fremden Litteratur auf die unsrige noch etwas genauer rede, und zwar besonders, insofern er sich auf die Sprache erstreckt hat.
Eine sich bildende Sprache nimmt von einer andern entweder einzelne Wörter, oder Wendun- gen, oder eine gewisse allgemeine Farbe an, die sich eher empfinden, als deutlich erklären läßt. Einzelne Wörter kann eine Sprache, wie die un- srige, eigentlich von keiner fremden borgen, die gar nicht mit ihr verwandt ist, die ihren Wör- tern ganz andre Endungen giebt, sie mit ganz andern Tönen ausspricht, sie nach ganz andern Gesetzen abändert. Und doch hat sie dergleichen nicht wenige aus der französischen und englischen herübergenommen; oft, weil sie wirklich zu arm war, noch öfter aber, weil die Schriftsteller ih- ren ganzen Reichthum nicht kannten, oder aus Trägheit nicht erst lange durchsuchen wollten. Armuth ist es in einem doppelten Falle: einmal, wenn für die Sachen, die wir sagen wollen, ganz und gar keine Wörter in der Sprache vor- handen sind, entweder weil die Sache bey der
Ueber den Einfluß einiger
fremden Litteratur auf die unſrige noch etwas genauer rede, und zwar beſonders, inſofern er ſich auf die Sprache erſtreckt hat.
Eine ſich bildende Sprache nimmt von einer andern entweder einzelne Woͤrter, oder Wendun- gen, oder eine gewiſſe allgemeine Farbe an, die ſich eher empfinden, als deutlich erklaͤren laͤßt. Einzelne Woͤrter kann eine Sprache, wie die un- ſrige, eigentlich von keiner fremden borgen, die gar nicht mit ihr verwandt iſt, die ihren Woͤr- tern ganz andre Endungen giebt, ſie mit ganz andern Toͤnen ausſpricht, ſie nach ganz andern Geſetzen abaͤndert. Und doch hat ſie dergleichen nicht wenige aus der franzoͤſiſchen und engliſchen heruͤbergenommen; oft, weil ſie wirklich zu arm war, noch oͤfter aber, weil die Schriftſteller ih- ren ganzen Reichthum nicht kannten, oder aus Traͤgheit nicht erſt lange durchſuchen wollten. Armuth iſt es in einem doppelten Falle: einmal, wenn fuͤr die Sachen, die wir ſagen wollen, ganz und gar keine Woͤrter in der Sprache vor- handen ſind, entweder weil die Sache bey der
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Ueber den Einfluß einiger
fremden Litteratur auf die unſrige noch etwas
genauer rede, und zwar beſonders, inſofern er
ſich auf die Sprache erſtreckt hat.
Eine ſich bildende Sprache nimmt von einer
andern entweder einzelne Woͤrter, oder Wendun-
gen, oder eine gewiſſe allgemeine Farbe an, die
ſich eher empfinden, als deutlich erklaͤren laͤßt.
Einzelne Woͤrter kann eine Sprache, wie die un-
ſrige, eigentlich von keiner fremden borgen, die
gar nicht mit ihr verwandt iſt, die ihren Woͤr-
tern ganz andre Endungen giebt, ſie mit ganz
andern Toͤnen ausſpricht, ſie nach ganz andern
Geſetzen abaͤndert. Und doch hat ſie dergleichen
nicht wenige aus der franzoͤſiſchen und engliſchen
heruͤbergenommen; oft, weil ſie wirklich zu arm
war, noch oͤfter aber, weil die Schriftſteller ih-
ren ganzen Reichthum nicht kannten, oder aus
Traͤgheit nicht erſt lange durchſuchen wollten.
Armuth iſt es in einem doppelten Falle: einmal,
wenn fuͤr die Sachen, die wir ſagen wollen,
ganz und gar keine Woͤrter in der Sprache vor-
handen ſind, entweder weil die Sache bey der
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/458>, abgerufen am 23.11.2024.
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