mermann hielt ihm den flüchtigen Salmiakgeist unter die Nase, goß denselben in die Nase, schüttete ihm die stärksten Arzneyen in den Hals; sie kamen aber von selbst in den Mund zurück, und floßen ihm über den Bart herunter. Erst nach 24 Stunden bemerk- te man ein sehr langsames und kleines Athmen. In den ersten 24 Stunden rieb man ihm von Zeit zu Zeit Salmiakgeist unter die Nase. Nach diesen 24 Stunden schien er etwas von den Arzneyen zu schlü- cken. Nach 30 Stunden that er zum ersten Male die Augen auf; nach 36 Stunden gab er einen kleinen Laut; nach 6 Tagen war er vollkommen gesund, und stund bald darauf am Pranger.
Nun sollen Vater und Mutter, Kinder und Eltern gewaltsam von einander scheiden; der Liebende soll den Armen der Geliebten, der Reiche seinen Schätzen, der Wohllebende allem Genuße entrissen werden! -- -- Unduldsamkeit im Leiden; Mangel an Trost; Gewissensbangigkeiten; schreckvolle, fey- erliche Zubereitungen; Jammer und Wehklagen, oder marternde Gleichgültigkeit der Angehörigen: -- Wenn der Kranke dieß alles fühlt, wie allmächtig müßen dann seine ohnehin erschütterten Lebenskräfte zermalmt werden! -- -- Aber nur die Leiden, die Vorläufer und die Furcht des Todes sind schrecklich. Der Tod selbst hat uns überfallen, ehe wir's ge- merkt haben. -- --
Dor
mermann hielt ihm den fluͤchtigen Salmiakgeiſt unter die Naſe, goß denſelben in die Naſe, ſchuͤttete ihm die ſtaͤrkſten Arzneyen in den Hals; ſie kamen aber von ſelbſt in den Mund zuruͤck, und floßen ihm uͤber den Bart herunter. Erſt nach 24 Stunden bemerk- te man ein ſehr langſames und kleines Athmen. In den erſten 24 Stunden rieb man ihm von Zeit zu Zeit Salmiakgeiſt unter die Naſe. Nach dieſen 24 Stunden ſchien er etwas von den Arzneyen zu ſchluͤ- cken. Nach 30 Stunden that er zum erſten Male die Augen auf; nach 36 Stunden gab er einen kleinen Laut; nach 6 Tagen war er vollkommen geſund, und ſtund bald darauf am Pranger.
Nun ſollen Vater und Mutter, Kinder und Eltern gewaltſam von einander ſcheiden; der Liebende ſoll den Armen der Geliebten, der Reiche ſeinen Schaͤtzen, der Wohllebende allem Genuße entriſſen werden! — — Unduldſamkeit im Leiden; Mangel an Troſt; Gewiſſensbangigkeiten; ſchreckvolle, fey- erliche Zubereitungen; Jammer und Wehklagen, oder marternde Gleichguͤltigkeit der Angehoͤrigen: — Wenn der Kranke dieß alles fuͤhlt, wie allmaͤchtig muͤßen dann ſeine ohnehin erſchuͤtterten Lebenskraͤfte zermalmt werden! — — Aber nur die Leiden, die Vorlaͤufer und die Furcht des Todes ſind ſchrecklich. Der Tod ſelbſt hat uns uͤberfallen, ehe wir’s ge- merkt haben. — —
Dor
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mermann hielt ihm den fluͤchtigen Salmiakgeiſt unter
die Naſe, goß denſelben in die Naſe, ſchuͤttete ihm
die ſtaͤrkſten Arzneyen in den Hals; ſie kamen aber
von ſelbſt in den Mund zuruͤck, und floßen ihm uͤber
den Bart herunter. Erſt nach 24 Stunden bemerk-
te man ein ſehr langſames und kleines Athmen. In
den erſten 24 Stunden rieb man ihm von Zeit zu
Zeit Salmiakgeiſt unter die Naſe. Nach dieſen 24
Stunden ſchien er etwas von den Arzneyen zu ſchluͤ-
cken. Nach 30 Stunden that er zum erſten Male die
Augen auf; nach 36 Stunden gab er einen kleinen
Laut; nach 6 Tagen war er vollkommen geſund, und
ſtund bald darauf am Pranger.
Nun ſollen Vater und Mutter, Kinder und
Eltern gewaltſam von einander ſcheiden; der Liebende
ſoll den Armen der Geliebten, der Reiche ſeinen
Schaͤtzen, der Wohllebende allem Genuße entriſſen
werden! — — Unduldſamkeit im Leiden; Mangel
an Troſt; Gewiſſensbangigkeiten; ſchreckvolle, fey-
erliche Zubereitungen; Jammer und Wehklagen,
oder marternde Gleichguͤltigkeit der Angehoͤrigen: —
Wenn der Kranke dieß alles fuͤhlt, wie allmaͤchtig
muͤßen dann ſeine ohnehin erſchuͤtterten Lebenskraͤfte
zermalmt werden! — — Aber nur die Leiden, die
Vorlaͤufer und die Furcht des Todes ſind ſchrecklich.
Der Tod ſelbſt hat uns uͤberfallen, ehe wir’s ge-
merkt haben. — —
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/737>, abgerufen am 21.11.2024.
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