Im Grunde war dieß eben der Vortheil, den wir von diesem Streite ziehen konnten. Eine einfache sinnliche Leidenschaft kann thierisch seyn, und ist es immer mehr oder weniger; eine zwie- fache entgegengesezte muß auf gewisse Weise ver- nünftig werden, (oder der Mensch ist verloren,) durch die Arbeit, die die Seele selbst dabey an- wenden muß, sie aus einander oder in Vereini- gung zu bringen. In dem ersten Falle denkt der Mensch wenig. Es ist bloßes dunkles Gefühl bey ihm: und wer will dieses dunkle Gefühl schildern? wer will sich darein versezen? In dem andern denkt er nothwendig Etwas, seine Em- pfindungen, die bloße Eindrücke waren, welche auf die Seele geschahen, müssen nun von ihr be- arbeitet, geändert, und so zu sagen in die Form gebracht werden, daß sie bey einander Platz ha- ben. Diese Ideen zu beschreiben, dazu ist die Sprache gemacht, das kann allein der Vorsatz des Dichters oder Redners seyn.
Es giebt demungeachtet noch eine reinere oder höhere Vernunft, als die, welche bloß aus
Einige Gedanken
Im Grunde war dieß eben der Vortheil, den wir von dieſem Streite ziehen konnten. Eine einfache ſinnliche Leidenſchaft kann thieriſch ſeyn, und iſt es immer mehr oder weniger; eine zwie- fache entgegengeſezte muß auf gewiſſe Weiſe ver- nuͤnftig werden, (oder der Menſch iſt verloren,) durch die Arbeit, die die Seele ſelbſt dabey an- wenden muß, ſie aus einander oder in Vereini- gung zu bringen. In dem erſten Falle denkt der Menſch wenig. Es iſt bloßes dunkles Gefuͤhl bey ihm: und wer will dieſes dunkle Gefuͤhl ſchildern? wer will ſich darein verſezen? In dem andern denkt er nothwendig Etwas, ſeine Em- pfindungen, die bloße Eindruͤcke waren, welche auf die Seele geſchahen, muͤſſen nun von ihr be- arbeitet, geaͤndert, und ſo zu ſagen in die Form gebracht werden, daß ſie bey einander Platz ha- ben. Dieſe Ideen zu beſchreiben, dazu iſt die Sprache gemacht, das kann allein der Vorſatz des Dichters oder Redners ſeyn.
Es giebt demungeachtet noch eine reinere oder hoͤhere Vernunft, als die, welche bloß aus
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Einige Gedanken
Im Grunde war dieß eben der Vortheil, den
wir von dieſem Streite ziehen konnten. Eine
einfache ſinnliche Leidenſchaft kann thieriſch ſeyn,
und iſt es immer mehr oder weniger; eine zwie-
fache entgegengeſezte muß auf gewiſſe Weiſe ver-
nuͤnftig werden, (oder der Menſch iſt verloren,)
durch die Arbeit, die die Seele ſelbſt dabey an-
wenden muß, ſie aus einander oder in Vereini-
gung zu bringen. In dem erſten Falle denkt der
Menſch wenig. Es iſt bloßes dunkles Gefuͤhl
bey ihm: und wer will dieſes dunkle Gefuͤhl
ſchildern? wer will ſich darein verſezen? In dem
andern denkt er nothwendig Etwas, ſeine Em-
pfindungen, die bloße Eindruͤcke waren, welche
auf die Seele geſchahen, muͤſſen nun von ihr be-
arbeitet, geaͤndert, und ſo zu ſagen in die Form
gebracht werden, daß ſie bey einander Platz ha-
ben. Dieſe Ideen zu beſchreiben, dazu iſt die
Sprache gemacht, das kann allein der Vorſatz
des Dichters oder Redners ſeyn.
Es giebt demungeachtet noch eine reinere
oder hoͤhere Vernunft, als die, welche bloß aus
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/354>, abgerufen am 21.11.2024.
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