Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

ren, daß eine dunkle Vorstellung, ein geheimer Reiz
zur Raserey von den Hypochondrien emporsteige; daß
diese Idee sie anfangs wieder ihren Willen beherrschte,
bis sie endlich die völlige Herrschaft erlangt hätte.
Wenn sie wieder zu sich kamen, wusten sie von al-
lem vorgefallenen nichts. Sie beklagten sich, daß sie
zuerst aller vernünftigen Folge der Gedanken beraubt
würden; daß sie darauf auf eine einzige Idee fest ge-
heftet würden, außer der sie nichts denken könnten;
daß mit dieser Idee Traurigkeit, unangenehme Em-
pfindung verbunden wäre. -- Sie dächten diese Idee
nicht anderst, als ob sie sie im Spiegel allzeit ange-
schauet hätten. Ja sie wüsten nicht, daß sie alsdann
dieß dächten, ob sie gleich so steif daran dächten, daß
sie ganze Tage hindurch ohne alle Ermüdung stehen
blieben, wenn sie beym Anfall der Raserey gerade im
Stehen begriffen wären, ohne daß sie wissen, daß sie
stünden. -- Einige beklagen sich, daß sie bey Entste-
hung des Paroxismus von einer Menge unwillkührli-
cher und widerlicher Gedanken befallen würden, wie
von einem von unten aufsteigenden Rauche; daß, wenn
sie sich bemüheten, diesen Strom durch Raisonnement
zu unterdrücken, er dennoch eben so heftig und eben
so unwillkührlich zurückkehre." -- Bey andern gieng
eine solche Schwäche des Gedächtnißes voraus, daß sie
alles auf der Stelle vergaßen, was sie eben zu ver-
richten unternahmen. Forestus erzählt von einem jun-
gen Menschen, der, wenn er den Nachttopf ergriff,
ihn in der Hand behielt, ohne ihn zu gebrauchen;
und wenn er sich sonst entledigen wollte, so wuste er

gleich

ren, daß eine dunkle Vorſtellung, ein geheimer Reiz
zur Raſerey von den Hypochondrien emporſteige; daß
dieſe Idee ſie anfangs wieder ihren Willen beherrſchte,
bis ſie endlich die voͤllige Herrſchaft erlangt haͤtte.
Wenn ſie wieder zu ſich kamen, wuſten ſie von al-
lem vorgefallenen nichts. Sie beklagten ſich, daß ſie
zuerſt aller vernuͤnftigen Folge der Gedanken beraubt
wuͤrden; daß ſie darauf auf eine einzige Idee feſt ge-
heftet wuͤrden, außer der ſie nichts denken koͤnnten;
daß mit dieſer Idee Traurigkeit, unangenehme Em-
pfindung verbunden waͤre. — Sie daͤchten dieſe Idee
nicht anderſt, als ob ſie ſie im Spiegel allzeit ange-
ſchauet haͤtten. Ja ſie wuͤſten nicht, daß ſie alsdann
dieß daͤchten, ob ſie gleich ſo ſteif daran daͤchten, daß
ſie ganze Tage hindurch ohne alle Ermuͤdung ſtehen
blieben, wenn ſie beym Anfall der Raſerey gerade im
Stehen begriffen waͤren, ohne daß ſie wiſſen, daß ſie
ſtuͤnden. — Einige beklagen ſich, daß ſie bey Entſte-
hung des Paroxismus von einer Menge unwillkuͤhrli-
cher und widerlicher Gedanken befallen wuͤrden, wie
von einem von unten aufſteigenden Rauche; daß, wenn
ſie ſich bemuͤheten, dieſen Strom durch Raiſonnement
zu unterdruͤcken, er dennoch eben ſo heftig und eben
ſo unwillkuͤhrlich zuruͤckkehre.„ — Bey andern gieng
eine ſolche Schwaͤche des Gedaͤchtnißes voraus, daß ſie
alles auf der Stelle vergaßen, was ſie eben zu ver-
richten unternahmen. Foreſtus erzaͤhlt von einem jun-
gen Menſchen, der, wenn er den Nachttopf ergriff,
ihn in der Hand behielt, ohne ihn zu gebrauchen;
und wenn er ſich ſonſt entledigen wollte, ſo wuſte er

