Warum sollte nicht hier die Seele aus gewissen gehei- men Gefühlen von der Stärke und Schwäche ihrer Werkzeuge sich die Dauer des Lebens bestimmter, als selbst im Wachen festsetzen können? Wenn man hiezu noch nimmt, daß solche Träume sehr selten sind, daß sie sehr oft nicht eintreffen, und daß man die be- trügenden nicht gerne erzählt, weil man nicht gerne betrogen seyn will; daß man folglich gegen einen er- füllten mehr als hundert verschwiegene nicht erfüllte Träume setzen kann: so sehe ich auch hierinn nichts übernatürliches. -- -- Weil die von dem Geräusche der Sinne befreyte Seele diejenigen Dispositionen vor- her in sich fühlen kann, die zur Krankheit oder Ge- sundheit leiten; daher wird der Kranke gesund, dem es träumte, daß er gesund werden wird, und dem es träumte, daß er sterben wird, der stirbt. Auch oh- ne zu träumen können wir oft lange vorher fühlen, ob wir krank werden, oder, wenn wir krank sind, ob wir werden gesund werden; wie viel mehr muß nicht das im Traume geschehen können? Nicht nur, daß wir krank oder gesund werden, sondern auch wann wir es werden sollen, können wir aus physi- schen Ursachen vorher empfinden. -- Diejenigen, die gewissen Krankheiten oft unterworfen sind, sagen ge- meiniglich vorher, wann sie wiederkommen, und wann sie weggehen werden."*) Die Einbildungs- kraft, die ängstliche oder frohe Erwartung, die Macht des Glaubens tragen ohne Zweifel allermeist das meiste bey. "Ein Mensch träumt; du wirst an
dem
*) 3ter Theil S. 210.
Warum ſollte nicht hier die Seele aus gewiſſen gehei- men Gefuͤhlen von der Staͤrke und Schwaͤche ihrer Werkzeuge ſich die Dauer des Lebens beſtimmter, als ſelbſt im Wachen feſtſetzen koͤnnen? Wenn man hiezu noch nimmt, daß ſolche Traͤume ſehr ſelten ſind, daß ſie ſehr oft nicht eintreffen, und daß man die be- truͤgenden nicht gerne erzaͤhlt, weil man nicht gerne betrogen ſeyn will; daß man folglich gegen einen er- fuͤllten mehr als hundert verſchwiegene nicht erfuͤllte Traͤume ſetzen kann: ſo ſehe ich auch hierinn nichts uͤbernatuͤrliches. — — Weil die von dem Geraͤuſche der Sinne befreyte Seele diejenigen Diſpoſitionen vor- her in ſich fuͤhlen kann, die zur Krankheit oder Ge- ſundheit leiten; daher wird der Kranke geſund, dem es traͤumte, daß er geſund werden wird, und dem es traͤumte, daß er ſterben wird, der ſtirbt. Auch oh- ne zu traͤumen koͤnnen wir oft lange vorher fuͤhlen, ob wir krank werden, oder, wenn wir krank ſind, ob wir werden geſund werden; wie viel mehr muß nicht das im Traume geſchehen koͤnnen? Nicht nur, daß wir krank oder geſund werden, ſondern auch wann wir es werden ſollen, koͤnnen wir aus phyſi- ſchen Urſachen vorher empfinden. — Diejenigen, die gewiſſen Krankheiten oft unterworfen ſind, ſagen ge- meiniglich vorher, wann ſie wiederkommen, und wann ſie weggehen werden.„*) Die Einbildungs- kraft, die aͤngſtliche oder frohe Erwartung, die Macht des Glaubens tragen ohne Zweifel allermeiſt das meiſte bey. “Ein Menſch traͤumt; du wirſt an
dem
*) 3ter Theil S. 210.
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Warum ſollte nicht hier die Seele aus gewiſſen gehei-
men Gefuͤhlen von der Staͤrke und Schwaͤche ihrer
Werkzeuge ſich die Dauer des Lebens beſtimmter,
als ſelbſt im Wachen feſtſetzen koͤnnen? Wenn man
hiezu noch nimmt, daß ſolche Traͤume ſehr ſelten ſind,
daß ſie ſehr oft nicht eintreffen, und daß man die be-
truͤgenden nicht gerne erzaͤhlt, weil man nicht gerne
betrogen ſeyn will; daß man folglich gegen einen er-
fuͤllten mehr als hundert verſchwiegene nicht erfuͤllte
Traͤume ſetzen kann: ſo ſehe ich auch hierinn nichts
uͤbernatuͤrliches. — — Weil die von dem Geraͤuſche
der Sinne befreyte Seele diejenigen Diſpoſitionen vor-
her in ſich fuͤhlen kann, die zur Krankheit oder Ge-
ſundheit leiten; daher wird der Kranke geſund, dem
es traͤumte, daß er geſund werden wird, und dem es
traͤumte, daß er ſterben wird, der ſtirbt. Auch oh-
ne zu traͤumen koͤnnen wir oft lange vorher fuͤhlen,
ob wir krank werden, oder, wenn wir krank ſind,
ob wir werden geſund werden; wie viel mehr muß
nicht das im Traume geſchehen koͤnnen? Nicht nur,
daß wir krank oder geſund werden, ſondern auch
wann wir es werden ſollen, koͤnnen wir aus phyſi-
ſchen Urſachen vorher empfinden. — Diejenigen, die
gewiſſen Krankheiten oft unterworfen ſind, ſagen ge-
meiniglich vorher, wann ſie wiederkommen, und
wann ſie weggehen werden.„ *) Die Einbildungs-
kraft, die aͤngſtliche oder frohe Erwartung, die
Macht des Glaubens tragen ohne Zweifel allermeiſt
das meiſte bey. “Ein Menſch traͤumt; du wirſt an
dem
*) 3ter Theil S. 210.
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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