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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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irrigen Verdacht gegen ihren Ehemann plötzlich in ei-
ne heftige Raserey verfiel, desto nothwendiger, weil
Kindbetterinnen ohnehin schon sehr reitzbar sind, und
besonders wenn sie ein bewegliches Nervensystem ha-
ben, ein ruhiges, nicht gar zu helles, kühles und ge-
raumes Zimmer erfordern.

So lange in hitzigen oder langwierigen Krank-
heiten die überspannte Reitzbarkeit anhält, so lange
muß man von allen Arzneymitteln ungewöhnlich star-
ke Wirkungen erwarten. Boerhaave wollte einem
reitzbaren Manne den Goldaderfluß nur mindern; al-
lein die Reitzbarkeit war so groß, daß die Heilart
hinlänglich war, denselben zu stopfen; worauf der
Mann zwar vollkommen gesund wurde, aber in eini-
gen Monaten an einer besondern Krankheit starb.
Bey einem entzündlichen Reize ist die Reitzbarkeit des
ganzen Körpers vermehrt, daher sonst unschädliche
Dinge, als Holdersulze u. d. gl. jetzt so leicht nach-
theilig werden. Selbst in Unreinigkritskrankheiten,
wenn die Reitzbarkeit zu groß, und nicht eine unmit-
telbare Folge des unreinen Stoffes ist, obschon man
alle Anzeigen zum Abführen hat, sollte man nur sol-
che Mittel geben, die allen fernern Reitz verhüten.
Burseri rathet in diesem Falle das frischgepreßte Oli-
ven-Lein- oder Mandelöl zu 4 -- 6 Unzen. Uibrigens
gilt freylich jedesmal das erste Gesetz, die reitzende
Ursache wegzuschaffen. Man trepanirt den Kopf nach
einem Falle oder Schlag, öfnet Eytersäcke, reiniget
Geschwüre, giebt heftige Brech- und Abführungsmit-

tel,

irrigen Verdacht gegen ihren Ehemann ploͤtzlich in ei-
ne heftige Raſerey verfiel, deſto nothwendiger, weil
Kindbetterinnen ohnehin ſchon ſehr reitzbar ſind, und
beſonders wenn ſie ein bewegliches Nervenſyſtem ha-
ben, ein ruhiges, nicht gar zu helles, kuͤhles und ge-
raumes Zimmer erfordern.

So lange in hitzigen oder langwierigen Krank-
heiten die uͤberſpannte Reitzbarkeit anhaͤlt, ſo lange
muß man von allen Arzneymitteln ungewoͤhnlich ſtar-
ke Wirkungen erwarten. Boerhaave wollte einem
reitzbaren Manne den Goldaderfluß nur mindern; al-
lein die Reitzbarkeit war ſo groß, daß die Heilart
hinlaͤnglich war, denſelben zu ſtopfen; worauf der
Mann zwar vollkommen geſund wurde, aber in eini-
gen Monaten an einer beſondern Krankheit ſtarb.
Bey einem entzuͤndlichen Reize iſt die Reitzbarkeit des
ganzen Koͤrpers vermehrt, daher ſonſt unſchaͤdliche
Dinge, als Holderſulze u. d. gl. jetzt ſo leicht nach-
theilig werden. Selbſt in Unreinigkritskrankheiten,
wenn die Reitzbarkeit zu groß, und nicht eine unmit-
telbare Folge des unreinen Stoffes iſt, obſchon man
alle Anzeigen zum Abfuͤhren hat, ſollte man nur ſol-
che Mittel geben, die allen fernern Reitz verhuͤten.
Burſeri rathet in dieſem Falle das friſchgepreßte Oli-
ven-Lein- oder Mandeloͤl zu 4 — 6 Unzen. Uibrigens
gilt freylich jedesmal das erſte Geſetz, die reitzende
Urſache wegzuſchaffen. Man trepanirt den Kopf nach
einem Falle oder Schlag, oͤfnet Eyterſaͤcke, reiniget
Geſchwuͤre, giebt heftige Brech- und Abfuͤhrungsmit-

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[554/0573] irrigen Verdacht gegen ihren Ehemann ploͤtzlich in ei- ne heftige Raſerey verfiel, deſto nothwendiger, weil Kindbetterinnen ohnehin ſchon ſehr reitzbar ſind, und beſonders wenn ſie ein bewegliches Nervenſyſtem ha- ben, ein ruhiges, nicht gar zu helles, kuͤhles und ge- raumes Zimmer erfordern. So lange in hitzigen oder langwierigen Krank- heiten die uͤberſpannte Reitzbarkeit anhaͤlt, ſo lange muß man von allen Arzneymitteln ungewoͤhnlich ſtar- ke Wirkungen erwarten. Boerhaave wollte einem reitzbaren Manne den Goldaderfluß nur mindern; al- lein die Reitzbarkeit war ſo groß, daß die Heilart hinlaͤnglich war, denſelben zu ſtopfen; worauf der Mann zwar vollkommen geſund wurde, aber in eini- gen Monaten an einer beſondern Krankheit ſtarb. Bey einem entzuͤndlichen Reize iſt die Reitzbarkeit des ganzen Koͤrpers vermehrt, daher ſonſt unſchaͤdliche Dinge, als Holderſulze u. d. gl. jetzt ſo leicht nach- theilig werden. Selbſt in Unreinigkritskrankheiten, wenn die Reitzbarkeit zu groß, und nicht eine unmit- telbare Folge des unreinen Stoffes iſt, obſchon man alle Anzeigen zum Abfuͤhren hat, ſollte man nur ſol- che Mittel geben, die allen fernern Reitz verhuͤten. Burſeri rathet in dieſem Falle das friſchgepreßte Oli- ven-Lein- oder Mandeloͤl zu 4 — 6 Unzen. Uibrigens gilt freylich jedesmal das erſte Geſetz, die reitzende Urſache wegzuſchaffen. Man trepanirt den Kopf nach einem Falle oder Schlag, oͤfnet Eyterſaͤcke, reiniget Geſchwuͤre, giebt heftige Brech- und Abfuͤhrungsmit- tel,

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/573>, abgerufen am 24.11.2024.