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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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über das Interessirende.
Klagen ernstlich sind! Es sind diese beide: 1)
Die Schicksale der Fürsten haben in der Wirklich-
keit oder in unserer Einbildung einen Einfluß über
ganze Nationen; also müssen sie uns stärker rüh-
ren. 2) Die Personen der Fürsten haben in un-
srer Idee eine größere Würde; also muß uns ihr
Unglück mehr in Erstaunen setzen. -- Wenn uns
recht ist, so haben wir diese Gründe schon oft ge-
hört, und wohl noch stärkere, als diese. Aber
so oft wir es versuchten, uns dadurch zu überzeu-
gen, so oft schien uns unsere Empfindung zu sa-
gen: Es ist falsch, daß wir an das Volk denken,
wenn wir einen König auf der Bühne sehen. Nur
selten geht die Täuschung so weit, daß wir wirk-
lich einen Fürsten zu sehen glauben, und niemals
so weit, daß wir auch das Volk für wirklich hiel-
ten, welches in seinem Titel steht. Es ist genug
gefodert, wenn wir über das Unglück des Schau-
spielers, der den König macht, als über ein wirk-
liches gerührt werden sollten: aber es ist eine Chi-
märe, wenn man sich einbildet, daß wir auch noch
mit seinen unsichtbaren Unterthanen Mitleiden ha-

T 2

uͤber das Intereſſirende.
Klagen ernſtlich ſind! Es ſind dieſe beide: 1)
Die Schickſale der Fuͤrſten haben in der Wirklich-
keit oder in unſerer Einbildung einen Einfluß uͤber
ganze Nationen; alſo muͤſſen ſie uns ſtaͤrker ruͤh-
ren. 2) Die Perſonen der Fuͤrſten haben in un-
ſrer Idee eine groͤßere Wuͤrde; alſo muß uns ihr
Ungluͤck mehr in Erſtaunen ſetzen. — Wenn uns
recht iſt, ſo haben wir dieſe Gruͤnde ſchon oft ge-
hoͤrt, und wohl noch ſtaͤrkere, als dieſe. Aber
ſo oft wir es verſuchten, uns dadurch zu uͤberzeu-
gen, ſo oft ſchien uns unſere Empfindung zu ſa-
gen: Es iſt falſch, daß wir an das Volk denken,
wenn wir einen Koͤnig auf der Buͤhne ſehen. Nur
ſelten geht die Taͤuſchung ſo weit, daß wir wirk-
lich einen Fuͤrſten zu ſehen glauben, und niemals
ſo weit, daß wir auch das Volk fuͤr wirklich hiel-
ten, welches in ſeinem Titel ſteht. Es iſt genug
gefodert, wenn wir uͤber das Ungluͤck des Schau-
ſpielers, der den Koͤnig macht, als uͤber ein wirk-
liches geruͤhrt werden ſollten: aber es iſt eine Chi-
maͤre, wenn man ſich einbildet, daß wir auch noch
mit ſeinen unſichtbaren Unterthanen Mitleiden ha-

T 2
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[291/0297] uͤber das Intereſſirende. Klagen ernſtlich ſind! Es ſind dieſe beide: 1) Die Schickſale der Fuͤrſten haben in der Wirklich- keit oder in unſerer Einbildung einen Einfluß uͤber ganze Nationen; alſo muͤſſen ſie uns ſtaͤrker ruͤh- ren. 2) Die Perſonen der Fuͤrſten haben in un- ſrer Idee eine groͤßere Wuͤrde; alſo muß uns ihr Ungluͤck mehr in Erſtaunen ſetzen. — Wenn uns recht iſt, ſo haben wir dieſe Gruͤnde ſchon oft ge- hoͤrt, und wohl noch ſtaͤrkere, als dieſe. Aber ſo oft wir es verſuchten, uns dadurch zu uͤberzeu- gen, ſo oft ſchien uns unſere Empfindung zu ſa- gen: Es iſt falſch, daß wir an das Volk denken, wenn wir einen Koͤnig auf der Buͤhne ſehen. Nur ſelten geht die Taͤuſchung ſo weit, daß wir wirk- lich einen Fuͤrſten zu ſehen glauben, und niemals ſo weit, daß wir auch das Volk fuͤr wirklich hiel- ten, welches in ſeinem Titel ſteht. Es iſt genug gefodert, wenn wir uͤber das Ungluͤck des Schau- ſpielers, der den Koͤnig macht, als uͤber ein wirk- liches geruͤhrt werden ſollten: aber es iſt eine Chi- maͤre, wenn man ſich einbildet, daß wir auch noch mit ſeinen unſichtbaren Unterthanen Mitleiden ha- T 2

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/297>, abgerufen am 22.11.2024.