aufzufassen sein würde. Andererseits wäre es auch denkbar, daß durch das Chlor eine Dehydrogenation (sogen. Oxydation) stattfände, in welchem Falle allerdings die chlorierte Wolle als Oxy-Keratin zu betrachten wäre. Sei dem, wie ihm wolle, Thatsache ist, daß die chlorierte Wolle Eigenschaften besitzt, welche sie der Seide näher bringen: sie wird glänzender, weicher und glatt, bekommt einen seidenartigen Griff und büßt ihre Verfilzungsfähigkeit ein, dagegen nimmt ihre Verwandtschaft, ihre Aufnahmefähigkeit für eine Anzahl von Farbstoffen um ein Bedeutendes zu. Diese Erhöhung der Auf- nahmefähigkeit ist z. B. für stark saure Farbstoffe eine so große, daß sie bei einigen derselben (z. B. Naphtolschwarz, Naphtolgrün) eine Ersparnis an Farbstoff bis zu 50 Prozent bedeuten kann *). Außerdem ermöglicht das Chlorieren der Wolle das Weglassen des Zusatzes von Glaubersalz und Schwefelsäure, resp. von Weinsteinpräparat, da die sauren Farbstoffe auf mit Chlor gebeizter Wolle in neutralem Bade angehen. Dieser letztere Um- stand gestattet weiter ein Kombinieren von sauren und neutralen Farbstoffen in einem Bade, was bisher nicht möglich war. Diese Thatsache eröffnet der Wollenfärberei eine neue Perspektive, und es wäre sehr wohl denkbar, daß der so einfache und glatt verlaufende Prozeß des Vorbeizens mit Chlor mit der Zeit das mühsame Beizen mit Chrom verdrängt, da die Oxydation durch Chrombeizung doch nur eine unvollkommene ist und bleibt, und da die Erhöhung der Verwandtschaft zu sauren Farbstoffen durch Chlorieren viel bedeutender erhöht wird, als durch Beizen mit Kaliumdichromat.
Es ist das Verdienst der Firma Cassella & Comp., dieses neue Beizverfahren für Wolle stylgerecht ausgebildet und der Praxis zugänglich gemacht zu haben. Dieselbe gibt für die Anwendung folgende Vor- schrift **):
Wird das Säuren und Chloren in zwei getrennten Bädern ausgeführt, so rechnet man auf 100 kg Wolle 3 bis 10 kg Schwefelsäure 66° Be., verdünnt mit der für das genannte Quantum Ware nötigen Menge Wasser. Die Menge der Säure richtet sich nach der Dichte des Gewebes, man wird also 10 kg Säure für Tuch, Filz u. dergl., sowie für lose Wolle nehmen, welche, um später gleichmäßig durchgefärbt zu werden, überdies das Sauer- bad kochend verlangt. Für leichtere Gewebe, Strangwolle u. dergl. genügt es, wenn 3 bis 4 kg Schwefelsäure dem Bade zugesetzt werden und das- selbe auf 75 bis 80° C. gehalten wird. Nach 1/4 bis 1/2 Stunde ist die Säure vollkommen von der Wolle absorbiert. -- Für das darauffolgende Chlorbad richtet man sich eine ganz klare, von allen ungelösten Teilchen be- freite Chlorkalklösung vor, bestehend aus 10 kg trockenem Chlorkalk, welcher in einem hölzernen, wohl auch in einem gemauerten Behälter, mit 500 l kaltem Wasser angerührt wird. Die klare Lösung wird nach kurzer Zeit durch einen in passender Höhe vom Bade angebrachten Hahn abgelassen und der Rückstand noch 2 bis 3 mal mit je 250 l Wasser ausgezogen. Alle 3 oder 4 Chlorkalkflüssigkeiten, miteinander vereinigt, bilden das Chlorbad.
*) Man wird hier unwillkürlich an die Umwandlung der Baumwolle durch den Bleichprozeß in Oxycellulose erinnert, wodurch bekanntlich die Baumwolle, welche vorher zu Farbstoffen gar keine Affinität zeigte, zur Aufnahme von Farb- stoffen, wenn auch in beschränkterem Maße als bei Wolle, empfänglich gemacht wird.
