Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Schriften und Charakter.
Böses wußte, und leicht geneigt, in denjenigen
alles für vortreflich zu halten, in welchen er ei-
nige vortrefliche Eigenschaften gefunden hatte.
Da er an sich die moralische Güte mehr als seine
Gaben schäzte, so beurtheilte er auch andrer Werth
mehr nach ihrer Tugend, als nach ihrem Verstan-
de. Und freylich ist es, bey einem nicht beständi-
gen Umgange, leichter, in der ersten, als in der
andern Absicht hintergangen zu werden. Für seine
ersten und ältesten Freunde hatte er wahre innere
Zärtlichkeit; für die übrigen, die er in spätern
Jahren bekommen hatte, Achtung und Diensteifer.
Zu seinem Umgange gehörten nur wenige, und weil
das Ungewohnte ihm immer einige Anstrengung
kostete, nur dieselben Personen.

Sein Beyspiel und sein Rath hielten eine Men-
ge junger Leute, die ihm näher bekannt worden wa-
ren, von Ausschweifungen zurück, und gewöhnten
sie zur Arbeitsamkeit und Ordnung. Seine Briefe
hatten den Einfluß seiner Wohlthätigkeit noch viel
weiter ausgebreitet. Aus sehr entfernten Gegen-
den wendete sich der Nothleidende, der Betrübte,

Q 5

deſſen Schriften und Charakter.
Boͤſes wußte, und leicht geneigt, in denjenigen
alles fuͤr vortreflich zu halten, in welchen er ei-
nige vortrefliche Eigenſchaften gefunden hatte.
Da er an ſich die moraliſche Guͤte mehr als ſeine
Gaben ſchaͤzte, ſo beurtheilte er auch andrer Werth
mehr nach ihrer Tugend, als nach ihrem Verſtan-
de. Und freylich iſt es, bey einem nicht beſtaͤndi-
gen Umgange, leichter, in der erſten, als in der
andern Abſicht hintergangen zu werden. Fuͤr ſeine
erſten und aͤlteſten Freunde hatte er wahre innere
Zaͤrtlichkeit; fuͤr die uͤbrigen, die er in ſpaͤtern
Jahren bekommen hatte, Achtung und Dienſteifer.
Zu ſeinem Umgange gehoͤrten nur wenige, und weil
das Ungewohnte ihm immer einige Anſtrengung
koſtete, nur dieſelben Perſonen.

Sein Beyſpiel und ſein Rath hielten eine Men-
ge junger Leute, die ihm naͤher bekannt worden wa-
ren, von Ausſchweifungen zuruͤck, und gewoͤhnten
ſie zur Arbeitſamkeit und Ordnung. Seine Briefe
hatten den Einfluß ſeiner Wohlthaͤtigkeit noch viel
weiter ausgebreitet. Aus ſehr entfernten Gegen-
den wendete ſich der Nothleidende, der Betruͤbte,

Q 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0255" n="249"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">de&#x017F;&#x017F;en Schriften und Charakter.</hi></fw><lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;es wußte, und leicht geneigt, in denjenigen<lb/>
alles fu&#x0364;r vortreflich zu halten, in welchen er ei-<lb/>
nige vortrefliche Eigen&#x017F;chaften gefunden hatte.<lb/>
Da er an &#x017F;ich die morali&#x017F;che Gu&#x0364;te mehr als &#x017F;eine<lb/>
Gaben &#x017F;cha&#x0364;zte, &#x017F;o beurtheilte er auch andrer Werth<lb/>
mehr nach ihrer Tugend, als nach ihrem Ver&#x017F;tan-<lb/>
de. Und freylich i&#x017F;t es, bey einem nicht be&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen Umgange, leichter, in der er&#x017F;ten, als in der<lb/>
andern Ab&#x017F;icht hintergangen zu werden. Fu&#x0364;r &#x017F;eine<lb/>
er&#x017F;ten und a&#x0364;lte&#x017F;ten Freunde hatte er wahre innere<lb/>
Za&#x0364;rtlichkeit; fu&#x0364;r die u&#x0364;brigen, die er in &#x017F;pa&#x0364;tern<lb/>
Jahren bekommen hatte, Achtung und Dien&#x017F;teifer.<lb/>
Zu &#x017F;einem Umgange geho&#x0364;rten nur wenige, und weil<lb/>
das Ungewohnte ihm immer einige An&#x017F;trengung<lb/>
ko&#x017F;tete, nur die&#x017F;elben Per&#x017F;onen.</p><lb/>
        <p>Sein Bey&#x017F;piel und &#x017F;ein Rath hielten eine Men-<lb/>
ge junger Leute, die ihm na&#x0364;her bekannt worden wa-<lb/>
ren, von Aus&#x017F;chweifungen zuru&#x0364;ck, und gewo&#x0364;hnten<lb/>
&#x017F;ie zur Arbeit&#x017F;amkeit und Ordnung. Seine Briefe<lb/>
hatten den Einfluß &#x017F;einer Wohltha&#x0364;tigkeit noch viel<lb/>
weiter ausgebreitet. Aus &#x017F;ehr entfernten Gegen-<lb/>
den wendete &#x017F;ich der Nothleidende, der Betru&#x0364;bte,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0255] deſſen Schriften und Charakter. Boͤſes wußte, und leicht geneigt, in denjenigen alles fuͤr vortreflich zu halten, in welchen er ei- nige vortrefliche Eigenſchaften gefunden hatte. Da er an ſich die moraliſche Guͤte mehr als ſeine Gaben ſchaͤzte, ſo beurtheilte er auch andrer Werth mehr nach ihrer Tugend, als nach ihrem Verſtan- de. Und freylich iſt es, bey einem nicht beſtaͤndi- gen Umgange, leichter, in der erſten, als in der andern Abſicht hintergangen zu werden. Fuͤr ſeine erſten und aͤlteſten Freunde hatte er wahre innere Zaͤrtlichkeit; fuͤr die uͤbrigen, die er in ſpaͤtern Jahren bekommen hatte, Achtung und Dienſteifer. Zu ſeinem Umgange gehoͤrten nur wenige, und weil das Ungewohnte ihm immer einige Anſtrengung koſtete, nur dieſelben Perſonen. Sein Beyſpiel und ſein Rath hielten eine Men- ge junger Leute, die ihm naͤher bekannt worden wa- ren, von Ausſchweifungen zuruͤck, und gewoͤhnten ſie zur Arbeitſamkeit und Ordnung. Seine Briefe hatten den Einfluß ſeiner Wohlthaͤtigkeit noch viel weiter ausgebreitet. Aus ſehr entfernten Gegen- den wendete ſich der Nothleidende, der Betruͤbte, Q 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/255
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/255>, abgerufen am 22.11.2024.