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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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der Fähigkeiten.
und Raisonnemens ohne Mühe erinnern. Diese
Menschen haben gewiß die zweyte Art des Ge-
dächtnisses, und die erste fehlt ihnen.

Der Grund ist dieser: Die Verbindung zwi-
schen Wahrheiten ist genauer, als die zwischen
Begebenheiten; die Seele also, die ihre alten Bil-
der nach und nach durch eine gewisse Art von
Schlüssen wieder erwecken muß, sieht bey den er-
sten den Weg genau bezeichnet, den sie zu gehen
hat, bey den leztern aber muß sie ihn auf Gera-
thewohl suchen, und geht also oft fehl. Die
meisten Begebenheiten werden nur durch Zeit und
Ort verknüpft, oder diese Verbindung ist doch we-
nigstens die einzige, die wir einsehen; wenn die
Seele also ihre Ordnung bey der Erinnerung
nicht verrücken soll, so müssen sich die Begriffe in
eben der Reihe und Ordnung nach einander erhal-
ten haben; weil das Nachdenken das Fehlende
nicht ersetzen kann.

Zweytens. Wenn man unmittelbar, so
bald man nur die Gedanken auf das richtet, was
man ehemals empfunden oder erlernt hat, sich

der Faͤhigkeiten.
und Raiſonnemens ohne Muͤhe erinnern. Dieſe
Menſchen haben gewiß die zweyte Art des Ge-
daͤchtniſſes, und die erſte fehlt ihnen.

Der Grund iſt dieſer: Die Verbindung zwi-
ſchen Wahrheiten iſt genauer, als die zwiſchen
Begebenheiten; die Seele alſo, die ihre alten Bil-
der nach und nach durch eine gewiſſe Art von
Schluͤſſen wieder erwecken muß, ſieht bey den er-
ſten den Weg genau bezeichnet, den ſie zu gehen
hat, bey den leztern aber muß ſie ihn auf Gera-
thewohl ſuchen, und geht alſo oft fehl. Die
meiſten Begebenheiten werden nur durch Zeit und
Ort verknuͤpft, oder dieſe Verbindung iſt doch we-
nigſtens die einzige, die wir einſehen; wenn die
Seele alſo ihre Ordnung bey der Erinnerung
nicht verruͤcken ſoll, ſo muͤſſen ſich die Begriffe in
eben der Reihe und Ordnung nach einander erhal-
ten haben; weil das Nachdenken das Fehlende
nicht erſetzen kann.

Zweytens. Wenn man unmittelbar, ſo
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[31/0037] der Faͤhigkeiten. und Raiſonnemens ohne Muͤhe erinnern. Dieſe Menſchen haben gewiß die zweyte Art des Ge- daͤchtniſſes, und die erſte fehlt ihnen. Der Grund iſt dieſer: Die Verbindung zwi- ſchen Wahrheiten iſt genauer, als die zwiſchen Begebenheiten; die Seele alſo, die ihre alten Bil- der nach und nach durch eine gewiſſe Art von Schluͤſſen wieder erwecken muß, ſieht bey den er- ſten den Weg genau bezeichnet, den ſie zu gehen hat, bey den leztern aber muß ſie ihn auf Gera- thewohl ſuchen, und geht alſo oft fehl. Die meiſten Begebenheiten werden nur durch Zeit und Ort verknuͤpft, oder dieſe Verbindung iſt doch we- nigſtens die einzige, die wir einſehen; wenn die Seele alſo ihre Ordnung bey der Erinnerung nicht verruͤcken ſoll, ſo muͤſſen ſich die Begriffe in eben der Reihe und Ordnung nach einander erhal- ten haben; weil das Nachdenken das Fehlende nicht erſetzen kann. Zweytens. Wenn man unmittelbar, ſo bald man nur die Gedanken auf das richtet, was man ehemals empfunden oder erlernt hat, ſich

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/37>, abgerufen am 21.11.2024.