Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

der Fähigkeiten.
ihres künftigen Verstandes seyn, weil er für ihn
eine Reihe unterschiedner und sorgfältig gezeich-
neter Bilder sammlet. Und die Flüchtigkeit der
andern, über die man sich als eine unfehlbare
Verkündigung eines fähigen Geistes freuet, ver-
wirrt und vermischt diese Bilder, und giebt der
Reflexion, wenn sie endlich ihr Amt anfangen
will, nichts als ein Chaos von halbverlöschten
und verworrnen Zügen, aus denen sich nichts
zusammensetzen läßt. Die Kunst besteht also dar-
innen, zu unterscheiden, ob die Seele aus Träg-
heit und Verdrossenheit so schwer die alten Gegen-
stände verläßt, oder ob es aus einer gewissen Art
von dunkler Betrachtung herrührt, die sie darüber
anstellt.

4. Die unmittelbarsten Wirkungen der Em-
pfindungen sind die Begierden. Man kann also
diese brauchen, um auf jene zurückzuschließen; und
da sich die Begierden eher als die Fähigkeiten ent-
wickeln, so ist dieß auch der erste Weg der Unter-
suchung, die Talente aus den Leidenschaften zu
beurtheilen.

B 2

der Faͤhigkeiten.
ihres kuͤnftigen Verſtandes ſeyn, weil er fuͤr ihn
eine Reihe unterſchiedner und ſorgfaͤltig gezeich-
neter Bilder ſammlet. Und die Fluͤchtigkeit der
andern, uͤber die man ſich als eine unfehlbare
Verkuͤndigung eines faͤhigen Geiſtes freuet, ver-
wirrt und vermiſcht dieſe Bilder, und giebt der
Reflexion, wenn ſie endlich ihr Amt anfangen
will, nichts als ein Chaos von halbverloͤſchten
und verworrnen Zuͤgen, aus denen ſich nichts
zuſammenſetzen laͤßt. Die Kunſt beſteht alſo dar-
innen, zu unterſcheiden, ob die Seele aus Traͤg-
heit und Verdroſſenheit ſo ſchwer die alten Gegen-
ſtaͤnde verlaͤßt, oder ob es aus einer gewiſſen Art
von dunkler Betrachtung herruͤhrt, die ſie daruͤber
anſtellt.

4. Die unmittelbarſten Wirkungen der Em-
pfindungen ſind die Begierden. Man kann alſo
dieſe brauchen, um auf jene zuruͤckzuſchließen; und
da ſich die Begierden eher als die Faͤhigkeiten ent-
wickeln, ſo iſt dieß auch der erſte Weg der Unter-
ſuchung, die Talente aus den Leidenſchaften zu
beurtheilen.

B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="19"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Fa&#x0364;higkeiten.</hi></fw><lb/>
ihres ku&#x0364;nftigen Ver&#x017F;tandes &#x017F;eyn, weil er fu&#x0364;r ihn<lb/>
eine Reihe unter&#x017F;chiedner und &#x017F;orgfa&#x0364;ltig gezeich-<lb/>
neter Bilder &#x017F;ammlet. Und die Flu&#x0364;chtigkeit der<lb/>
andern, u&#x0364;ber die man &#x017F;ich als eine unfehlbare<lb/>
Verku&#x0364;ndigung eines fa&#x0364;higen Gei&#x017F;tes freuet, ver-<lb/>
wirrt und vermi&#x017F;cht die&#x017F;e Bilder, und giebt der<lb/>
Reflexion, wenn &#x017F;ie endlich ihr Amt anfangen<lb/>
will, nichts als ein Chaos von halbverlo&#x0364;&#x017F;chten<lb/>
und verworrnen Zu&#x0364;gen, aus denen &#x017F;ich nichts<lb/>
zu&#x017F;ammen&#x017F;etzen la&#x0364;ßt. Die Kun&#x017F;t be&#x017F;teht al&#x017F;o dar-<lb/>
innen, zu unter&#x017F;cheiden, ob die Seele aus Tra&#x0364;g-<lb/>
heit und Verdro&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;o &#x017F;chwer die alten Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde verla&#x0364;ßt, oder ob es aus einer gewi&#x017F;&#x017F;en Art<lb/>
von dunkler Betrachtung herru&#x0364;hrt, die &#x017F;ie daru&#x0364;ber<lb/>
an&#x017F;tellt.</p><lb/>
        <p>4. Die unmittelbar&#x017F;ten Wirkungen der Em-<lb/>
pfindungen &#x017F;ind die Begierden. Man kann al&#x017F;o<lb/>
die&#x017F;e brauchen, um auf jene zuru&#x0364;ckzu&#x017F;chließen; und<lb/>
da &#x017F;ich die Begierden eher als die Fa&#x0364;higkeiten ent-<lb/>
wickeln, &#x017F;o i&#x017F;t dieß auch der er&#x017F;te Weg der Unter-<lb/>
&#x017F;uchung, die Talente aus den Leiden&#x017F;chaften zu<lb/>
beurtheilen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0025] der Faͤhigkeiten. ihres kuͤnftigen Verſtandes ſeyn, weil er fuͤr ihn eine Reihe unterſchiedner und ſorgfaͤltig gezeich- neter Bilder ſammlet. Und die Fluͤchtigkeit der andern, uͤber die man ſich als eine unfehlbare Verkuͤndigung eines faͤhigen Geiſtes freuet, ver- wirrt und vermiſcht dieſe Bilder, und giebt der Reflexion, wenn ſie endlich ihr Amt anfangen will, nichts als ein Chaos von halbverloͤſchten und verworrnen Zuͤgen, aus denen ſich nichts zuſammenſetzen laͤßt. Die Kunſt beſteht alſo dar- innen, zu unterſcheiden, ob die Seele aus Traͤg- heit und Verdroſſenheit ſo ſchwer die alten Gegen- ſtaͤnde verlaͤßt, oder ob es aus einer gewiſſen Art von dunkler Betrachtung herruͤhrt, die ſie daruͤber anſtellt. 4. Die unmittelbarſten Wirkungen der Em- pfindungen ſind die Begierden. Man kann alſo dieſe brauchen, um auf jene zuruͤckzuſchließen; und da ſich die Begierden eher als die Faͤhigkeiten ent- wickeln, ſo iſt dieß auch der erſte Weg der Unter- ſuchung, die Talente aus den Leidenſchaften zu beurtheilen. B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/25
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/25>, abgerufen am 21.11.2024.