Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Verschiedenheiten in den Werken sers ein gewisses Bild vorzustellen, die zweyte, inseinem Verstande gewisse Betrachtungen zu ver- anlassen. Sie suchten geringscheinende Gegen- stände, wenn sie ihnen auf ihrem Wege aufstießen, nicht durch feine Nebenzüge, durch veranlaßte An- wendungen derselben, durch bewirkte kleine Ver- hältnisse mit erheblichern, wichtig zu machen: bey uns wird der gute Schriftsteller in diesem Falle immer eine Art von Kunstgriff gebrauchen, uns noch an etwas anders denken zu lassen, als was er geradezu sagt. Sie nahmen allen ihren Stoff fast durchgängig aus der Geschichte ihres Landes, und noch dazu aus einer gewissen Epoche dersel- ben; sie erfanden niemals ganz neue Subjekte, sondern setzten höchstens zu den alten einige neue Umstände hinzu; alle ihre Fabeln haben auch des- wegen einen gemeinschaftlichen Charakter: wir haben in den unsrigen mehr Mannichfaltigkeit, weil sie ganz von unsrer Wahl abhängen. Sie suchten in ihren Gemälden nur Wahrheit, nicht Abwechselung; und wenn deswegen in dem Laufe der Begebenheit dieselbe Sache wieder vorkam, so Verſchiedenheiten in den Werken ſers ein gewiſſes Bild vorzuſtellen, die zweyte, inſeinem Verſtande gewiſſe Betrachtungen zu ver- anlaſſen. Sie ſuchten geringſcheinende Gegen- ſtaͤnde, wenn ſie ihnen auf ihrem Wege aufſtießen, nicht durch feine Nebenzuͤge, durch veranlaßte An- wendungen derſelben, durch bewirkte kleine Ver- haͤltniſſe mit erheblichern, wichtig zu machen: bey uns wird der gute Schriftſteller in dieſem Falle immer eine Art von Kunſtgriff gebrauchen, uns noch an etwas anders denken zu laſſen, als was er geradezu ſagt. Sie nahmen allen ihren Stoff faſt durchgaͤngig aus der Geſchichte ihres Landes, und noch dazu aus einer gewiſſen Epoche derſel- ben; ſie erfanden niemals ganz neue Subjekte, ſondern ſetzten hoͤchſtens zu den alten einige neue Umſtaͤnde hinzu; alle ihre Fabeln haben auch des- wegen einen gemeinſchaftlichen Charakter: wir haben in den unſrigen mehr Mannichfaltigkeit, weil ſie ganz von unſrer Wahl abhaͤngen. Sie ſuchten in ihren Gemaͤlden nur Wahrheit, nicht Abwechſelung; und wenn deswegen in dem Laufe der Begebenheit dieſelbe Sache wieder vorkam, ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0184" n="178"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Verſchiedenheiten in den Werken</hi></fw><lb/> ſers ein gewiſſes Bild vorzuſtellen, die zweyte, in<lb/> ſeinem Verſtande gewiſſe Betrachtungen zu ver-<lb/> anlaſſen. Sie ſuchten geringſcheinende Gegen-<lb/> ſtaͤnde, wenn ſie ihnen auf ihrem Wege aufſtießen,<lb/> nicht durch feine Nebenzuͤge, durch veranlaßte An-<lb/> wendungen derſelben, durch bewirkte kleine Ver-<lb/> haͤltniſſe mit erheblichern, wichtig zu machen: bey<lb/> uns wird der gute Schriftſteller in dieſem Falle<lb/> immer eine Art von Kunſtgriff gebrauchen, uns<lb/> noch an etwas anders denken zu laſſen, als was<lb/> er geradezu ſagt. Sie nahmen allen ihren Stoff<lb/> faſt durchgaͤngig aus der Geſchichte ihres Landes,<lb/> und noch dazu aus einer gewiſſen Epoche derſel-<lb/> ben; ſie erfanden niemals ganz neue Subjekte,<lb/> ſondern ſetzten hoͤchſtens zu den alten einige neue<lb/> Umſtaͤnde hinzu; alle ihre Fabeln haben auch des-<lb/> wegen einen gemeinſchaftlichen Charakter: wir<lb/> haben in den unſrigen mehr Mannichfaltigkeit,<lb/> weil ſie <choice><sic>gauz</sic><corr>ganz</corr></choice> von unſrer Wahl abhaͤngen. Sie<lb/> ſuchten in ihren Gemaͤlden nur Wahrheit, nicht<lb/> Abwechſelung; und wenn deswegen in dem Laufe<lb/> der Begebenheit dieſelbe Sache wieder vorkam, ſo<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [178/0184]
Verſchiedenheiten in den Werken
ſers ein gewiſſes Bild vorzuſtellen, die zweyte, in
ſeinem Verſtande gewiſſe Betrachtungen zu ver-
anlaſſen. Sie ſuchten geringſcheinende Gegen-
ſtaͤnde, wenn ſie ihnen auf ihrem Wege aufſtießen,
nicht durch feine Nebenzuͤge, durch veranlaßte An-
wendungen derſelben, durch bewirkte kleine Ver-
haͤltniſſe mit erheblichern, wichtig zu machen: bey
uns wird der gute Schriftſteller in dieſem Falle
immer eine Art von Kunſtgriff gebrauchen, uns
noch an etwas anders denken zu laſſen, als was
er geradezu ſagt. Sie nahmen allen ihren Stoff
faſt durchgaͤngig aus der Geſchichte ihres Landes,
und noch dazu aus einer gewiſſen Epoche derſel-
ben; ſie erfanden niemals ganz neue Subjekte,
ſondern ſetzten hoͤchſtens zu den alten einige neue
Umſtaͤnde hinzu; alle ihre Fabeln haben auch des-
wegen einen gemeinſchaftlichen Charakter: wir
haben in den unſrigen mehr Mannichfaltigkeit,
weil ſie ganz von unſrer Wahl abhaͤngen. Sie
ſuchten in ihren Gemaͤlden nur Wahrheit, nicht
Abwechſelung; und wenn deswegen in dem Laufe
der Begebenheit dieſelbe Sache wieder vorkam, ſo
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/184 |
Zitationshilfe: | Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/184>, abgerufen am 16.02.2025. |