Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
Die Zufälle, deren nicht viele seyn können, müs-
sen sich mehr zusammendrängen; der Knoten muß
also verwickelter werden, die Schlingen desselben
durchkreuzen sich mehr.

Die Vollkommenheit liegt auch hier in der
Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufälle zu
sehr gehäuft, zu künstlich durch einander ver-
schlungen werden, ist schwer zu fassen, wird un-
wahrscheinlich, und verwirrt, anstatt zu interes-
siren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede
Ursache ihre gewöhnliche vorhergesehene Wirkung
thut, und durch keine entgegenwirkende in dem
Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar
durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr-
heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie
ein starkes Interesse, besonders in einem längern
Werke, hervorbringen.

Die Einheit des Interesse, die alte und oft
wiederholte Vorschrift der Kunstrichter, ist um
zweyer Ursachen wegen nothwendig. Unsere
Schwachheit ist die eine. Wir können nicht viel
Sachen auf einmal fassen, wir können nicht an

E e

uͤber das Intereſſirende.
Die Zufaͤlle, deren nicht viele ſeyn koͤnnen, muͤſ-
ſen ſich mehr zuſammendraͤngen; der Knoten muß
alſo verwickelter werden, die Schlingen deſſelben
durchkreuzen ſich mehr.

Die Vollkommenheit liegt auch hier in der
Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufaͤlle zu
ſehr gehaͤuft, zu kuͤnſtlich durch einander ver-
ſchlungen werden, iſt ſchwer zu faſſen, wird un-
wahrſcheinlich, und verwirrt, anſtatt zu intereſ-
ſiren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede
Urſache ihre gewoͤhnliche vorhergeſehene Wirkung
thut, und durch keine entgegenwirkende in dem
Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar
durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr-
heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie
ein ſtarkes Intereſſe, beſonders in einem laͤngern
Werke, hervorbringen.

Die Einheit des Intereſſe, die alte und oft
wiederholte Vorſchrift der Kunſtrichter, iſt um
zweyer Urſachen wegen nothwendig. Unſere
Schwachheit iſt die eine. Wir koͤnnen nicht viel
Sachen auf einmal faſſen, wir koͤnnen nicht an

E e
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0439" n="433"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
Die Zufa&#x0364;lle, deren nicht viele &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ich mehr zu&#x017F;ammendra&#x0364;ngen; der Knoten muß<lb/>
al&#x017F;o verwickelter werden, die Schlingen de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
durchkreuzen &#x017F;ich mehr.</p><lb/>
          <p>Die Vollkommenheit liegt auch hier in der<lb/>
Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufa&#x0364;lle zu<lb/>
&#x017F;ehr geha&#x0364;uft, zu ku&#x0364;n&#x017F;tlich durch einander ver-<lb/>
&#x017F;chlungen werden, i&#x017F;t &#x017F;chwer zu fa&#x017F;&#x017F;en, wird un-<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich, und verwirrt, an&#x017F;tatt zu intere&#x017F;-<lb/>
&#x017F;iren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede<lb/>
Ur&#x017F;ache ihre gewo&#x0364;hnliche vorherge&#x017F;ehene Wirkung<lb/>
thut, und durch keine entgegenwirkende in dem<lb/>
Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar<lb/>
durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr-<lb/>
heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie<lb/>
ein &#x017F;tarkes Intere&#x017F;&#x017F;e, be&#x017F;onders in einem la&#x0364;ngern<lb/>
Werke, hervorbringen.</p><lb/>
          <p>Die Einheit des Intere&#x017F;&#x017F;e, die alte und oft<lb/>
wiederholte Vor&#x017F;chrift der Kun&#x017F;trichter, i&#x017F;t um<lb/>
zweyer Ur&#x017F;achen wegen nothwendig. Un&#x017F;ere<lb/>
Schwachheit i&#x017F;t die eine. Wir ko&#x0364;nnen nicht viel<lb/>
Sachen auf einmal fa&#x017F;&#x017F;en, wir ko&#x0364;nnen nicht an<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0439] uͤber das Intereſſirende. Die Zufaͤlle, deren nicht viele ſeyn koͤnnen, muͤſ- ſen ſich mehr zuſammendraͤngen; der Knoten muß alſo verwickelter werden, die Schlingen deſſelben durchkreuzen ſich mehr. Die Vollkommenheit liegt auch hier in der Mitte. Eine Verwickelung, wo die Zufaͤlle zu ſehr gehaͤuft, zu kuͤnſtlich durch einander ver- ſchlungen werden, iſt ſchwer zu faſſen, wird un- wahrſcheinlich, und verwirrt, anſtatt zu intereſ- ſiren. Eine allzueinfache Handlung, wo jede Urſache ihre gewoͤhnliche vorhergeſehene Wirkung thut, und durch keine entgegenwirkende in dem Laufe ihrer Erfolge aufgehalten wird, kann zwar durch das Sittliche der Charaktere und die Wahr- heit des Dialogs belebt werden, aber doch nie ein ſtarkes Intereſſe, beſonders in einem laͤngern Werke, hervorbringen. Die Einheit des Intereſſe, die alte und oft wiederholte Vorſchrift der Kunſtrichter, iſt um zweyer Urſachen wegen nothwendig. Unſere Schwachheit iſt die eine. Wir koͤnnen nicht viel Sachen auf einmal faſſen, wir koͤnnen nicht an E e

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/439
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/439>, abgerufen am 22.11.2024.