Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

der Fähigkeiten.
Man hat aber nicht so wohl ihn kennen zu lernen,
als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die
falsche Anwendung von Scharfsinn ist Spitzfin-
digkeit, und besteht in der Entdeckung nichtswür-
diger oder falscher Unterschiede.

Das frühzeitigste und beynahe das sicherste
Zeichen des Scharfsinns ist ein richtiger Gebrauch
der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge
Wörter und Ausdrücke, die im Hauptbegriffe
übereinkommen, aber sich doch durch so bestimmte
und ausgemachte Nebenbegriffe unterscheiden,
daß es wenig Fälle giebt, wo der Gebrauch der-
selben ganz gleichgültig wäre. Diesen Unterschied
genau zu bemerken, und aus der Natur und der
Verbindung der übrigen Begriffe zu beurtheilen,
welcher von diesen Unterschieden hier nothwendig
oder wenigstens schicklich sey, das kann nur der
Scharfsinn; und eben dieses ist es, was die Ge-
nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die
selbst den Werth jedes Worts und den Gedanken
jeder Rede genau wissen, werden leicht an jungen
Leuten diese Verschiedenheit bemerken. Einige sa-

der Faͤhigkeiten.
Man hat aber nicht ſo wohl ihn kennen zu lernen,
als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die
falſche Anwendung von Scharfſinn iſt Spitzfin-
digkeit, und beſteht in der Entdeckung nichtswuͤr-
diger oder falſcher Unterſchiede.

Das fruͤhzeitigſte und beynahe das ſicherſte
Zeichen des Scharfſinns iſt ein richtiger Gebrauch
der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge
Woͤrter und Ausdruͤcke, die im Hauptbegriffe
uͤbereinkommen, aber ſich doch durch ſo beſtimmte
und ausgemachte Nebenbegriffe unterſcheiden,
daß es wenig Faͤlle giebt, wo der Gebrauch der-
ſelben ganz gleichguͤltig waͤre. Dieſen Unterſchied
genau zu bemerken, und aus der Natur und der
Verbindung der uͤbrigen Begriffe zu beurtheilen,
welcher von dieſen Unterſchieden hier nothwendig
oder wenigſtens ſchicklich ſey, das kann nur der
Scharfſinn; und eben dieſes iſt es, was die Ge-
nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die
ſelbſt den Werth jedes Worts und den Gedanken
jeder Rede genau wiſſen, werden leicht an jungen
Leuten dieſe Verſchiedenheit bemerken. Einige ſa-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="95"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Fa&#x0364;higkeiten.</hi></fw><lb/>
Man hat aber nicht &#x017F;o wohl ihn kennen zu lernen,<lb/>
als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die<lb/>
fal&#x017F;che Anwendung von Scharf&#x017F;inn i&#x017F;t Spitzfin-<lb/>
digkeit, und be&#x017F;teht in der Entdeckung nichtswu&#x0364;r-<lb/>
diger oder fal&#x017F;cher Unter&#x017F;chiede.</p><lb/>
        <p>Das fru&#x0364;hzeitig&#x017F;te und beynahe das &#x017F;icher&#x017F;te<lb/>
Zeichen des Scharf&#x017F;inns i&#x017F;t ein richtiger Gebrauch<lb/>
der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge<lb/>
Wo&#x0364;rter und Ausdru&#x0364;cke, die im Hauptbegriffe<lb/>
u&#x0364;bereinkommen, aber &#x017F;ich doch durch &#x017F;o be&#x017F;timmte<lb/>
und ausgemachte Nebenbegriffe unter&#x017F;cheiden,<lb/>
daß es wenig Fa&#x0364;lle giebt, wo der Gebrauch der-<lb/>
&#x017F;elben ganz gleichgu&#x0364;ltig wa&#x0364;re. Die&#x017F;en Unter&#x017F;chied<lb/>
genau zu bemerken, und aus der Natur und der<lb/>
Verbindung der u&#x0364;brigen Begriffe zu beurtheilen,<lb/>
welcher von die&#x017F;en Unter&#x017F;chieden hier nothwendig<lb/>
oder wenig&#x017F;tens &#x017F;chicklich &#x017F;ey, das kann nur der<lb/>
Scharf&#x017F;inn; und eben die&#x017F;es i&#x017F;t es, was die Ge-<lb/>
nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t den Werth jedes Worts und den Gedanken<lb/>
jeder Rede genau wi&#x017F;&#x017F;en, werden leicht an jungen<lb/>
Leuten die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheit bemerken. Einige &#x017F;a-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0101] der Faͤhigkeiten. Man hat aber nicht ſo wohl ihn kennen zu lernen, als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die falſche Anwendung von Scharfſinn iſt Spitzfin- digkeit, und beſteht in der Entdeckung nichtswuͤr- diger oder falſcher Unterſchiede. Das fruͤhzeitigſte und beynahe das ſicherſte Zeichen des Scharfſinns iſt ein richtiger Gebrauch der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge Woͤrter und Ausdruͤcke, die im Hauptbegriffe uͤbereinkommen, aber ſich doch durch ſo beſtimmte und ausgemachte Nebenbegriffe unterſcheiden, daß es wenig Faͤlle giebt, wo der Gebrauch der- ſelben ganz gleichguͤltig waͤre. Dieſen Unterſchied genau zu bemerken, und aus der Natur und der Verbindung der uͤbrigen Begriffe zu beurtheilen, welcher von dieſen Unterſchieden hier nothwendig oder wenigſtens ſchicklich ſey, das kann nur der Scharfſinn; und eben dieſes iſt es, was die Ge- nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die ſelbſt den Werth jedes Worts und den Gedanken jeder Rede genau wiſſen, werden leicht an jungen Leuten dieſe Verſchiedenheit bemerken. Einige ſa-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/101
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/101>, abgerufen am 28.04.2024.