durch die Imagination Theil nehmen sollen, muß auch von der Imagination herkommen; die Vor- stellungen, welche sich der Leidende von den Din- gen macht, nicht die Bewegungen des Körpers, welche er fühlt, müssen die Quelle seines Un- glücks seyn.
2) Am Leiden können wir überhaupt mehr Theil nehmen, als am Vergnügen; es sey nun, weil der Schmerz immer die heftigste Empfindung ist, und also auch mit mehr Gewalt auf den Zu- schauer wirkt, oder weil wir dem Fröhlichen und Glücklichen nichts helfen können, da hingegen die Noth andrer unsern Beystand und also unsre Thätigkeit auffordert. Daher kömmt es also auch, daß nur das Trauerspiel eigentliche Leidenschaft erregt, die Komödie aber mehr bloß durch die Vorstellungen intereßirt.
3) An dem weichlichen Vergnügen, das in dem bloßen Genusse besteht, bey dem die Kräfte des Geistes mehr hinsinken, als empor streben, können wir am wenigsten Theil nehmen, wenn wir nicht selbst in einem ähnlichen Zustande sind,
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uͤber das Intereſſirende.
durch die Imagination Theil nehmen ſollen, muß auch von der Imagination herkommen; die Vor- ſtellungen, welche ſich der Leidende von den Din- gen macht, nicht die Bewegungen des Koͤrpers, welche er fuͤhlt, muͤſſen die Quelle ſeines Un- gluͤcks ſeyn.
2) Am Leiden koͤnnen wir uͤberhaupt mehr Theil nehmen, als am Vergnuͤgen; es ſey nun, weil der Schmerz immer die heftigſte Empfindung iſt, und alſo auch mit mehr Gewalt auf den Zu- ſchauer wirkt, oder weil wir dem Froͤhlichen und Gluͤcklichen nichts helfen koͤnnen, da hingegen die Noth andrer unſern Beyſtand und alſo unſre Thaͤtigkeit auffordert. Daher koͤmmt es alſo auch, daß nur das Trauerſpiel eigentliche Leidenſchaft erregt, die Komoͤdie aber mehr bloß durch die Vorſtellungen intereßirt.
3) An dem weichlichen Vergnuͤgen, das in dem bloßen Genuſſe beſteht, bey dem die Kraͤfte des Geiſtes mehr hinſinken, als empor ſtreben, koͤnnen wir am wenigſten Theil nehmen, wenn wir nicht ſelbſt in einem aͤhnlichen Zuſtande ſind,
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uͤber das Intereſſirende.
durch die Imagination Theil nehmen ſollen, muß
auch von der Imagination herkommen; die Vor-
ſtellungen, welche ſich der Leidende von den Din-
gen macht, nicht die Bewegungen des Koͤrpers,
welche er fuͤhlt, muͤſſen die Quelle ſeines Un-
gluͤcks ſeyn.
2) Am Leiden koͤnnen wir uͤberhaupt mehr
Theil nehmen, als am Vergnuͤgen; es ſey nun,
weil der Schmerz immer die heftigſte Empfindung
iſt, und alſo auch mit mehr Gewalt auf den Zu-
ſchauer wirkt, oder weil wir dem Froͤhlichen und
Gluͤcklichen nichts helfen koͤnnen, da hingegen
die Noth andrer unſern Beyſtand und alſo
unſre Thaͤtigkeit auffordert. Daher koͤmmt es
alſo auch, daß nur das Trauerſpiel eigentliche
Leidenſchaft erregt, die Komoͤdie aber mehr bloß
durch die Vorſtellungen intereßirt.
3) An dem weichlichen Vergnuͤgen, das in
dem bloßen Genuſſe beſteht, bey dem die Kraͤfte
des Geiſtes mehr hinſinken, als empor ſtreben,
koͤnnen wir am wenigſten Theil nehmen, wenn
wir nicht ſelbſt in einem aͤhnlichen Zuſtande ſind,
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/331>, abgerufen am 21.11.2024.
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