Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Lusitanus, Sydenham, Stahl, Hoffmann, Tis-
sot
, und unzählige andere vortreffliche Aerzte sehr
mäßige Aderläßer.

§. 77.

Einige Tage, oft noch eine Stunde vor der
heftigsten Entzündung war der Mensch noch gesund:
wie kann man also glauben, daß ihn die Blutmen-
ge krank gemacht habe? und hat ihn der Ueberfluß
an Säften nicht krank gemacht, warum richtet man
sein einziges Bestreben dahin, diese Menge zu ver-
mindern? Man will die entzündliche Stockung, den
Krampf der Gefäße, die Dichtigkeit des Blutes he-
ben -- gut: aber erstlich, was ist an diesen Vo-
raussetzungen Wahres? zweytens: hatte der Kranke
eine Stunde früher bey der nämlichen Blutmaße we-
der diese Stockung, noch diesen Krampf, noch diese
entzündliche Dichtigkeit; folglich ist die Blutmenge
nicht die Ursache davon; und folglich kann das Ader-
lassen nicht als das eigentliche Mittel, sondern bloß
nach dem Beyspiele des Boerhave, Sydenham, Ga-
lenus, Hippokrates
als Beförderungsmittel ange-
sehen werden. -- Ich sehe auch nicht ein, warum das
Aderlassen, außer den Fällen einer wahren, und sich
durch manche und langwierige Zufälle äußernden Voll-
blütigkeit, nicht durch ein anderes Mittel ganz ent-
behrlich gemacht werden könnte. Der Verfaßer vom
Mißbrauche des Aderlaßens führt den Herrn
Marteau an, welcher noch zu seiner Zeit in Paris
bey Brustflüssen und Seitenstichen nur selten zur Ader

ließ

Luſitanus, Sydenham, Stahl, Hoffmann, Tiſ-
ſot
, und unzaͤhlige andere vortreffliche Aerzte ſehr
maͤßige Aderlaͤßer.

§. 77.

Einige Tage, oft noch eine Stunde vor der
heftigſten Entzuͤndung war der Menſch noch geſund:
wie kann man alſo glauben, daß ihn die Blutmen-
ge krank gemacht habe? und hat ihn der Ueberfluß
an Saͤften nicht krank gemacht, warum richtet man
ſein einziges Beſtreben dahin, dieſe Menge zu ver-
mindern? Man will die entzuͤndliche Stockung, den
Krampf der Gefaͤße, die Dichtigkeit des Blutes he-
ben — gut: aber erſtlich, was iſt an dieſen Vo-
rausſetzungen Wahres? zweytens: hatte der Kranke
eine Stunde fruͤher bey der naͤmlichen Blutmaße we-
der dieſe Stockung, noch dieſen Krampf, noch dieſe
entzuͤndliche Dichtigkeit; folglich iſt die Blutmenge
nicht die Urſache davon; und folglich kann das Ader-
laſſen nicht als das eigentliche Mittel, ſondern bloß
nach dem Beyſpiele des Boerhave, Sydenham, Ga-
lenus, Hippokrates
als Befoͤrderungsmittel ange-
ſehen werden. — Ich ſehe auch nicht ein, warum das
Aderlaſſen, außer den Faͤllen einer wahren, und ſich
durch manche und langwierige Zufaͤlle aͤußernden Voll-
bluͤtigkeit, nicht durch ein anderes Mittel ganz ent-
behrlich gemacht werden koͤnnte. Der Verfaßer vom
Mißbrauche des Aderlaßens fuͤhrt den Herrn
Marteau an, welcher noch zu ſeiner Zeit in Paris
bey Bruſtfluͤſſen und Seitenſtichen nur ſelten zur Ader

