Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Einige Gedanken

Unter diesen Gemälden von Menschen nun
wird uns 3) das Gemälde solcher Menschen am
stärksten interessiren, die am meisten unsers glei-
chen sind, die eine Denkungsart, eine Sprache
und Sitten wie die unsrige haben, und deren Be-
gebenheiten und Handlungen denen gleichkommen,
aus denen der Lauf unsers eignen Lebens besteht,
mit einem Worte, das Gemälde unsrer Zeit und
unsrer Nation. -- Jeder Mensch hat um sich
herum ein kleines System. Er selbst ist der Mit-
telpunkt desselben; die Glieder seiner Familie, die
Einwohner seiner Stadt, die Leute, mit denen er
alle Tage umgeht, ziehen die nächsten Kreise um
diesen Mittelpunkt; Reisen, Geschäfte, die ver-
schiedenen Veränderungen seines Zustandes, er-
weitern dieselbe. Innerhalb dieses Systems sieht
der Mensch alles mit seinen eignen Augen, jeder
Punkt der Peripherie hängt durch irgend einen
Strahl mit dem Mittelpunkte zusammen. Ge-
schichte und Reisebeschreibungen können ihm noch
tausend andre Systeme außer dem seinigen be-
kannt machen; aber diese alle sieht er nur im

Einige Gedanken

Unter dieſen Gemaͤlden von Menſchen nun
wird uns 3) das Gemaͤlde ſolcher Menſchen am
ſtaͤrkſten intereſſiren, die am meiſten unſers glei-
chen ſind, die eine Denkungsart, eine Sprache
und Sitten wie die unſrige haben, und deren Be-
gebenheiten und Handlungen denen gleichkommen,
aus denen der Lauf unſers eignen Lebens beſteht,
mit einem Worte, das Gemaͤlde unſrer Zeit und
unſrer Nation. — Jeder Menſch hat um ſich
herum ein kleines Syſtem. Er ſelbſt iſt der Mit-
telpunkt deſſelben; die Glieder ſeiner Familie, die
Einwohner ſeiner Stadt, die Leute, mit denen er
alle Tage umgeht, ziehen die naͤchſten Kreiſe um
dieſen Mittelpunkt; Reiſen, Geſchaͤfte, die ver-
ſchiedenen Veraͤnderungen ſeines Zuſtandes, er-
weitern dieſelbe. Innerhalb dieſes Syſtems ſieht
der Menſch alles mit ſeinen eignen Augen, jeder
Punkt der Peripherie haͤngt durch irgend einen
Strahl mit dem Mittelpunkte zuſammen. Ge-
ſchichte und Reiſebeſchreibungen koͤnnen ihm noch
tauſend andre Syſteme außer dem ſeinigen be-
kannt machen; aber dieſe alle ſieht er nur im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0290" n="284"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi> </fw><lb/>
        <p>Unter die&#x017F;en Gema&#x0364;lden von Men&#x017F;chen nun<lb/>
wird uns 3) das Gema&#x0364;lde &#x017F;olcher Men&#x017F;chen am<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten intere&#x017F;&#x017F;iren, die am mei&#x017F;ten un&#x017F;ers glei-<lb/>
chen &#x017F;ind, die eine Denkungsart, eine Sprache<lb/>
und Sitten wie die un&#x017F;rige haben, und deren Be-<lb/>
gebenheiten und Handlungen denen gleichkommen,<lb/>
aus denen der Lauf un&#x017F;ers eignen Lebens be&#x017F;teht,<lb/>
mit einem Worte, das Gema&#x0364;lde un&#x017F;rer Zeit und<lb/>
un&#x017F;rer Nation. &#x2014; Jeder Men&#x017F;ch hat um &#x017F;ich<lb/>
herum ein kleines Sy&#x017F;tem. Er &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t der Mit-<lb/>
telpunkt de&#x017F;&#x017F;elben; die Glieder &#x017F;einer Familie, die<lb/>
Einwohner &#x017F;einer Stadt, die Leute, mit denen er<lb/>
alle Tage umgeht, ziehen die na&#x0364;ch&#x017F;ten Krei&#x017F;e um<lb/>
die&#x017F;en Mittelpunkt; Rei&#x017F;en, Ge&#x017F;cha&#x0364;fte, die ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Vera&#x0364;nderungen &#x017F;eines Zu&#x017F;tandes, er-<lb/>
weitern die&#x017F;elbe. Innerhalb die&#x017F;es Sy&#x017F;tems &#x017F;ieht<lb/>
der Men&#x017F;ch alles mit &#x017F;einen eignen Augen, jeder<lb/>
Punkt der Peripherie ha&#x0364;ngt durch irgend einen<lb/>
Strahl mit dem Mittelpunkte zu&#x017F;ammen. Ge-<lb/>
&#x017F;chichte und Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreibungen ko&#x0364;nnen ihm noch<lb/>
tau&#x017F;end andre Sy&#x017F;teme außer dem &#x017F;einigen be-<lb/>
kannt machen; aber die&#x017F;e alle &#x017F;ieht er nur im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0290] Einige Gedanken Unter dieſen Gemaͤlden von Menſchen nun wird uns 3) das Gemaͤlde ſolcher Menſchen am ſtaͤrkſten intereſſiren, die am meiſten unſers glei- chen ſind, die eine Denkungsart, eine Sprache und Sitten wie die unſrige haben, und deren Be- gebenheiten und Handlungen denen gleichkommen, aus denen der Lauf unſers eignen Lebens beſteht, mit einem Worte, das Gemaͤlde unſrer Zeit und unſrer Nation. — Jeder Menſch hat um ſich herum ein kleines Syſtem. Er ſelbſt iſt der Mit- telpunkt deſſelben; die Glieder ſeiner Familie, die Einwohner ſeiner Stadt, die Leute, mit denen er alle Tage umgeht, ziehen die naͤchſten Kreiſe um dieſen Mittelpunkt; Reiſen, Geſchaͤfte, die ver- ſchiedenen Veraͤnderungen ſeines Zuſtandes, er- weitern dieſelbe. Innerhalb dieſes Syſtems ſieht der Menſch alles mit ſeinen eignen Augen, jeder Punkt der Peripherie haͤngt durch irgend einen Strahl mit dem Mittelpunkte zuſammen. Ge- ſchichte und Reiſebeſchreibungen koͤnnen ihm noch tauſend andre Syſteme außer dem ſeinigen be- kannt machen; aber dieſe alle ſieht er nur im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/290
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/290>, abgerufen am 23.11.2024.