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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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über das Interessirende.
muß durchaus eine Wahl treffen; eine Neigung
muß aufgeopfert werden. Im andern Falle kön-
nen beide Leidenschaften bey einander bestehen,
und dauern auch zugleich fort; aber der Streit
ist zwischen den Grundsäzen, Meynungen und
Arten zu handeln, zu welchen diese Leidenschaf-
ten Anlaß geben. Als Geitzhals muß er eine
Heirath ohne Mitgift für unvernünftig halten:
und als Verliebter muß er sie jezt billigen. Viel-
leicht ist die Entscheidung zu gewagt: aber uns
dünkt, daß nur der erste Streit eigentlich rüh-
rend sey, und für die Tragödie und das In-
teresse durch Empfindung gehöre; der andre hin-
gegen leichter komisch werde, und mehr bloß
durch die Entwickelung des Charakters intereßire.
Das erste bringt Unruhe, plözliche Uebergänge,
gewaltsame Entschlüsse und zulezt Reue hervor;
das andre hingegen fast immer nur Verlegenheit,
und gewisse Widersprüche im Betragen und Re-
den, die lächerlich werden.

Noch müssen wir einer Leidenschaft gedenken,
die eine Art des Zorns zu seyn scheint, und die

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uͤber das Intereſſirende.
muß durchaus eine Wahl treffen; eine Neigung
muß aufgeopfert werden. Im andern Falle koͤn-
nen beide Leidenſchaften bey einander beſtehen,
und dauern auch zugleich fort; aber der Streit
iſt zwiſchen den Grundſaͤzen, Meynungen und
Arten zu handeln, zu welchen dieſe Leidenſchaf-
ten Anlaß geben. Als Geitzhals muß er eine
Heirath ohne Mitgift fuͤr unvernuͤnftig halten:
und als Verliebter muß er ſie jezt billigen. Viel-
leicht iſt die Entſcheidung zu gewagt: aber uns
duͤnkt, daß nur der erſte Streit eigentlich ruͤh-
rend ſey, und fuͤr die Tragoͤdie und das In-
tereſſe durch Empfindung gehoͤre; der andre hin-
gegen leichter komiſch werde, und mehr bloß
durch die Entwickelung des Charakters intereßire.
Das erſte bringt Unruhe, ploͤzliche Uebergaͤnge,
gewaltſame Entſchluͤſſe und zulezt Reue hervor;
das andre hingegen faſt immer nur Verlegenheit,
und gewiſſe Widerſpruͤche im Betragen und Re-
den, die laͤcherlich werden.

Noch muͤſſen wir einer Leidenſchaft gedenken,
die eine Art des Zorns zu ſeyn ſcheint, und die

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[357/0363] uͤber das Intereſſirende. muß durchaus eine Wahl treffen; eine Neigung muß aufgeopfert werden. Im andern Falle koͤn- nen beide Leidenſchaften bey einander beſtehen, und dauern auch zugleich fort; aber der Streit iſt zwiſchen den Grundſaͤzen, Meynungen und Arten zu handeln, zu welchen dieſe Leidenſchaf- ten Anlaß geben. Als Geitzhals muß er eine Heirath ohne Mitgift fuͤr unvernuͤnftig halten: und als Verliebter muß er ſie jezt billigen. Viel- leicht iſt die Entſcheidung zu gewagt: aber uns duͤnkt, daß nur der erſte Streit eigentlich ruͤh- rend ſey, und fuͤr die Tragoͤdie und das In- tereſſe durch Empfindung gehoͤre; der andre hin- gegen leichter komiſch werde, und mehr bloß durch die Entwickelung des Charakters intereßire. Das erſte bringt Unruhe, ploͤzliche Uebergaͤnge, gewaltſame Entſchluͤſſe und zulezt Reue hervor; das andre hingegen faſt immer nur Verlegenheit, und gewiſſe Widerſpruͤche im Betragen und Re- den, die laͤcherlich werden. Noch muͤſſen wir einer Leidenſchaft gedenken, die eine Art des Zorns zu ſeyn ſcheint, und die Z 3

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/363>, abgerufen am 17.05.2024.