oder in einer eigentlichen Krankheitsmaterie haben, hinterlassen in den Zwischenzeiten keine Spur von ih- rer Gegenwart. Das Denkvermögen wird nicht sel- ten, obschon durch offenbar körperliche Krankheitsur- sachen, dennoch ohne alles schmerzhafte oder unange- nehme Gefühl sonderbar verrückt. Wahnsinnige und Rasende empfinden allermeist keinen Schmerz weder in dem Gehirne, noch in andern Theilen; und dennoch hat man bei solchen Leuten Geschwüre und andere Zerrüttun- gen im Gehirne gefunden; so wie man hingegen auch nach dem Tode dergleichen Verletzungen endeckt hat, obschon diese Leute weder irgend eine Empfindung noch sonst die geringste Unordnung in ihren Gedanken gehabt haben.
In dem dreytägigen Schwitzfieber zerfließt der Mensch ganz in einem kalten Schweise. Der Puls wird schnell, klein, schwach, und alle Kraft geht verlohren; nur der Geist bleibt vollkommen heiter, und bemerkt genau den Verfall der Maschine und deren nahe Auflösung.*)Bursery erzählt den Fall eines eintägigen Fiebers, welches den kalten Brand zur Fol- ge hatte. (Ephemera gangraenosa) Ehe sich der Brand- stoff auf den Schenkel warf, und noch im Körper herumschweifte, spürte der Kranke eine ungewöhnliche und unwillkührliche Geläufigkeit der Ideen; er hatte eine glänzende Beredsamkeit, ein bewunderungswürdiges Gedächtniß, Scharfsinn, und durchdringenden Ver- stand. Nebstbey waren alle natürlichen Verrichtungen im vollkommensten Zustande, bis er endlich am Brand
starb.
*)Torti. Therap. Special.
oder in einer eigentlichen Krankheitsmaterie haben, hinterlaſſen in den Zwiſchenzeiten keine Spur von ih- rer Gegenwart. Das Denkvermoͤgen wird nicht ſel- ten, obſchon durch offenbar koͤrperliche Krankheitsur- ſachen, dennoch ohne alles ſchmerzhafte oder unange- nehme Gefuͤhl ſonderbar verruͤckt. Wahnſinnige und Raſende empfinden allermeiſt keinen Schmerz weder in dem Gehirne, noch in andern Theilen; und dennoch hat man bei ſolchen Leuten Geſchwuͤre und andere Zerruͤttun- gen im Gehirne gefunden; ſo wie man hingegen auch nach dem Tode dergleichen Verletzungen endeckt hat, obſchon dieſe Leute weder irgend eine Empfindung noch ſonſt die geringſte Unordnung in ihren Gedanken gehabt haben.
In dem dreytaͤgigen Schwitzfieber zerfließt der Menſch ganz in einem kalten Schweiſe. Der Puls wird ſchnell, klein, ſchwach, und alle Kraft geht verlohren; nur der Geiſt bleibt vollkommen heiter, und bemerkt genau den Verfall der Maſchine und deren nahe Aufloͤſung.*)Burſery erzaͤhlt den Fall eines eintaͤgigen Fiebers, welches den kalten Brand zur Fol- ge hatte. (Ephemera gangrænoſa) Ehe ſich der Brand- ſtoff auf den Schenkel warf, und noch im Koͤrper herumſchweifte, ſpuͤrte der Kranke eine ungewoͤhnliche und unwillkuͤhrliche Gelaͤufigkeit der Ideen; er hatte eine glaͤnzende Beredſamkeit, ein bewunderungswuͤrdiges Gedaͤchtniß, Scharfſinn, und durchdringenden Ver- ſtand. Nebſtbey waren alle natuͤrlichen Verrichtungen im vollkommenſten Zuſtande, bis er endlich am Brand
ſtarb.