**) Nach "Oesterreichs Wollen- und Leinen-Industrie" 1889, 341.
aufzufaſſen ſein würde. Andererſeits wäre es auch denkbar, daß durch das Chlor eine Dehydrogenation (ſogen. Oxydation) ſtattfände, in welchem Falle allerdings die chlorierte Wolle als Oxy-Keratin zu betrachten wäre. Sei dem, wie ihm wolle, Thatſache iſt, daß die chlorierte Wolle Eigenſchaften beſitzt, welche ſie der Seide näher bringen: ſie wird glänzender, weicher und glatt, bekommt einen ſeidenartigen Griff und büßt ihre Verfilzungsfähigkeit ein, dagegen nimmt ihre Verwandtſchaft, ihre Aufnahmefähigkeit für eine Anzahl von Farbſtoffen um ein Bedeutendes zu. Dieſe Erhöhung der Auf- nahmefähigkeit iſt z. B. für ſtark ſaure Farbſtoffe eine ſo große, daß ſie bei einigen derſelben (z. B. Naphtolſchwarz, Naphtolgrün) eine Erſparnis an Farbſtoff bis zu 50 Prozent bedeuten kann *). Außerdem ermöglicht das Chlorieren der Wolle das Weglaſſen des Zuſatzes von Glauberſalz und Schwefelſäure, reſp. von Weinſteinpräparat, da die ſauren Farbſtoffe auf mit Chlor gebeizter Wolle in neutralem Bade angehen. Dieſer letztere Um- ſtand geſtattet weiter ein Kombinieren von ſauren und neutralen Farbſtoffen in einem Bade, was bisher nicht möglich war. Dieſe Thatſache eröffnet der Wollenfärberei eine neue Perſpektive, und es wäre ſehr wohl denkbar, daß der ſo einfache und glatt verlaufende Prozeß des Vorbeizens mit Chlor mit der Zeit das mühſame Beizen mit Chrom verdrängt, da die Oxydation durch Chrombeizung doch nur eine unvollkommene iſt und bleibt, und da die Erhöhung der Verwandtſchaft zu ſauren Farbſtoffen durch Chlorieren viel bedeutender erhöht wird, als durch Beizen mit Kaliumdichromat.
Es iſt das Verdienſt der Firma Caſſella & Comp., dieſes neue Beizverfahren für Wolle ſtylgerecht ausgebildet und der Praxis zugänglich gemacht zu haben. Dieſelbe gibt für die Anwendung folgende Vor- ſchrift **):
Wird das Säuren und Chloren in zwei getrennten Bädern ausgeführt, ſo rechnet man auf 100 kg Wolle 3 bis 10 kg Schwefelſäure 66° Bé., verdünnt mit der für das genannte Quantum Ware nötigen Menge Waſſer. Die Menge der Säure richtet ſich nach der Dichte des Gewebes, man wird alſo 10 kg Säure für Tuch, Filz u. dergl., ſowie für loſe Wolle nehmen, welche, um ſpäter gleichmäßig durchgefärbt zu werden, überdies das Sauer- bad kochend verlangt. Für leichtere Gewebe, Strangwolle u. dergl. genügt es, wenn 3 bis 4 kg Schwefelſäure dem Bade zugeſetzt werden und das- ſelbe auf 75 bis 80° C. gehalten wird. Nach ¼ bis ½ Stunde iſt die Säure vollkommen von der Wolle abſorbiert. — Für das darauffolgende Chlorbad richtet man ſich eine ganz klare, von allen ungelöſten Teilchen be- freite Chlorkalklöſung vor, beſtehend aus 10 kg trockenem Chlorkalk, welcher in einem hölzernen, wohl auch in einem gemauerten Behälter, mit 500 l kaltem Waſſer angerührt wird. Die klare Löſung wird nach kurzer Zeit durch einen in paſſender Höhe vom Bade angebrachten Hahn abgelaſſen und der Rückſtand noch 2 bis 3 mal mit je 250 l Waſſer ausgezogen. Alle 3 oder 4 Chlorkalkflüſſigkeiten, miteinander vereinigt, bilden das Chlorbad.
*) Man wird hier unwillkürlich an die Umwandlung der Baumwolle durch den Bleichprozeß in Oxycelluloſe erinnert, wodurch bekanntlich die Baumwolle, welche vorher zu Farbſtoffen gar keine Affinität zeigte, zur Aufnahme von Farb- ſtoffen, wenn auch in beſchränkterem Maße als bei Wolle, empfänglich gemacht wird.
