Mit den in den vorigen beiden Hauptabschnitten Gewebefaserkunde und Farbwarenkunde behandelten Gespinnstfasern und Farbstoffen ist jedoch ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandteste Färber wird aus Seidengarn und den grünglänzenden Krystallen des Fuchsins noch keine rot- gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch mindestens eines Körpers: des Wassers. Was wäre der Färber ohne Wasser? das Wasser ist ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den 3 Faktoren Gewebefaser, Farbstoff und Wasser lassen sich schon eine recht ansehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber auch diese 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle, Orange II und Wasser eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum- wolle, Malachitgrün und Wasser eine grün gefärbte Baumwolle; im ersten Falle bedarf er noch der Schwefelsäure und des Glaubersalzes, im andern Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechweinsteins, um zu einer eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs- kraft, oder die chemische Verwandtschaft zwischen Faser und Farbstoff ist für jede Faser und für jeden Farbstoff eine verschiedene; sie ist in manchen Fällen eine so große, daß es nur des Wassers bedarf, um die Verbindung des Farbstoffes mit oder die Einlagerung des Farbstoffes in der Faser zu bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandtschaft zwischen Faser und Farbstoff eine minder große ist, wird zwar auch eine Färbung erzielt; diese ist aber so unbeständig, daß schon ein Spülen im Wasser den nur mechanisch anhaftenden Farbstoff wieder entfernt. Alle jene Farbstoffe, welche zur Gewebefaser eine so große Verwandtschaft besitzen, daß sie unter Zuhilfenahme lediglich des Wassers eine richtige Färbung der Faser erzielen, werden direkte oder substantive Farbstoffe genannt. Die Anzahl solcher Farbstoffe ist nicht eben groß, und sie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl dieser direkten Farbstoffe keineswegs alle, sondern nur gewisse Fasern substantiv färbt. Der größere Teil der heute üblichen Farbstoffe bedarf zur Erzeugung einer fest haftenden
Chemikalienkunde.
§ 83. Allgemeines.
Mit den in den vorigen beiden Hauptabſchnitten Gewebefaſerkunde und Farbwarenkunde behandelten Geſpinnſtfaſern und Farbſtoffen iſt jedoch ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandteſte Färber wird aus Seidengarn und den grünglänzenden Kryſtallen des Fuchſins noch keine rot- gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch mindeſtens eines Körpers: des Waſſers. Was wäre der Färber ohne Waſſer? das Waſſer iſt ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den 3 Faktoren Gewebefaſer, Farbſtoff und Waſſer laſſen ſich ſchon eine recht anſehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber auch dieſe 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle, Orange II und Waſſer eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum- wolle, Malachitgrün und Waſſer eine grün gefärbte Baumwolle; im erſten Falle bedarf er noch der Schwefelſäure und des Glauberſalzes, im andern Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechweinſteins, um zu einer eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs- kraft, oder die chemiſche Verwandtſchaft zwiſchen Faſer und Farbſtoff iſt für jede Faſer und für jeden Farbſtoff eine verſchiedene; ſie iſt in manchen Fällen eine ſo große, daß es nur des Waſſers bedarf, um die Verbindung des Farbſtoffes mit oder die Einlagerung des Farbſtoffes in der Faſer zu bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandtſchaft zwiſchen Faſer und Farbſtoff eine minder große iſt, wird zwar auch eine Färbung erzielt; dieſe iſt aber ſo unbeſtändig, daß ſchon ein Spülen im Waſſer den nur mechaniſch anhaftenden Farbſtoff wieder entfernt. Alle jene Farbſtoffe, welche zur Gewebefaſer eine ſo große Verwandtſchaft beſitzen, daß ſie unter Zuhilfenahme lediglich des Waſſers eine richtige Färbung der Faſer erzielen, werden direkte oder ſubſtantive Farbſtoffe genannt. Die Anzahl ſolcher Farbſtoffe iſt nicht eben groß, und ſie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl dieſer direkten Farbſtoffe keineswegs alle, ſondern nur gewiſſe Faſern ſubſtantiv färbt. Der größere Teil der heute üblichen Farbſtoffe bedarf zur Erzeugung einer feſt haftenden
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Chemikalienkunde.
§ 83. Allgemeines.
Mit den in den vorigen beiden Hauptabſchnitten Gewebefaſerkunde
und Farbwarenkunde behandelten Geſpinnſtfaſern und Farbſtoffen iſt jedoch
ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandteſte Färber wird aus
Seidengarn und den grünglänzenden Kryſtallen des Fuchſins noch keine rot-
gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch mindeſtens eines
Körpers: des Waſſers. Was wäre der Färber ohne Waſſer? das Waſſer
iſt ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den
3 Faktoren Gewebefaſer, Farbſtoff und Waſſer laſſen ſich ſchon eine recht
anſehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber
auch dieſe 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle,
Orange II und Waſſer eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum-
wolle, Malachitgrün und Waſſer eine grün gefärbte Baumwolle; im erſten
Falle bedarf er noch der Schwefelſäure und des Glauberſalzes, im andern
Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechweinſteins, um zu einer
eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs-
kraft, oder die chemiſche Verwandtſchaft zwiſchen Faſer und Farbſtoff iſt für
jede Faſer und für jeden Farbſtoff eine verſchiedene; ſie iſt in manchen
Fällen eine ſo große, daß es nur des Waſſers bedarf, um die Verbindung
des Farbſtoffes mit oder die Einlagerung des Farbſtoffes in der Faſer zu
bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandtſchaft zwiſchen
Faſer und Farbſtoff eine minder große iſt, wird zwar auch eine Färbung
erzielt; dieſe iſt aber ſo unbeſtändig, daß ſchon ein Spülen im Waſſer den nur
mechaniſch anhaftenden Farbſtoff wieder entfernt. Alle jene Farbſtoffe,
welche zur Gewebefaſer eine ſo große Verwandtſchaft beſitzen,
daß ſie unter Zuhilfenahme lediglich des Waſſers eine richtige
Färbung der Faſer erzielen, werden direkte oder ſubſtantive
Farbſtoffe genannt. Die Anzahl ſolcher Farbſtoffe iſt nicht eben groß,
und ſie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl dieſer direkten Farbſtoffe
keineswegs alle, ſondern nur gewiſſe Faſern ſubſtantiv färbt. Der größere
Teil der heute üblichen Farbſtoffe bedarf zur Erzeugung einer feſt haftenden
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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. [217]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/243>, abgerufen am 23.11.2024.
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