gleich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0092" n="73"/>
ren, daß eine dunkle Vor&#x017F;tellung, ein geheimer Reiz<lb/>
zur Ra&#x017F;erey von den Hypochondrien empor&#x017F;teige; daß<lb/>
die&#x017F;e Idee &#x017F;ie anfangs wieder ihren Willen beherr&#x017F;chte,<lb/>
bis &#x017F;ie endlich die vo&#x0364;llige Herr&#x017F;chaft erlangt ha&#x0364;tte.<lb/>
Wenn &#x017F;ie wieder zu &#x017F;ich kamen, wu&#x017F;ten &#x017F;ie von al-<lb/>
lem vorgefallenen nichts. Sie beklagten &#x017F;ich, daß &#x017F;ie<lb/>
zuer&#x017F;t aller vernu&#x0364;nftigen Folge der Gedanken beraubt<lb/>
wu&#x0364;rden; daß &#x017F;ie darauf auf eine einzige Idee fe&#x017F;t ge-<lb/>
heftet wu&#x0364;rden, außer der &#x017F;ie nichts denken ko&#x0364;nnten;<lb/>
daß mit die&#x017F;er Idee Traurigkeit, unangenehme Em-<lb/>
pfindung verbunden wa&#x0364;re. &#x2014; Sie da&#x0364;chten die&#x017F;e Idee<lb/>
nicht ander&#x017F;t, als ob &#x017F;ie &#x017F;ie im Spiegel allzeit ange-<lb/>
&#x017F;chauet ha&#x0364;tten. Ja &#x017F;ie wu&#x0364;&#x017F;ten nicht, daß &#x017F;ie alsdann<lb/>
dieß da&#x0364;chten, ob &#x017F;ie gleich &#x017F;o &#x017F;teif daran da&#x0364;chten, daß<lb/>
&#x017F;ie ganze Tage hindurch ohne alle Ermu&#x0364;dung &#x017F;tehen<lb/>
blieben, wenn &#x017F;ie beym Anfall der Ra&#x017F;erey gerade im<lb/>
Stehen begriffen wa&#x0364;ren, ohne daß &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;nden. &#x2014; Einige beklagen &#x017F;ich, daß &#x017F;ie bey Ent&#x017F;te-<lb/>
hung des Paroxismus von einer Menge unwillku&#x0364;hrli-<lb/>
cher und widerlicher Gedanken befallen wu&#x0364;rden, wie<lb/>
von einem von unten auf&#x017F;teigenden Rauche; daß, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich bemu&#x0364;heten, die&#x017F;en Strom durch Rai&#x017F;onnement<lb/>
zu unterdru&#x0364;cken, er dennoch eben &#x017F;o heftig und eben<lb/>
&#x017F;o unwillku&#x0364;hrlich zuru&#x0364;ckkehre.&#x201E; &#x2014; Bey andern gieng<lb/>
eine &#x017F;olche Schwa&#x0364;che des Geda&#x0364;chtnißes voraus, daß &#x017F;ie<lb/>
alles auf der Stelle vergaßen, was &#x017F;ie eben zu ver-<lb/>
richten unternahmen. <hi rendition="#fr">Fore&#x017F;tus</hi> erza&#x0364;hlt von einem jun-<lb/>
gen Men&#x017F;chen, der, wenn er den Nachttopf ergriff,<lb/>
ihn in der Hand behielt, ohne ihn zu gebrauchen;<lb/>
und wenn er &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t entledigen wollte, &#x017F;o wu&#x017F;te er<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gleich</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0092] ren, daß eine dunkle Vorſtellung, ein geheimer Reiz zur Raſerey von den Hypochondrien emporſteige; daß dieſe Idee ſie anfangs wieder ihren Willen beherrſchte, bis ſie endlich die voͤllige Herrſchaft erlangt haͤtte. Wenn ſie wieder zu ſich kamen, wuſten ſie von al- lem vorgefallenen nichts. Sie beklagten ſich, daß ſie zuerſt aller vernuͤnftigen Folge der Gedanken beraubt wuͤrden; daß ſie darauf auf eine einzige Idee feſt ge- heftet wuͤrden, außer der ſie nichts denken koͤnnten; daß mit dieſer Idee Traurigkeit, unangenehme Em- pfindung verbunden waͤre. — Sie daͤchten dieſe Idee nicht anderſt, als ob ſie ſie im Spiegel allzeit ange- ſchauet haͤtten. Ja ſie wuͤſten nicht, daß ſie alsdann dieß daͤchten, ob ſie gleich ſo ſteif daran daͤchten, daß ſie ganze Tage hindurch ohne alle Ermuͤdung ſtehen blieben, wenn ſie beym Anfall der Raſerey gerade im Stehen begriffen waͤren, ohne daß ſie wiſſen, daß ſie ſtuͤnden. — Einige beklagen ſich, daß ſie bey Entſte- hung des Paroxismus von einer Menge unwillkuͤhrli- cher und widerlicher Gedanken befallen wuͤrden, wie von einem von unten aufſteigenden Rauche; daß, wenn ſie ſich bemuͤheten, dieſen Strom durch Raiſonnement zu unterdruͤcken, er dennoch eben ſo heftig und eben ſo unwillkuͤhrlich zuruͤckkehre.„ — Bey andern gieng eine ſolche Schwaͤche des Gedaͤchtnißes voraus, daß ſie alles auf der Stelle vergaßen, was ſie eben zu ver- richten unternahmen. Foreſtus erzaͤhlt von einem jun- gen Menſchen, der, wenn er den Nachttopf ergriff, ihn in der Hand behielt, ohne ihn zu gebrauchen; und wenn er ſich ſonſt entledigen wollte, ſo wuſte er gleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/92
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/92>, abgerufen am 22.11.2024.