Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
über das Interessirende.
"ich ihnen Gutes gethan habe? -- Als wenn
"sie etwas von Dankbarkeit wüßten. -- Nein,
"sie werden mich nicht in ihre Schiffe aufnehmen;
"oder sollten sie, so werden sie mich als ihre
"Sklavinn behandeln. -- Und wie sollt' ich ge-
"hen? Allein, oder mit meinem Volke? O Schwe-
"ster, du bist an meinem Unglücke schuld! Warum
"blieb ich doch nicht meinem ersten Gemahle ge-
"treu? so hätt' ich nichts von diesen Qualen em-
"pfunden."

Diese Gedanken so einfältig, so ohne das
Feuer des Ausdrucks und der Poesie vorgetragen,
zeigen doch schon ihre Wahrheit, ihre Schicklich-
keit zu den Umständen. Was für Eindruck müs-
sen sie nicht alsdann machen, wenn sie in virgi-
lianische Verse eingekleidet sind?

Aeneas, durch eine neue Botschaft des Mer-
kurs aus dem Schlafe geweckt, segelt noch in die-
ser Nacht mit der größten Eile ab.

Dido sieht des Morgens aus ihrer Burg die
Ufer und den Hafen leer. Ihr Affekt kömmt aufs
Aeußerste.

D d 2
uͤber das Intereſſirende.
„ich ihnen Gutes gethan habe? — Als wenn
„ſie etwas von Dankbarkeit wuͤßten. — Nein,
„ſie werden mich nicht in ihre Schiffe aufnehmen;
„oder ſollten ſie, ſo werden ſie mich als ihre
„Sklavinn behandeln. — Und wie ſollt’ ich ge-
„hen? Allein, oder mit meinem Volke? O Schwe-
„ſter, du biſt an meinem Ungluͤcke ſchuld! Warum
„blieb ich doch nicht meinem erſten Gemahle ge-
„treu? ſo haͤtt’ ich nichts von dieſen Qualen em-
„pfunden.“

Dieſe Gedanken ſo einfaͤltig, ſo ohne das
Feuer des Ausdrucks und der Poeſie vorgetragen,
zeigen doch ſchon ihre Wahrheit, ihre Schicklich-
keit zu den Umſtaͤnden. Was fuͤr Eindruck muͤſ-
ſen ſie nicht alsdann machen, wenn ſie in virgi-
lianiſche Verſe eingekleidet ſind?

Aeneas, durch eine neue Botſchaft des Mer-
kurs aus dem Schlafe geweckt, ſegelt noch in die-
ſer Nacht mit der groͤßten Eile ab.

Dido ſieht des Morgens aus ihrer Burg die
Ufer und den Hafen leer. Ihr Affekt koͤmmt aufs
Aeußerſte.

D d 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <cit>
            <quote><pb facs="#f0425" n="419"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
&#x201E;ich ihnen Gutes gethan habe? &#x2014; Als wenn<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie etwas von Dankbarkeit wu&#x0364;ßten. &#x2014; Nein,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie werden mich nicht in ihre Schiffe aufnehmen;<lb/>
&#x201E;oder &#x017F;ollten &#x017F;ie, &#x017F;o werden &#x017F;ie mich als ihre<lb/>
&#x201E;Sklavinn behandeln. &#x2014; Und wie &#x017F;ollt&#x2019; ich ge-<lb/>
&#x201E;hen? Allein, oder mit meinem Volke? O Schwe-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ter, du bi&#x017F;t an meinem Unglu&#x0364;cke &#x017F;chuld! Warum<lb/>
&#x201E;blieb ich doch nicht meinem er&#x017F;ten Gemahle ge-<lb/>
&#x201E;treu? &#x017F;o ha&#x0364;tt&#x2019; ich nichts von die&#x017F;en Qualen em-<lb/>
&#x201E;pfunden.&#x201C;</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Gedanken &#x017F;o einfa&#x0364;ltig, &#x017F;o ohne das<lb/>
Feuer des Ausdrucks und der Poe&#x017F;ie vorgetragen,<lb/>
zeigen doch &#x017F;chon ihre Wahrheit, ihre Schicklich-<lb/>
keit zu den Um&#x017F;ta&#x0364;nden. Was fu&#x0364;r Eindruck mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ie nicht alsdann machen, wenn &#x017F;ie in virgi-<lb/>
liani&#x017F;che Ver&#x017F;e eingekleidet &#x017F;ind?</p><lb/>
          <p>Aeneas, durch eine neue Bot&#x017F;chaft des Mer-<lb/>
kurs aus dem Schlafe geweckt, &#x017F;egelt noch in die-<lb/>
&#x017F;er Nacht mit der gro&#x0364;ßten Eile ab.</p><lb/>
          <p>Dido &#x017F;ieht des Morgens aus ihrer Burg die<lb/>
Ufer und den Hafen leer. Ihr Affekt ko&#x0364;mmt aufs<lb/>
Aeußer&#x017F;te.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">D d 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0425] uͤber das Intereſſirende. „ich ihnen Gutes gethan habe? — Als wenn „ſie etwas von Dankbarkeit wuͤßten. — Nein, „ſie werden mich nicht in ihre Schiffe aufnehmen; „oder ſollten ſie, ſo werden ſie mich als ihre „Sklavinn behandeln. — Und wie ſollt’ ich ge- „hen? Allein, oder mit meinem Volke? O Schwe- „ſter, du biſt an meinem Ungluͤcke ſchuld! Warum „blieb ich doch nicht meinem erſten Gemahle ge- „treu? ſo haͤtt’ ich nichts von dieſen Qualen em- „pfunden.“ Dieſe Gedanken ſo einfaͤltig, ſo ohne das Feuer des Ausdrucks und der Poeſie vorgetragen, zeigen doch ſchon ihre Wahrheit, ihre Schicklich- keit zu den Umſtaͤnden. Was fuͤr Eindruck muͤſ- ſen ſie nicht alsdann machen, wenn ſie in virgi- lianiſche Verſe eingekleidet ſind? Aeneas, durch eine neue Botſchaft des Mer- kurs aus dem Schlafe geweckt, ſegelt noch in die- ſer Nacht mit der groͤßten Eile ab. Dido ſieht des Morgens aus ihrer Burg die Ufer und den Hafen leer. Ihr Affekt koͤmmt aufs Aeußerſte. D d 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/425
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/425>, abgerufen am 22.11.2024.