kalt werden sollte? Giebt es denn keine lebhafte Aeußerung des Geistes, als die Leidenschaft? Giebt es keine muthige Widersetzung, als den Zorn, keine innige Zuneigung, als eine weibi- sche Zärtlichkeit? Oder muß der große Mann allemal mit Pomp und einer gewissen Zurüstung reden und handeln; und giebt es nicht bey dem höchsten Verstande eine Leichtigkeit und Ge- meinheit des Ausdrucks, die allen verständlich ist, und bey der höchsten Tugend ein einfaches und ungekünsteltes Betragen, welches alle ein- nimmt?
Der Dichter schöpfe nur die Ideen der Vollkommenheit in sich felbst, er schildere sie nur nicht nach angenommenen Begriffen oder Mustern; er suche nicht diese Hoheit in den Worten und in der Pracht der Rede; er neh- me sich nicht vor, einen Cato, einen Römer, sondern einen großen Mann zu schildern; er folge nicht den Meynungen der Geschicht- schreiber und der Kunstrichter, sondern seinen
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uͤber das Intereſſirende.
kalt werden ſollte? Giebt es denn keine lebhafte Aeußerung des Geiſtes, als die Leidenſchaft? Giebt es keine muthige Widerſetzung, als den Zorn, keine innige Zuneigung, als eine weibi- ſche Zaͤrtlichkeit? Oder muß der große Mann allemal mit Pomp und einer gewiſſen Zuruͤſtung reden und handeln; und giebt es nicht bey dem hoͤchſten Verſtande eine Leichtigkeit und Ge- meinheit des Ausdrucks, die allen verſtaͤndlich iſt, und bey der hoͤchſten Tugend ein einfaches und ungekuͤnſteltes Betragen, welches alle ein- nimmt?
Der Dichter ſchoͤpfe nur die Ideen der Vollkommenheit in ſich felbſt, er ſchildere ſie nur nicht nach angenommenen Begriffen oder Muſtern; er ſuche nicht dieſe Hoheit in den Worten und in der Pracht der Rede; er neh- me ſich nicht vor, einen Cato, einen Roͤmer, ſondern einen großen Mann zu ſchildern; er folge nicht den Meynungen der Geſchicht- ſchreiber und der Kunſtrichter, ſondern ſeinen
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uͤber das Intereſſirende.
kalt werden ſollte? Giebt es denn keine lebhafte
Aeußerung des Geiſtes, als die Leidenſchaft?
Giebt es keine muthige Widerſetzung, als den
Zorn, keine innige Zuneigung, als eine weibi-
ſche Zaͤrtlichkeit? Oder muß der große Mann
allemal mit Pomp und einer gewiſſen Zuruͤſtung
reden und handeln; und giebt es nicht bey
dem hoͤchſten Verſtande eine Leichtigkeit und Ge-
meinheit des Ausdrucks, die allen verſtaͤndlich
iſt, und bey der hoͤchſten Tugend ein einfaches
und ungekuͤnſteltes Betragen, welches alle ein-
nimmt?
Der Dichter ſchoͤpfe nur die Ideen der
Vollkommenheit in ſich felbſt, er ſchildere ſie
nur nicht nach angenommenen Begriffen oder
Muſtern; er ſuche nicht dieſe Hoheit in den
Worten und in der Pracht der Rede; er neh-
me ſich nicht vor, einen Cato, einen Roͤmer,
ſondern einen großen Mann zu ſchildern; er
folge nicht den Meynungen der Geſchicht-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/383>, abgerufen am 21.11.2024.
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