*)Torti. Therap. Special.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0071"n="52"/>
oder in einer eigentlichen Krankheitsmaterie haben,<lb/>
hinterlaſſen in den Zwiſchenzeiten keine Spur von ih-<lb/>
rer Gegenwart. Das Denkvermoͤgen wird nicht ſel-<lb/>
ten, obſchon durch offenbar koͤrperliche Krankheitsur-<lb/>ſachen, dennoch ohne alles ſchmerzhafte oder unange-<lb/>
nehme Gefuͤhl ſonderbar verruͤckt. Wahnſinnige und<lb/>
Raſende empfinden allermeiſt keinen Schmerz weder<lb/>
in dem Gehirne, noch in andern Theilen; und dennoch hat<lb/>
man bei ſolchen Leuten Geſchwuͤre und andere Zerruͤttun-<lb/>
gen im Gehirne gefunden; ſo wie man hingegen auch<lb/>
nach dem Tode dergleichen Verletzungen endeckt hat,<lb/>
obſchon dieſe Leute weder irgend eine Empfindung<lb/>
noch ſonſt die geringſte Unordnung in ihren Gedanken<lb/>
gehabt haben.</p><lb/><p>In dem dreytaͤgigen Schwitzfieber zerfließt der<lb/>
Menſch ganz in einem kalten Schweiſe. Der Puls<lb/>
wird ſchnell, klein, ſchwach, und alle Kraft geht<lb/>
verlohren; nur der Geiſt bleibt vollkommen heiter,<lb/>
und bemerkt genau den Verfall der Maſchine und<lb/>
deren nahe Aufloͤſung.<noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Torti. Therap. Special.</hi></note><hirendition="#fr">Burſery</hi> erzaͤhlt den Fall eines<lb/>
eintaͤgigen Fiebers, welches den kalten Brand zur Fol-<lb/>
ge hatte. (<hirendition="#aq">Ephemera gangrænoſa</hi>) Ehe ſich der Brand-<lb/>ſtoff auf den Schenkel warf, und noch im Koͤrper<lb/>
herumſchweifte, ſpuͤrte der Kranke eine ungewoͤhnliche<lb/>
und unwillkuͤhrliche Gelaͤufigkeit der Ideen; er hatte<lb/>
eine glaͤnzende Beredſamkeit, ein bewunderungswuͤrdiges<lb/>
Gedaͤchtniß, Scharfſinn, und durchdringenden Ver-<lb/>ſtand. Nebſtbey waren alle natuͤrlichen Verrichtungen<lb/>
im vollkommenſten Zuſtande, bis er endlich am Brand<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſtarb.</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[52/0071]
oder in einer eigentlichen Krankheitsmaterie haben,
hinterlaſſen in den Zwiſchenzeiten keine Spur von ih-
rer Gegenwart. Das Denkvermoͤgen wird nicht ſel-
ten, obſchon durch offenbar koͤrperliche Krankheitsur-
ſachen, dennoch ohne alles ſchmerzhafte oder unange-
nehme Gefuͤhl ſonderbar verruͤckt. Wahnſinnige und
Raſende empfinden allermeiſt keinen Schmerz weder
in dem Gehirne, noch in andern Theilen; und dennoch hat
man bei ſolchen Leuten Geſchwuͤre und andere Zerruͤttun-
gen im Gehirne gefunden; ſo wie man hingegen auch
nach dem Tode dergleichen Verletzungen endeckt hat,
obſchon dieſe Leute weder irgend eine Empfindung
noch ſonſt die geringſte Unordnung in ihren Gedanken
gehabt haben.
In dem dreytaͤgigen Schwitzfieber zerfließt der
Menſch ganz in einem kalten Schweiſe. Der Puls
wird ſchnell, klein, ſchwach, und alle Kraft geht
verlohren; nur der Geiſt bleibt vollkommen heiter,
und bemerkt genau den Verfall der Maſchine und
deren nahe Aufloͤſung. *) Burſery erzaͤhlt den Fall eines
eintaͤgigen Fiebers, welches den kalten Brand zur Fol-
ge hatte. (Ephemera gangrænoſa) Ehe ſich der Brand-
ſtoff auf den Schenkel warf, und noch im Koͤrper
herumſchweifte, ſpuͤrte der Kranke eine ungewoͤhnliche
und unwillkuͤhrliche Gelaͤufigkeit der Ideen; er hatte
eine glaͤnzende Beredſamkeit, ein bewunderungswuͤrdiges
Gedaͤchtniß, Scharfſinn, und durchdringenden Ver-
ſtand. Nebſtbey waren alle natuͤrlichen Verrichtungen
im vollkommenſten Zuſtande, bis er endlich am Brand
ſtarb.
*) Torti. Therap. Special.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/71>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.