**) Nach „Oeſterreichs Wollen- und Leinen-Induſtrie“ 1889, 341.
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Chlor eine Dehydrogenation (ſogen. Oxydation) ſtattfände, in welchem Falle
allerdings die chlorierte Wolle als Oxy-Keratin zu betrachten wäre. Sei
dem, wie ihm wolle, Thatſache iſt, daß die chlorierte Wolle Eigenſchaften
beſitzt, welche ſie der Seide näher bringen: ſie wird glänzender, weicher und
glatt, bekommt einen ſeidenartigen Griff und büßt ihre Verfilzungsfähigkeit
ein, dagegen nimmt ihre Verwandtſchaft, ihre Aufnahmefähigkeit für eine
Anzahl von Farbſtoffen um ein Bedeutendes zu. Dieſe Erhöhung der Auf-
nahmefähigkeit iſt z. B. für ſtark ſaure Farbſtoffe eine ſo große, daß ſie bei
einigen derſelben (z. B. Naphtolſchwarz, Naphtolgrün) eine Erſparnis an
Farbſtoff bis zu 50 Prozent bedeuten kann *). Außerdem ermöglicht das
Chlorieren der Wolle das Weglaſſen des Zuſatzes von Glauberſalz und
Schwefelſäure, reſp. von Weinſteinpräparat, da die ſauren Farbſtoffe auf mit
Chlor gebeizter Wolle in neutralem Bade angehen. Dieſer letztere Um-
ſtand geſtattet weiter ein Kombinieren von ſauren und neutralen Farbſtoffen
in einem Bade, was bisher nicht möglich war. Dieſe Thatſache eröffnet
der Wollenfärberei eine neue Perſpektive, und es wäre ſehr wohl denkbar,
daß der ſo einfache und glatt verlaufende Prozeß des Vorbeizens mit Chlor
mit der Zeit das mühſame Beizen mit Chrom verdrängt, da die Oxydation
durch Chrombeizung doch nur eine unvollkommene iſt und bleibt, und da
die Erhöhung der Verwandtſchaft zu ſauren Farbſtoffen durch Chlorieren
viel bedeutender erhöht wird, als durch Beizen mit Kaliumdichromat.
Es iſt das Verdienſt der Firma Caſſella & Comp., dieſes neue
Beizverfahren für Wolle ſtylgerecht ausgebildet und der Praxis zugänglich
gemacht zu haben. Dieſelbe gibt für die Anwendung folgende Vor-
ſchrift **):
Wird das Säuren und Chloren in zwei getrennten Bädern ausgeführt,
ſo rechnet man auf 100 kg Wolle 3 bis 10 kg Schwefelſäure 66° Bé.,
verdünnt mit der für das genannte Quantum Ware nötigen Menge Waſſer.
Die Menge der Säure richtet ſich nach der Dichte des Gewebes, man wird
alſo 10 kg Säure für Tuch, Filz u. dergl., ſowie für loſe Wolle nehmen,
welche, um ſpäter gleichmäßig durchgefärbt zu werden, überdies das Sauer-
bad kochend verlangt. Für leichtere Gewebe, Strangwolle u. dergl. genügt
es, wenn 3 bis 4 kg Schwefelſäure dem Bade zugeſetzt werden und das-
ſelbe auf 75 bis 80° C. gehalten wird. Nach ¼ bis ½ Stunde iſt die
Säure vollkommen von der Wolle abſorbiert. — Für das darauffolgende
Chlorbad richtet man ſich eine ganz klare, von allen ungelöſten Teilchen be-
freite Chlorkalklöſung vor, beſtehend aus 10 kg trockenem Chlorkalk, welcher
in einem hölzernen, wohl auch in einem gemauerten Behälter, mit 500 l
kaltem Waſſer angerührt wird. Die klare Löſung wird nach kurzer Zeit
durch einen in paſſender Höhe vom Bade angebrachten Hahn abgelaſſen und
der Rückſtand noch 2 bis 3 mal mit je 250 l Waſſer ausgezogen. Alle
3 oder 4 Chlorkalkflüſſigkeiten, miteinander vereinigt, bilden das Chlorbad.
*) Man wird hier unwillkürlich an die Umwandlung der Baumwolle durch
den Bleichprozeß in Oxycelluloſe erinnert, wodurch bekanntlich die Baumwolle,
welche vorher zu Farbſtoffen gar keine Affinität zeigte, zur Aufnahme von Farb-
ſtoffen, wenn auch in beſchränkterem Maße als bei Wolle, empfänglich gemacht wird.
**) Nach „Oeſterreichs Wollen- und Leinen-Induſtrie“ 1889, 341.
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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/716>, abgerufen am 21.11.2024.
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