<lb/>
Milch; den Mangel freyer Luft in Sta&#x0364;dten u. &#x017F;. w.<lb/>
Betrachten wir alle die&#x017F;e Hinderni&#x017F;&#x017F;e der Entwicklung<lb/>
und Abha&#x0364;rtung, &#x017F;o ko&#x0364;nnen wirs nimmermehr &#x017F;onder-<lb/>
bar finden, daß bey un&#x017F;ern Kindern durchga&#x0364;ngig die<lb/>
Sterblichkeit zugenommen hat, und in un&#x017F;ern Zeiten<lb/>
weniger &#x017F;ehr alte Leute, als ehemals, gefunden wer-<lb/>
den.</p><lb/>
              <p>Ich habe &#x017F;ehr oft die Bemerkung von <hi rendition="#fr">Kämpf</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Weikard</hi> be&#x017F;ta&#x0364;ttigt gefunden, das &#x017F;chwa&#x0364;chliche,<lb/>
bis in ihr &#x017F;iebentes Jahr mit Pflanzen&#x017F;pei&#x017F;en gena&#x0364;hrte<lb/>
Kinder am allerer&#x017F;ten rachiti&#x017F;ch werden. Daher ließ<lb/>
ich vor drey Jahren einen Buben, de&#x017F;&#x017F;en Mutter<lb/>
unbe&#x017F;chreiblich leiden&#x017F;chaftlich i&#x017F;t, durch zehn Kindbetten,<lb/>
zahlreiche Aderla&#x017F;&#x017F;en wa&#x0364;hrend jeder Schwanger&#x017F;chaft,<lb/>
ha&#x0364;ufigen Blutflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und fa&#x017F;t auf jede Entbindung er-<lb/>
folgten &#x017F;chweren Krankheit außerordentlich ge&#x017F;chwa&#x0364;cht<lb/>
und reitzbar gemacht worden war, gleich von der Ge-<lb/>
burt an &#x017F;tuffenweis an kalte Ba&#x0364;der gewo&#x0364;hnen, ohne<lb/>
alles Fat&#x017F;chen allermei&#x017F;t ganz frey &#x017F;ich herumwa&#x0364;lzen<lb/>
Die Um&#x017F;ta&#x0364;nde erlaubten nicht, ihm eine Amme zu<lb/>
geben; hingegen bekam er zum Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck einen guten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tarken</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0368] Seele verkruͤppelt, und auf immer zu dauerhaften wichtigen Geſchaͤften unfaͤhig gemacht werden; die allzuſorgfaͤltige Lebensordnung; das Entziehen der Fleiſchſpeiſen vor den Pocken; die angeerbten Krank- heiten, Schwaͤchlichkeiten, und Krankheitsanlagen u. ſ. w. die den Kindern ohnehin eignen Uebel, die Maſern, Pocken, die Zahnarbeit, die verſtopften Eingeweide, die Wuͤrmer, die mannigfaltigen Aus- ſchlaͤge, den Schleim- und Krampfhuſten; fremde Milch; den Mangel freyer Luft in Staͤdten u. ſ. w. Betrachten wir alle dieſe Hinderniſſe der Entwicklung und Abhaͤrtung, ſo koͤnnen wirs nimmermehr ſonder- bar finden, daß bey unſern Kindern durchgaͤngig die Sterblichkeit zugenommen hat, und in unſern Zeiten weniger ſehr alte Leute, als ehemals, gefunden wer- den. Ich habe ſehr oft die Bemerkung von Kämpf und Weikard beſtaͤttigt gefunden, das ſchwaͤchliche, bis in ihr ſiebentes Jahr mit Pflanzenſpeiſen genaͤhrte Kinder am allererſten rachitiſch werden. Daher ließ ich vor drey Jahren einen Buben, deſſen Mutter unbeſchreiblich leidenſchaftlich iſt, durch zehn Kindbetten, zahlreiche Aderlaſſen waͤhrend jeder Schwangerſchaft, haͤufigen Blutfluͤſſen, und faſt auf jede Entbindung er- folgten ſchweren Krankheit außerordentlich geſchwaͤcht und reitzbar gemacht worden war, gleich von der Ge- burt an ſtuffenweis an kalte Baͤder gewoͤhnen, ohne alles Fatſchen allermeiſt ganz frey ſich herumwaͤlzen Die Umſtaͤnde erlaubten nicht, ihm eine Amme zu geben; hingegen bekam er zum Fruͤhſtuͤck einen guten ſtarken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/368
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/368>, abgerufen am 24.11.2024.