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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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der Kranke faselte. -- (Zeichen, daß noch ein Sturm
im Hinterhalte ist.) -- Den vierzehnten Tag Nachmit-
tag schien alles zum Untergange zu zielen. Das Ath-
men wurde von einem zähen, klebrichten Schleime,
der sich häufiger nach der Lunge warf, äusserst be-
schwert. Husten, ängstliches Einathmen, Kälte der
Gliedmassen, kalter Schweiß an der Stirne, verkehr-
te und krampfhaft verdrehte Augen, Betäubung al-
ler Sinne, zuweilen Sehnenhüpfen, kaum zählbar
geschwinder, und kaum fühlbarer Puls, Gefahr der
Erstickung. Blasenpflaster auf die Arme und die Brust,
Kampfer, Bisam, virginische Schlangenwurzel, lau-
lichter Thee mit Meerzwiebelsaft und Goldschwefel
nebst Rheinwein, dem Hirschhornsalz beygemischt wur-
de. -- (In der That lauter unverbesserliche Mittel!) --
Der Kranke warf viel aus, und es brach über den
ganzen Körper ein häufiger Schweiß hervor; er schlief
einige Stunden, und den andern Tag in der Frühe
waren alle Zufälle verschwunden, und er genaß bey dem
fortgesetzten Gebrauch der Rinde vollkommen.*) --
Es war höchst vernünftig gehandelt, daß man die
Natur unterstützte. Aber Niemand wird mich über-
zeugen, daß nicht alles Bestreben der Natur auf den
erlangten Zweck hingieng, und diese Mittel höchstens
als eine Unterstützung angesehen werden müssen. Wer
weiß, ob nicht auch hier, in diesem Zeitpunkte, die
Kunst überflüssig war? Der glückliche Erfolg ist zu
geschwind, und es sieht alles dem Gange einer natür-
lichen Entscheidung zu ähnlich, als daß man ihn den

Heil-
*) Observ. de Febr. nerv. Hist, I. IV.

der Kranke faſelte. — (Zeichen, daß noch ein Sturm
im Hinterhalte iſt.) — Den vierzehnten Tag Nachmit-
tag ſchien alles zum Untergange zu zielen. Das Ath-
men wurde von einem zaͤhen, klebrichten Schleime,
der ſich haͤufiger nach der Lunge warf, aͤuſſerſt be-
ſchwert. Huſten, aͤngſtliches Einathmen, Kaͤlte der
Gliedmaſſen, kalter Schweiß an der Stirne, verkehr-
te und krampfhaft verdrehte Augen, Betaͤubung al-
ler Sinne, zuweilen Sehnenhuͤpfen, kaum zaͤhlbar
geſchwinder, und kaum fuͤhlbarer Puls, Gefahr der
Erſtickung. Blaſenpflaſter auf die Arme und die Bruſt,
Kampfer, Biſam, virginiſche Schlangenwurzel, lau-
lichter Thee mit Meerzwiebelſaft und Goldſchwefel
nebſt Rheinwein, dem Hirſchhornſalz beygemiſcht wur-
de. — (In der That lauter unverbeſſerliche Mittel!) —
Der Kranke warf viel aus, und es brach uͤber den
ganzen Koͤrper ein haͤufiger Schweiß hervor; er ſchlief
einige Stunden, und den andern Tag in der Fruͤhe
waren alle Zufaͤlle verſchwunden, und er genaß bey dem
fortgeſetzten Gebrauch der Rinde vollkommen.*)
Es war hoͤchſt vernuͤnftig gehandelt, daß man die
Natur unterſtuͤtzte. Aber Niemand wird mich uͤber-
zeugen, daß nicht alles Beſtreben der Natur auf den
erlangten Zweck hingieng, und dieſe Mittel hoͤchſtens
als eine Unterſtuͤtzung angeſehen werden muͤſſen. Wer
weiß, ob nicht auch hier, in dieſem Zeitpunkte, die
Kunſt uͤberfluͤſſig war? Der gluͤckliche Erfolg iſt zu
geſchwind, und es ſieht alles dem Gange einer natuͤr-
lichen Entſcheidung zu aͤhnlich, als daß man ihn den

Heil-
*) Obſerv. de Febr. nerv. Hiſt, I. IV.
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[542/0561] der Kranke faſelte. — (Zeichen, daß noch ein Sturm im Hinterhalte iſt.) — Den vierzehnten Tag Nachmit- tag ſchien alles zum Untergange zu zielen. Das Ath- men wurde von einem zaͤhen, klebrichten Schleime, der ſich haͤufiger nach der Lunge warf, aͤuſſerſt be- ſchwert. Huſten, aͤngſtliches Einathmen, Kaͤlte der Gliedmaſſen, kalter Schweiß an der Stirne, verkehr- te und krampfhaft verdrehte Augen, Betaͤubung al- ler Sinne, zuweilen Sehnenhuͤpfen, kaum zaͤhlbar geſchwinder, und kaum fuͤhlbarer Puls, Gefahr der Erſtickung. Blaſenpflaſter auf die Arme und die Bruſt, Kampfer, Biſam, virginiſche Schlangenwurzel, lau- lichter Thee mit Meerzwiebelſaft und Goldſchwefel nebſt Rheinwein, dem Hirſchhornſalz beygemiſcht wur- de. — (In der That lauter unverbeſſerliche Mittel!) — Der Kranke warf viel aus, und es brach uͤber den ganzen Koͤrper ein haͤufiger Schweiß hervor; er ſchlief einige Stunden, und den andern Tag in der Fruͤhe waren alle Zufaͤlle verſchwunden, und er genaß bey dem fortgeſetzten Gebrauch der Rinde vollkommen. *) — Es war hoͤchſt vernuͤnftig gehandelt, daß man die Natur unterſtuͤtzte. Aber Niemand wird mich uͤber- zeugen, daß nicht alles Beſtreben der Natur auf den erlangten Zweck hingieng, und dieſe Mittel hoͤchſtens als eine Unterſtuͤtzung angeſehen werden muͤſſen. Wer weiß, ob nicht auch hier, in dieſem Zeitpunkte, die Kunſt uͤberfluͤſſig war? Der gluͤckliche Erfolg iſt zu geſchwind, und es ſieht alles dem Gange einer natuͤr- lichen Entſcheidung zu aͤhnlich, als daß man ihn den Heil- *) Obſerv. de Febr. nerv. Hiſt, I. IV.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/561>, abgerufen am 24.11.2024.