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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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über das Interessirende.
machen, daß die Hände dem Mörder blutig er-
scheinen. Aber es scheint mir weniger natürlich,
daß ein alter Mann, ein König, durch die Un-
dankbarkeit seiner Töchter könne rasend gemacht
werden. 3) Es muß mehr Schwärmerey als
Wahnwitz seyn. Raserey oder Narrheit sind
nach meinem Gefühl immer, jene schrecklich, diese
lächerlich, und können niemals anders als be-
leidigen oder Verachtung erregen anstatt zu rüh-
ren. 4) Die Anfälle müssen nur kurz und ab-
wechselnd seyn. Scenen dieser Art mögen noch
so gut gearbeitet seyn, wenn sie lange dauren,
so werden sie eckelhaft. In dem vorgedachten
Stücke, erscheint eine Mutter gleich vom Anfan-
ge an melankolisch, hat wiederholte Anfälle
von Raserey, und stirbt an den Folgen derselben.
Die Tochter wird nach dem Tode der Mutter
ebenfalls unsinnig, spielt die nämliche Rolle zum
zweytenmale, und stirbt auf eine ähnliche Art.
Ich habe nie ein Stück gesehn, wo, bey so vielen
Anlagen zur Rührung, ich so viel gelitten, ich
so ängstlich gewünscht hätte, von der Quaal des

uͤber das Intereſſirende.
machen, daß die Haͤnde dem Moͤrder blutig er-
ſcheinen. Aber es ſcheint mir weniger natuͤrlich,
daß ein alter Mann, ein Koͤnig, durch die Un-
dankbarkeit ſeiner Toͤchter koͤnne raſend gemacht
werden. 3) Es muß mehr Schwaͤrmerey als
Wahnwitz ſeyn. Raſerey oder Narrheit ſind
nach meinem Gefuͤhl immer, jene ſchrecklich, dieſe
laͤcherlich, und koͤnnen niemals anders als be-
leidigen oder Verachtung erregen anſtatt zu ruͤh-
ren. 4) Die Anfaͤlle muͤſſen nur kurz und ab-
wechſelnd ſeyn. Scenen dieſer Art moͤgen noch
ſo gut gearbeitet ſeyn, wenn ſie lange dauren,
ſo werden ſie eckelhaft. In dem vorgedachten
Stuͤcke, erſcheint eine Mutter gleich vom Anfan-
ge an melankoliſch, hat wiederholte Anfaͤlle
von Raſerey, und ſtirbt an den Folgen derſelben.
Die Tochter wird nach dem Tode der Mutter
ebenfalls unſinnig, ſpielt die naͤmliche Rolle zum
zweytenmale, und ſtirbt auf eine aͤhnliche Art.
Ich habe nie ein Stuͤck geſehn, wo, bey ſo vielen
Anlagen zur Ruͤhrung, ich ſo viel gelitten, ich
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[395/0401] uͤber das Intereſſirende. machen, daß die Haͤnde dem Moͤrder blutig er- ſcheinen. Aber es ſcheint mir weniger natuͤrlich, daß ein alter Mann, ein Koͤnig, durch die Un- dankbarkeit ſeiner Toͤchter koͤnne raſend gemacht werden. 3) Es muß mehr Schwaͤrmerey als Wahnwitz ſeyn. Raſerey oder Narrheit ſind nach meinem Gefuͤhl immer, jene ſchrecklich, dieſe laͤcherlich, und koͤnnen niemals anders als be- leidigen oder Verachtung erregen anſtatt zu ruͤh- ren. 4) Die Anfaͤlle muͤſſen nur kurz und ab- wechſelnd ſeyn. Scenen dieſer Art moͤgen noch ſo gut gearbeitet ſeyn, wenn ſie lange dauren, ſo werden ſie eckelhaft. In dem vorgedachten Stuͤcke, erſcheint eine Mutter gleich vom Anfan- ge an melankoliſch, hat wiederholte Anfaͤlle von Raſerey, und ſtirbt an den Folgen derſelben. Die Tochter wird nach dem Tode der Mutter ebenfalls unſinnig, ſpielt die naͤmliche Rolle zum zweytenmale, und ſtirbt auf eine aͤhnliche Art. Ich habe nie ein Stuͤck geſehn, wo, bey ſo vielen Anlagen zur Ruͤhrung, ich ſo viel gelitten, ich ſo aͤngſtlich gewuͤnſcht haͤtte, von der Quaal des

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/401>, abgerufen am 22.11.2024.