über die Sphäre der menschlichen Natur zu erheben scheinen, dennoch oft noch mit alten Irrthümmern be- mackelt sind; und daß diejenigen, um deren Sittlich- keit es eben nicht allzu gut steht, bisweilen in ihren letzten Augenblicken überaus freudig sind, und so zu sagen, entzückungsvoll den Himmel schon offen sehen, und Rechtschaffene hingegen bisweilen von der größten Bangigkeit gefoltert werden."
§. 19.
Aus diesen Erfahrungen ziehe ich drey Folge- rungssäze. Erstlich: Daß körperliche Veränderungen in uns vorgehen können, wodurch das Gefühl von Kraft oder Schwäche, von Dauerbarkeit oder Auflö- sung erregt wird, ohne daß wir weder uns, noch einem andern den Grund anzugeben im Stande sind. Zwei- tens: Daß diese Gefühle jedesmahl von solchen körper- lichen Veränderungen abhangen, und folglich nicht anderst, als, als mittelbare Vorhersehungen betrach- tet werden müssen. Drittens: Daß es bisher noch kein Merkmal gebe, mittelst dessen man erkennen kann, wann der Erfolg diesem Gefühl entsprochen, oder wann er es vereitlen wird. -- Zur Bestättigung führe ich noch Folgendes an:
Junge oder im mittleren Alter begriffene Leu- te, die einer erhöhten Einbildungskraft fähig sind, vorzüglich die Sanguinischen und Melancholischen geben sich in Krankheiten mit der Weissagung ihres Todes ab. Ein an Lungengeschwüren unter entsetzlichen Ban- gigkeiten kämpfendes vierzigjähriges Frauenzimmer be-
stimm-
uͤber die Sphaͤre der menſchlichen Natur zu erheben ſcheinen, dennoch oft noch mit alten Irrthuͤmmern be- mackelt ſind; und daß diejenigen, um deren Sittlich- keit es eben nicht allzu gut ſteht, bisweilen in ihren letzten Augenblicken uͤberaus freudig ſind, und ſo zu ſagen, entzuͤckungsvoll den Himmel ſchon offen ſehen, und Rechtſchaffene hingegen bisweilen von der groͤßten Bangigkeit gefoltert werden.〟
§. 19.
Aus dieſen Erfahrungen ziehe ich drey Folge- rungsſaͤze. Erſtlich: Daß koͤrperliche Veraͤnderungen in uns vorgehen koͤnnen, wodurch das Gefuͤhl von Kraft oder Schwaͤche, von Dauerbarkeit oder Aufloͤ- ſung erregt wird, ohne daß wir weder uns, noch einem andern den Grund anzugeben im Stande ſind. Zwei- tens: Daß dieſe Gefuͤhle jedesmahl von ſolchen koͤrper- lichen Veraͤnderungen abhangen, und folglich nicht anderſt, als, als mittelbare Vorherſehungen betrach- tet werden muͤſſen. Drittens: Daß es bisher noch kein Merkmal gebe, mittelſt deſſen man erkennen kann, wann der Erfolg dieſem Gefuͤhl entſprochen, oder wann er es vereitlen wird. — Zur Beſtaͤttigung fuͤhre ich noch Folgendes an:
Junge oder im mittleren Alter begriffene Leu- te, die einer erhoͤhten Einbildungskraft faͤhig ſind, vorzuͤglich die Sanguiniſchen und Melancholiſchen geben ſich in Krankheiten mit der Weiſſagung ihres Todes ab. Ein an Lungengeſchwuͤren unter entſetzlichen Ban- gigkeiten kaͤmpfendes vierzigjaͤhriges Frauenzimmer be-
ſtimm-
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[62/0081]
uͤber die Sphaͤre der menſchlichen Natur zu erheben
ſcheinen, dennoch oft noch mit alten Irrthuͤmmern be-
mackelt ſind; und daß diejenigen, um deren Sittlich-
keit es eben nicht allzu gut ſteht, bisweilen in ihren
letzten Augenblicken uͤberaus freudig ſind, und ſo zu
ſagen, entzuͤckungsvoll den Himmel ſchon offen ſehen,
und Rechtſchaffene hingegen bisweilen von der groͤßten
Bangigkeit gefoltert werden.〟
§. 19.
Aus dieſen Erfahrungen ziehe ich drey Folge-
rungsſaͤze. Erſtlich: Daß koͤrperliche Veraͤnderungen
in uns vorgehen koͤnnen, wodurch das Gefuͤhl von
Kraft oder Schwaͤche, von Dauerbarkeit oder Aufloͤ-
ſung erregt wird, ohne daß wir weder uns, noch einem
andern den Grund anzugeben im Stande ſind. Zwei-
tens: Daß dieſe Gefuͤhle jedesmahl von ſolchen koͤrper-
lichen Veraͤnderungen abhangen, und folglich nicht
anderſt, als, als mittelbare Vorherſehungen betrach-
tet werden muͤſſen. Drittens: Daß es bisher noch
kein Merkmal gebe, mittelſt deſſen man erkennen kann,
wann der Erfolg dieſem Gefuͤhl entſprochen, oder
wann er es vereitlen wird. — Zur Beſtaͤttigung fuͤhre
ich noch Folgendes an:
Junge oder im mittleren Alter begriffene Leu-
te, die einer erhoͤhten Einbildungskraft faͤhig ſind,
vorzuͤglich die Sanguiniſchen und Melancholiſchen geben
ſich in Krankheiten mit der Weiſſagung ihres Todes
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/81>, abgerufen am 22.11.2024.
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