ließ
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0515" n="496"/><hi rendition="#fr">Lu&#x017F;itanus, Sydenham, Stahl, Hoffmann, Ti&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ot</hi>, und unza&#x0364;hlige andere vortreffliche Aerzte &#x017F;ehr<lb/>
ma&#x0364;ßige Aderla&#x0364;ßer.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 77.</head><lb/>
              <p>Einige Tage, oft noch eine Stunde vor der<lb/>
heftig&#x017F;ten Entzu&#x0364;ndung war der Men&#x017F;ch noch ge&#x017F;und:<lb/>
wie kann man al&#x017F;o glauben, daß ihn die Blutmen-<lb/>
ge krank gemacht habe? und hat ihn der Ueberfluß<lb/>
an Sa&#x0364;ften nicht krank gemacht, warum richtet man<lb/>
&#x017F;ein einziges Be&#x017F;treben dahin, die&#x017F;e Menge zu ver-<lb/>
mindern? Man will die entzu&#x0364;ndliche Stockung, den<lb/>
Krampf der Gefa&#x0364;ße, die Dichtigkeit des Blutes he-<lb/>
ben &#x2014; gut: aber er&#x017F;tlich, was i&#x017F;t an die&#x017F;en Vo-<lb/>
raus&#x017F;etzungen Wahres? zweytens: hatte der Kranke<lb/>
eine Stunde fru&#x0364;her bey der na&#x0364;mlichen Blutmaße we-<lb/>
der die&#x017F;e Stockung, noch die&#x017F;en Krampf, noch die&#x017F;e<lb/>
entzu&#x0364;ndliche Dichtigkeit; folglich i&#x017F;t die Blutmenge<lb/>
nicht die Ur&#x017F;ache davon; und folglich kann das Ader-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en nicht als das eigentliche Mittel, &#x017F;ondern bloß<lb/>
nach dem Bey&#x017F;piele des <hi rendition="#fr">Boerhave, Sydenham, Ga-<lb/>
lenus, Hippokrates</hi> als Befo&#x0364;rderungsmittel ange-<lb/>
&#x017F;ehen werden. &#x2014; Ich &#x017F;ehe auch nicht ein, warum das<lb/>
Aderla&#x017F;&#x017F;en, außer den Fa&#x0364;llen einer wahren, und &#x017F;ich<lb/>
durch manche und langwierige Zufa&#x0364;lle a&#x0364;ußernden Voll-<lb/>
blu&#x0364;tigkeit, nicht durch ein anderes Mittel ganz ent-<lb/>
behrlich gemacht werden ko&#x0364;nnte. Der Verfaßer vom<lb/><hi rendition="#fr">Mißbrauche des Aderlaßens</hi> fu&#x0364;hrt den Herrn<lb/><hi rendition="#fr">Marteau</hi> an, welcher noch zu &#x017F;einer Zeit in Paris<lb/>
bey Bru&#x017F;tflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en und Seiten&#x017F;tichen nur &#x017F;elten zur Ader<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ließ</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[496/0515] Luſitanus, Sydenham, Stahl, Hoffmann, Tiſ- ſot, und unzaͤhlige andere vortreffliche Aerzte ſehr maͤßige Aderlaͤßer. §. 77. Einige Tage, oft noch eine Stunde vor der heftigſten Entzuͤndung war der Menſch noch geſund: wie kann man alſo glauben, daß ihn die Blutmen- ge krank gemacht habe? und hat ihn der Ueberfluß an Saͤften nicht krank gemacht, warum richtet man ſein einziges Beſtreben dahin, dieſe Menge zu ver- mindern? Man will die entzuͤndliche Stockung, den Krampf der Gefaͤße, die Dichtigkeit des Blutes he- ben — gut: aber erſtlich, was iſt an dieſen Vo- rausſetzungen Wahres? zweytens: hatte der Kranke eine Stunde fruͤher bey der naͤmlichen Blutmaße we- der dieſe Stockung, noch dieſen Krampf, noch dieſe entzuͤndliche Dichtigkeit; folglich iſt die Blutmenge nicht die Urſache davon; und folglich kann das Ader- laſſen nicht als das eigentliche Mittel, ſondern bloß nach dem Beyſpiele des Boerhave, Sydenham, Ga- lenus, Hippokrates als Befoͤrderungsmittel ange- ſehen werden. — Ich ſehe auch nicht ein, warum das Aderlaſſen, außer den Faͤllen einer wahren, und ſich durch manche und langwierige Zufaͤlle aͤußernden Voll- bluͤtigkeit, nicht durch ein anderes Mittel ganz ent- behrlich gemacht werden koͤnnte. Der Verfaßer vom Mißbrauche des Aderlaßens fuͤhrt den Herrn Marteau an, welcher noch zu ſeiner Zeit in Paris bey Bruſtfluͤſſen und Seitenſtichen nur ſelten zur Ader ließ

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/515
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/515>, abgerufen am 22.11.2024.