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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Einige Gedanken
schon zur Gewohnheit gewordene Zuneigung an-
gegriffen wird.

Eine andre Art des Streits, der viel Unruhe
und Erwartung erregt, aber weniger den Charak-
ter entwickelt, ist der, wenn eine neue und zufäl-
lig entstandne Begierde, einer alten Leidenschaft,
bey der Wiedererkennung des Gegenstandes, oder
bey einer bessern Belehrung, Platz macht. Dieß
ist der Fall bey der Iphigenia von Taucis und
bey der Merope. Hier ist es nicht sowohl ein
Streit, als eine plözliche Umkehrung der Gesin-
nungen. Das Interesse entspringt nicht sowohl,
weil man in den Zustand der Person tief ein-
dringt, und sich also dadurch die Gesinnungen
sehr zu eigen machen kann; sondern weil man
selbst durch den Widerspruch unruhig wird, der
sich zwischen der jetzigen Bewegung der Person und
ihren wirklichen Gesinnungen und Verhältnissen
findet. Geschieht nun die Entdeckung; so ist bey
der Person selbst zwar kein eigentlicher Streit, die
alte Leidenschaft nimmt ungehindert Platz: aber
sie äußert ihre Gewalt weit stärker; sie ist mit ei-

Einige Gedanken
ſchon zur Gewohnheit gewordene Zuneigung an-
gegriffen wird.

Eine andre Art des Streits, der viel Unruhe
und Erwartung erregt, aber weniger den Charak-
ter entwickelt, iſt der, wenn eine neue und zufaͤl-
lig entſtandne Begierde, einer alten Leidenſchaft,
bey der Wiedererkennung des Gegenſtandes, oder
bey einer beſſern Belehrung, Platz macht. Dieß
iſt der Fall bey der Iphigenia von Taucis und
bey der Merope. Hier iſt es nicht ſowohl ein
Streit, als eine ploͤzliche Umkehrung der Geſin-
nungen. Das Intereſſe entſpringt nicht ſowohl,
weil man in den Zuſtand der Perſon tief ein-
dringt, und ſich alſo dadurch die Geſinnungen
ſehr zu eigen machen kann; ſondern weil man
ſelbſt durch den Widerſpruch unruhig wird, der
ſich zwiſchen der jetzigen Bewegung der Perſon und
ihren wirklichen Geſinnungen und Verhaͤltniſſen
findet. Geſchieht nun die Entdeckung; ſo iſt bey
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[344/0350] Einige Gedanken ſchon zur Gewohnheit gewordene Zuneigung an- gegriffen wird. Eine andre Art des Streits, der viel Unruhe und Erwartung erregt, aber weniger den Charak- ter entwickelt, iſt der, wenn eine neue und zufaͤl- lig entſtandne Begierde, einer alten Leidenſchaft, bey der Wiedererkennung des Gegenſtandes, oder bey einer beſſern Belehrung, Platz macht. Dieß iſt der Fall bey der Iphigenia von Taucis und bey der Merope. Hier iſt es nicht ſowohl ein Streit, als eine ploͤzliche Umkehrung der Geſin- nungen. Das Intereſſe entſpringt nicht ſowohl, weil man in den Zuſtand der Perſon tief ein- dringt, und ſich alſo dadurch die Geſinnungen ſehr zu eigen machen kann; ſondern weil man ſelbſt durch den Widerſpruch unruhig wird, der ſich zwiſchen der jetzigen Bewegung der Perſon und ihren wirklichen Geſinnungen und Verhaͤltniſſen findet. Geſchieht nun die Entdeckung; ſo iſt bey der Perſon ſelbſt zwar kein eigentlicher Streit, die alte Leidenſchaft nimmt ungehindert Platz: aber ſie aͤußert ihre Gewalt weit ſtaͤrker; ſie iſt mit ei-

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/350>, abgerufen am 22.11.2024.