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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Verschiedenheiten in den Werken
wendeten Kraft, als in der Mühe, dieselbe von
den Gegenständen, welche nach den physischen
Gesetzen am stärksten auf unsere Sinne oder auf
unsre Einbildungskraft wirken würden, abzuzie-
hen, und sie auf solche zu richten, mit denen wir
nach unsrer gegenwärtigen Lage gar nicht oder
nur schwach beschäftigt seyn würden. Die Ideen
können bey einem Schauspiele eben so lebhaft seyn,
als bey einer Meditation. Die Aufmerksamkeit
kann bey dem erstern sogar in einem noch höhern
Grade angestrengt seyn. Aber in dem erstern
Falle lassen wir uns nur beschäftigen; wir sind
leidend; die Objekte bieten sich von selbst dar;
der Fortgang unsrer Vorstellung ist vollkommen
mit dem Fortgange der Veränderungen analogisch,
die um uns her vorgehen. In dem andern
Falle beschäftigen wir uns selbst. Wir selbst
müssen die Gegenstände in uns erst hervorbringen,
oder sie unserm Verstande gegenwärtig machen;
den Eindruck der andern müssen wir dagegen
schwächen oder bey Seite schaffen. Dieser Streit
zwischen den Gegenständen, die eben izt auf unsre

Verſchiedenheiten in den Werken
wendeten Kraft, als in der Muͤhe, dieſelbe von
den Gegenſtaͤnden, welche nach den phyſiſchen
Geſetzen am ſtaͤrkſten auf unſere Sinne oder auf
unſre Einbildungskraft wirken wuͤrden, abzuzie-
hen, und ſie auf ſolche zu richten, mit denen wir
nach unſrer gegenwaͤrtigen Lage gar nicht oder
nur ſchwach beſchaͤftigt ſeyn wuͤrden. Die Ideen
koͤnnen bey einem Schauſpiele eben ſo lebhaft ſeyn,
als bey einer Meditation. Die Aufmerkſamkeit
kann bey dem erſtern ſogar in einem noch hoͤhern
Grade angeſtrengt ſeyn. Aber in dem erſtern
Falle laſſen wir uns nur beſchaͤftigen; wir ſind
leidend; die Objekte bieten ſich von ſelbſt dar;
der Fortgang unſrer Vorſtellung iſt vollkommen
mit dem Fortgange der Veraͤnderungen analogiſch,
die um uns her vorgehen. In dem andern
Falle beſchaͤftigen wir uns ſelbſt. Wir ſelbſt
muͤſſen die Gegenſtaͤnde in uns erſt hervorbringen,
oder ſie unſerm Verſtande gegenwaͤrtig machen;
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[134/0140] Verſchiedenheiten in den Werken wendeten Kraft, als in der Muͤhe, dieſelbe von den Gegenſtaͤnden, welche nach den phyſiſchen Geſetzen am ſtaͤrkſten auf unſere Sinne oder auf unſre Einbildungskraft wirken wuͤrden, abzuzie- hen, und ſie auf ſolche zu richten, mit denen wir nach unſrer gegenwaͤrtigen Lage gar nicht oder nur ſchwach beſchaͤftigt ſeyn wuͤrden. Die Ideen koͤnnen bey einem Schauſpiele eben ſo lebhaft ſeyn, als bey einer Meditation. Die Aufmerkſamkeit kann bey dem erſtern ſogar in einem noch hoͤhern Grade angeſtrengt ſeyn. Aber in dem erſtern Falle laſſen wir uns nur beſchaͤftigen; wir ſind leidend; die Objekte bieten ſich von ſelbſt dar; der Fortgang unſrer Vorſtellung iſt vollkommen mit dem Fortgange der Veraͤnderungen analogiſch, die um uns her vorgehen. In dem andern Falle beſchaͤftigen wir uns ſelbſt. Wir ſelbſt muͤſſen die Gegenſtaͤnde in uns erſt hervorbringen, oder ſie unſerm Verſtande gegenwaͤrtig machen; den Eindruck der andern muͤſſen wir dagegen ſchwaͤchen oder bey Seite ſchaffen. Dieſer Streit zwiſchen den Gegenſtaͤnden, die eben izt auf unſre

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/140>, abgerufen am 28.04.2024.