Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

der ältesten und neuern Schriftsteller.
so gut unterrichtet, als Homer, dessen gewöhn-
lichste Beywörter davon entlehnt sind? Alles das
sind Dinge, die uns entwischen, weil wir unsern
starren Blick nur auf Einen oder wenige Gegen-
stände gerichtet haben, um diese ganz zu durch-
schauen; da jene ihr freyes unangestrengtes Auge
in der ganzen weiten Welt umherschweifen, und
auf jedem Gegenstande ruhen ließen, der sich durch
irgend eine Art von Neuheit oder Sonderbarkeit
auszeichnete?

Was insbesondre die Natur außerhalb dem
Menschen betrifft, von wie viel Thieren oder
Pflanzen können unsere Dichter reden, ohne un-
verständlich oder niedrig zu werden? Wie viele
von den Erscheinungen der todten Natur sind nicht
gänzlich aus der Zahl nachahmbarer Objekte bey
uns ausgestrichen, weil sie weder recht genau ge-
kannt werden, noch edle Namen haben, noch bey
dem Leser diese schon vorläufige Kenntniß der
Sache finden, ohne welche die beste Beschreibung
für ihn bloße Wörter sind? Andere werden noch
in unsere Nachahmungen aufgenommen, aber wir

der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
ſo gut unterrichtet, als Homer, deſſen gewoͤhn-
lichſte Beywoͤrter davon entlehnt ſind? Alles das
ſind Dinge, die uns entwiſchen, weil wir unſern
ſtarren Blick nur auf Einen oder wenige Gegen-
ſtaͤnde gerichtet haben, um dieſe ganz zu durch-
ſchauen; da jene ihr freyes unangeſtrengtes Auge
in der ganzen weiten Welt umherſchweifen, und
auf jedem Gegenſtande ruhen ließen, der ſich durch
irgend eine Art von Neuheit oder Sonderbarkeit
auszeichnete?

Was insbeſondre die Natur außerhalb dem
Menſchen betrifft, von wie viel Thieren oder
Pflanzen koͤnnen unſere Dichter reden, ohne un-
verſtaͤndlich oder niedrig zu werden? Wie viele
von den Erſcheinungen der todten Natur ſind nicht
gaͤnzlich aus der Zahl nachahmbarer Objekte bey
uns ausgeſtrichen, weil ſie weder recht genau ge-
kannt werden, noch edle Namen haben, noch bey
dem Leſer dieſe ſchon vorlaͤufige Kenntniß der
Sache finden, ohne welche die beſte Beſchreibung
fuͤr ihn bloße Woͤrter ſind? Andere werden noch
in unſere Nachahmungen aufgenommen, aber wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="175"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der a&#x0364;lte&#x017F;ten und neuern Schrift&#x017F;teller.</hi></fw><lb/>
&#x017F;o gut unterrichtet, als Homer, de&#x017F;&#x017F;en gewo&#x0364;hn-<lb/>
lich&#x017F;te Beywo&#x0364;rter davon entlehnt &#x017F;ind? Alles das<lb/>
&#x017F;ind Dinge, die uns entwi&#x017F;chen, weil wir un&#x017F;ern<lb/>
&#x017F;tarren Blick nur auf Einen oder wenige Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde gerichtet haben, um die&#x017F;e ganz zu durch-<lb/>
&#x017F;chauen; da jene ihr freyes unange&#x017F;trengtes Auge<lb/>
in der ganzen weiten Welt umher&#x017F;chweifen, und<lb/>
auf jedem Gegen&#x017F;tande ruhen ließen, der &#x017F;ich durch<lb/>
irgend eine Art von Neuheit oder Sonderbarkeit<lb/>
auszeichnete?</p><lb/>
        <p>Was insbe&#x017F;ondre die Natur außerhalb dem<lb/>
Men&#x017F;chen betrifft, von wie viel Thieren oder<lb/>
Pflanzen ko&#x0364;nnen un&#x017F;ere Dichter reden, ohne un-<lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich oder niedrig zu werden? Wie viele<lb/>
von den Er&#x017F;cheinungen der todten Natur &#x017F;ind nicht<lb/>
ga&#x0364;nzlich aus der Zahl nachahmbarer Objekte bey<lb/>
uns ausge&#x017F;trichen, weil &#x017F;ie weder recht genau ge-<lb/>
kannt werden, noch edle Namen haben, noch bey<lb/>
dem Le&#x017F;er die&#x017F;e &#x017F;chon vorla&#x0364;ufige Kenntniß der<lb/>
Sache finden, ohne welche die be&#x017F;te Be&#x017F;chreibung<lb/>
fu&#x0364;r ihn bloße Wo&#x0364;rter &#x017F;ind? Andere werden noch<lb/>
in un&#x017F;ere Nachahmungen aufgenommen, aber wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0181] der aͤlteſten und neuern Schriftſteller. ſo gut unterrichtet, als Homer, deſſen gewoͤhn- lichſte Beywoͤrter davon entlehnt ſind? Alles das ſind Dinge, die uns entwiſchen, weil wir unſern ſtarren Blick nur auf Einen oder wenige Gegen- ſtaͤnde gerichtet haben, um dieſe ganz zu durch- ſchauen; da jene ihr freyes unangeſtrengtes Auge in der ganzen weiten Welt umherſchweifen, und auf jedem Gegenſtande ruhen ließen, der ſich durch irgend eine Art von Neuheit oder Sonderbarkeit auszeichnete? Was insbeſondre die Natur außerhalb dem Menſchen betrifft, von wie viel Thieren oder Pflanzen koͤnnen unſere Dichter reden, ohne un- verſtaͤndlich oder niedrig zu werden? Wie viele von den Erſcheinungen der todten Natur ſind nicht gaͤnzlich aus der Zahl nachahmbarer Objekte bey uns ausgeſtrichen, weil ſie weder recht genau ge- kannt werden, noch edle Namen haben, noch bey dem Leſer dieſe ſchon vorlaͤufige Kenntniß der Sache finden, ohne welche die beſte Beſchreibung fuͤr ihn bloße Woͤrter ſind? Andere werden noch in unſere Nachahmungen aufgenommen, aber wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/181
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/181>, abgerufen am 21.11.2024.