Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Anmerkungen über Gellerts Moral, wie sie bey einem solchen Grade von Empfindungs-vermögen und Einbildungskraft seyn können, und so, wie sie seyn müssen, wenn diese Kräfte zum Besten des Menschen und der Welt wirken sollen. Er hatte in seinen ersten akademischen Jahren die tiefsinnige spekulative Philosophie sehr geliebt, und mit Eifer getrieben. Aber in der That war es nur der Eifer eines an sich thätigen Geistes, der seinen wahren Gegenstand noch nicht gefunden hatte. Diese Philosophie hatte gewiß auf seine Schriften und seinen Charakter wenig Einfluß. Aber er machte sich selbst in der Folge eine andre; eine, die dem bloß gesunden Verstande aller Men- schen näher kömmt; die in der Gesellschaft und in der Welt besser gebraucht werden kann; und die die Cinbildungskraft nicht tödtet, sondern leitet. Sein Verstand war wirklich helle und durchdrin- gend; er faßte leicht; brachte seine Begriffe ge- schwind aufs Reine und Klare; gab ihnen den kürzesten, gedrängtesten und klärsten Ausdruck; urtheilte mit Bestimmung und Genauigkeit, und wußte allemal die Wahrheit, die er eingesehen Anmerkungen uͤber Gellerts Moral, wie ſie bey einem ſolchen Grade von Empfindungs-vermoͤgen und Einbildungskraft ſeyn koͤnnen, und ſo, wie ſie ſeyn muͤſſen, wenn dieſe Kraͤfte zum Beſten des Menſchen und der Welt wirken ſollen. Er hatte in ſeinen erſten akademiſchen Jahren die tiefſinnige ſpekulative Philoſophie ſehr geliebt, und mit Eifer getrieben. Aber in der That war es nur der Eifer eines an ſich thaͤtigen Geiſtes, der ſeinen wahren Gegenſtand noch nicht gefunden hatte. Dieſe Philoſophie hatte gewiß auf ſeine Schriften und ſeinen Charakter wenig Einfluß. Aber er machte ſich ſelbſt in der Folge eine andre; eine, die dem bloß geſunden Verſtande aller Men- ſchen naͤher koͤmmt; die in der Geſellſchaft und in der Welt beſſer gebraucht werden kann; und die die Cinbildungskraft nicht toͤdtet, ſondern leitet. Sein Verſtand war wirklich helle und durchdrin- gend; er faßte leicht; brachte ſeine Begriffe ge- ſchwind aufs Reine und Klare; gab ihnen den kuͤrzeſten, gedraͤngteſten und klaͤrſten Ausdruck; urtheilte mit Beſtimmung und Genauigkeit, und wußte allemal die Wahrheit, die er eingeſehen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0236" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,</hi></fw><lb/> wie ſie bey einem ſolchen Grade von Empfindungs-<lb/> vermoͤgen und Einbildungskraft ſeyn koͤnnen, und<lb/> ſo, wie ſie ſeyn muͤſſen, wenn dieſe Kraͤfte zum<lb/> Beſten des Menſchen und der Welt wirken ſollen.<lb/> Er hatte in ſeinen erſten akademiſchen Jahren die<lb/> tiefſinnige ſpekulative Philoſophie ſehr geliebt,<lb/> und mit Eifer getrieben. Aber in der That war<lb/> es nur der Eifer eines an ſich thaͤtigen Geiſtes,<lb/> der ſeinen wahren Gegenſtand noch nicht gefunden<lb/> hatte. Dieſe Philoſophie hatte gewiß auf ſeine<lb/> Schriften und ſeinen Charakter wenig Einfluß.<lb/> Aber er machte ſich ſelbſt in der Folge eine andre;<lb/> eine, die dem bloß geſunden Verſtande aller Men-<lb/> ſchen naͤher koͤmmt; die in der Geſellſchaft und in<lb/> der Welt beſſer gebraucht werden kann; und die<lb/> die Cinbildungskraft nicht toͤdtet, ſondern leitet.<lb/> Sein Verſtand war wirklich helle und durchdrin-<lb/> gend; er faßte leicht; brachte ſeine Begriffe ge-<lb/> ſchwind aufs Reine und Klare; gab ihnen den<lb/> kuͤrzeſten, gedraͤngteſten und klaͤrſten Ausdruck;<lb/> urtheilte mit Beſtimmung und Genauigkeit, und<lb/> wußte allemal die Wahrheit, die er eingeſehen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [230/0236]
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
wie ſie bey einem ſolchen Grade von Empfindungs-
vermoͤgen und Einbildungskraft ſeyn koͤnnen, und
ſo, wie ſie ſeyn muͤſſen, wenn dieſe Kraͤfte zum
Beſten des Menſchen und der Welt wirken ſollen.
Er hatte in ſeinen erſten akademiſchen Jahren die
tiefſinnige ſpekulative Philoſophie ſehr geliebt,
und mit Eifer getrieben. Aber in der That war
es nur der Eifer eines an ſich thaͤtigen Geiſtes,
der ſeinen wahren Gegenſtand noch nicht gefunden
hatte. Dieſe Philoſophie hatte gewiß auf ſeine
Schriften und ſeinen Charakter wenig Einfluß.
Aber er machte ſich ſelbſt in der Folge eine andre;
eine, die dem bloß geſunden Verſtande aller Men-
ſchen naͤher koͤmmt; die in der Geſellſchaft und in
der Welt beſſer gebraucht werden kann; und die
die Cinbildungskraft nicht toͤdtet, ſondern leitet.
Sein Verſtand war wirklich helle und durchdrin-
gend; er faßte leicht; brachte ſeine Begriffe ge-
ſchwind aufs Reine und Klare; gab ihnen den
kuͤrzeſten, gedraͤngteſten und klaͤrſten Ausdruck;
urtheilte mit Beſtimmung und Genauigkeit, und
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