Die Zufälle, deren nicht viele seyn können, müs- sen sich mehr zusammendrängen; der Knoten muß also verwickelter werden, die Schlingen desselben durchkreuzen sich mehr.
Die Vollkommenheit liegt auch hier in der Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufälle zu sehr gehäuft, zu künstlich durch einander ver- schlungen werden, ist schwer zu fassen, wird un- wahrscheinlich, und verwirrt, anstatt zu interes- siren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede Ursache ihre gewöhnliche vorhergesehene Wirkung thut, und durch keine entgegenwirkende in dem Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr- heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie ein starkes Interesse, besonders in einem längern Werke, hervorbringen.
Die Einheit des Interesse, die alte und oft wiederholte Vorschrift der Kunstrichter, ist um zweyer Ursachen wegen nothwendig. Unsere Schwachheit ist die eine. Wir können nicht viel Sachen auf einmal fassen, wir können nicht an
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uͤber das Intereſſirende.
Die Zufaͤlle, deren nicht viele ſeyn koͤnnen, muͤſ- ſen ſich mehr zuſammendraͤngen; der Knoten muß alſo verwickelter werden, die Schlingen deſſelben durchkreuzen ſich mehr.
Die Vollkommenheit liegt auch hier in der Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufaͤlle zu ſehr gehaͤuft, zu kuͤnſtlich durch einander ver- ſchlungen werden, iſt ſchwer zu faſſen, wird un- wahrſcheinlich, und verwirrt, anſtatt zu intereſ- ſiren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede Urſache ihre gewoͤhnliche vorhergeſehene Wirkung thut, und durch keine entgegenwirkende in dem Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr- heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie ein ſtarkes Intereſſe, beſonders in einem laͤngern Werke, hervorbringen.
Die Einheit des Intereſſe, die alte und oft wiederholte Vorſchrift der Kunſtrichter, iſt um zweyer Urſachen wegen nothwendig. Unſere Schwachheit iſt die eine. Wir koͤnnen nicht viel Sachen auf einmal faſſen, wir koͤnnen nicht an
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uͤber das Intereſſirende.
Die Zufaͤlle, deren nicht viele ſeyn koͤnnen, muͤſ-
ſen ſich mehr zuſammendraͤngen; der Knoten muß
alſo verwickelter werden, die Schlingen deſſelben
durchkreuzen ſich mehr.
Die Vollkommenheit liegt auch hier in der
Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufaͤlle zu
ſehr gehaͤuft, zu kuͤnſtlich durch einander ver-
ſchlungen werden, iſt ſchwer zu faſſen, wird un-
wahrſcheinlich, und verwirrt, anſtatt zu intereſ-
ſiren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede
Urſache ihre gewoͤhnliche vorhergeſehene Wirkung
thut, und durch keine entgegenwirkende in dem
Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar
durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr-
heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie
ein ſtarkes Intereſſe, beſonders in einem laͤngern
Werke, hervorbringen.
Die Einheit des Intereſſe, die alte und oft
wiederholte Vorſchrift der Kunſtrichter, iſt um
zweyer Urſachen wegen nothwendig. Unſere
Schwachheit iſt die eine. Wir koͤnnen nicht viel
Sachen auf einmal faſſen, wir koͤnnen nicht an
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/439>, abgerufen am 22.11.2024.
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