Wein in den Mund tröpfeln; Tücher, welche in ei- ne Mischung von Wasser, Essig und Wein getaucht wurden, auf den Bauch und die Brust legen, und die gefäßreichesten Stellen damit befeuchten. Nach und nach hob sich der Puls; die Gesichtsfarbe wurde leb- hafter; der Schlaf ordentlich; erst den andern Tag, sechs und dreyßig Stunden nach der Entscheidung wur- de sie erweckt; sie leerte durch den Stuhl noch mehr Galle aus, und genaß. -- Wie dieser Zeitpunkt von den wirlichen Vorboten des Todes zu unterscheiden seye, werde ich an einem andern Orte vollständig zeigen.
Dieser Fall kann sich nach jeder heftigen, be- sonders mit Schmerzen begleiteten, und folglich desto mehr ermattenden Ausleerung ereignen. Timokrates in Helis trank viel, und nahm, als er von schwar- zer Galle in eine Raserey verfiel, ein Purgiermittel. Er wurde purgirt, die Purganz trieb den Tag über häufigen Schleim und schwarze Galle ab, und gegen Abend ließ die Ausleerung nach. Beym Purgieren hatte er starke Schmerzen. Nachdem er etwas [se]ine Grützsuppe genossen hatte, bekam er Schlaf, der die Nacht durch, bis es tagte, anhielt. Im Schlafe schien er den Umseyenden gar nicht zu athmen; sondern todt zu seyn: denn er empfand von dem, was geredet oder gethan wurde, nichts. Sein Körper lag starr, aus- gestreckt und steif. Doch lebte er, und wurde wieder aufgeweckt.*)
Fer-
*)Hipp. Epid. lib. V. 2 C.
Wein in den Mund troͤpfeln; Tuͤcher, welche in ei- ne Miſchung von Waſſer, Eſſig und Wein getaucht wurden, auf den Bauch und die Bruſt legen, und die gefaͤßreicheſten Stellen damit befeuchten. Nach und nach hob ſich der Puls; die Geſichtsfarbe wurde leb- hafter; der Schlaf ordentlich; erſt den andern Tag, ſechs und dreyßig Stunden nach der Entſcheidung wur- de ſie erweckt; ſie leerte durch den Stuhl noch mehr Galle aus, und genaß. — Wie dieſer Zeitpunkt von den wirlichen Vorboten des Todes zu unterſcheiden ſeye, werde ich an einem andern Orte vollſtaͤndig zeigen.
Dieſer Fall kann ſich nach jeder heftigen, be- ſonders mit Schmerzen begleiteten, und folglich deſto mehr ermattenden Ausleerung ereignen. Timokrates in Helis trank viel, und nahm, als er von ſchwar- zer Galle in eine Raſerey verfiel, ein Purgiermittel. Er wurde purgirt, die Purganz trieb den Tag uͤber haͤufigen Schleim und ſchwarze Galle ab, und gegen Abend ließ die Ausleerung nach. Beym Purgieren hatte er ſtarke Schmerzen. Nachdem er etwas [ſe]ine Gruͤtzſuppe genoſſen hatte, bekam er Schlaf, der die Nacht durch, bis es tagte, anhielt. Im Schlafe ſchien er den Umſeyenden gar nicht zu athmen; ſondern todt zu ſeyn: denn er empfand von dem, was geredet oder gethan wurde, nichts. Sein Koͤrper lag ſtarr, aus- geſtreckt und ſteif. Doch lebte er, und wurde wieder aufgeweckt.*)
Fer-
*)Hipp. Epid. lib. V. 2 C.
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Wein in den Mund troͤpfeln; Tuͤcher, welche in ei-
ne Miſchung von Waſſer, Eſſig und Wein getaucht
wurden, auf den Bauch und die Bruſt legen, und
die gefaͤßreicheſten Stellen damit befeuchten. Nach und
nach hob ſich der Puls; die Geſichtsfarbe wurde leb-
hafter; der Schlaf ordentlich; erſt den andern Tag,
ſechs und dreyßig Stunden nach der Entſcheidung wur-
de ſie erweckt; ſie leerte durch den Stuhl noch mehr
Galle aus, und genaß. — Wie dieſer Zeitpunkt von
den wirlichen Vorboten des Todes zu unterſcheiden
ſeye, werde ich an einem andern Orte vollſtaͤndig
zeigen.
Dieſer Fall kann ſich nach jeder heftigen, be-
ſonders mit Schmerzen begleiteten, und folglich deſto
mehr ermattenden Ausleerung ereignen. Timokrates
in Helis trank viel, und nahm, als er von ſchwar-
zer Galle in eine Raſerey verfiel, ein Purgiermittel.
Er wurde purgirt, die Purganz trieb den Tag uͤber
haͤufigen Schleim und ſchwarze Galle ab, und gegen
Abend ließ die Ausleerung nach. Beym Purgieren
hatte er ſtarke Schmerzen. Nachdem er etwas ſeine
Gruͤtzſuppe genoſſen hatte, bekam er Schlaf, der die
Nacht durch, bis es tagte, anhielt. Im Schlafe ſchien
er den Umſeyenden gar nicht zu athmen; ſondern todt
zu ſeyn: denn er empfand von dem, was geredet oder
gethan wurde, nichts. Sein Koͤrper lag ſtarr, aus-
geſtreckt und ſteif. Doch lebte er, und wurde wieder
aufgeweckt. *)
Fer-
*) Hipp. Epid. lib. V. 2 C.
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/730>, abgerufen am 24.11.2024.
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