Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.Diejenigen, welche den ersten Theilen der Materie die Ausdehnung absprechen, machen sich freylich hievon, so wie von der Materie überhaupt, andere Begriffe, s. Materie. Untersuchungen hierüber gehören mehr für den Metaphysiker, als für den Naturforscher, und gehen allem Vermuthen nach weiter, als der Schöpfer dem Menschen hier zu sehen vergönnt hat; man täuscht sich dabey mit dem Wahn, etwas zu wissen, welchem der weisere und bescheidnere Naturforscher ein offenherziges Geständniß der Unwissenheit weit vorziehet. Attraction, Anziehung, Attractio, Attraction. Das Phänomen der Körperwelt, da Körper sich einander nähern, oder, wenn sie aufgehalten werden, sich zu nähern streben, da sie nach der Berührung an einander bleiben, oder doch der Trennung widerstehen, ohne daß man eine äußere in die Sinne fallende Ursache davon, einen Druck, Stoß u. dergl. gewahr wird. So fällt ein freygelassener Körper senkrecht auf die Erdfläche nieder, nähert sich der Masse der Erde, oder äußert doch, wenn man ihn daran hindert, sein Bestreben zu fallen, durch sein Gewicht, durch Druck auf das, was ihn trägt; so fließen zween einander berührende Wassertropfen in Einen zusammen u. s. w. ohne daß man eine äußere Ursache davon bemerkte; die Erfahrung zeigt uns, daß es geschehe, belehrt uns aber gar nicht darüber, warum es geschehe. Wie weit sich dieses Phänomen erstrecke, läst sich aus folgenden Beyspielen übersehen. Die Theile aller festen Körper hängen zusammen, und widerstehen der Trennung; auch die Theile der flüßigen lassen sich nicht ohne Widerstand trennen, und vereinigen sich in Tropfen; flüssige Körper hängen sich an feste, die sie benetzen; polirte Marmorflächen oder Spiegeltafeln hängen bey der Berührung, auch bey dazwischen liegenden feinen Haaren oder Seidenfäden, zusammen; das Licht beugt sich beym Vorübergange beym Rande der Körper vom geraden Wege ab; jeder Körper nähert sich freygelassen der Erde, oder fällt gegen dieselbe; der sonst senkrecht gedehnte Bleywurf Diejenigen, welche den erſten Theilen der Materie die Ausdehnung abſprechen, machen ſich freylich hievon, ſo wie von der Materie uͤberhaupt, andere Begriffe, ſ. Materie. Unterſuchungen hieruͤber gehoͤren mehr fuͤr den Metaphyſiker, als fuͤr den Naturforſcher, und gehen allem Vermuthen nach weiter, als der Schoͤpfer dem Menſchen hier zu ſehen vergoͤnnt hat; man taͤuſcht ſich dabey mit dem Wahn, etwas zu wiſſen, welchem der weiſere und beſcheidnere Naturforſcher ein offenherziges Geſtaͤndniß der Unwiſſenheit weit vorziehet. Attraction, Anziehung, Attractio, Attraction. Das Phaͤnomen der Koͤrperwelt, da Koͤrper ſich einander naͤhern, oder, wenn ſie aufgehalten werden, ſich zu naͤhern ſtreben, da ſie nach der Beruͤhrung an einander bleiben, oder doch der Trennung widerſtehen, ohne daß man eine aͤußere in die Sinne fallende Urſache davon, einen Druck, Stoß u. dergl. gewahr wird. So faͤllt ein freygelaſſener Koͤrper ſenkrecht auf die Erdflaͤche nieder, naͤhert ſich der Maſſe der Erde, oder aͤußert doch, wenn man ihn daran hindert, ſein Beſtreben zu fallen, durch ſein Gewicht, durch Druck auf das, was ihn traͤgt; ſo fließen zween einander beruͤhrende Waſſertropfen in Einen zuſammen u. ſ. w. ohne daß man eine aͤußere Urſache davon bemerkte; die Erfahrung zeigt uns, daß es geſchehe, belehrt uns aber gar nicht daruͤber, warum es geſchehe. Wie weit ſich dieſes Phaͤnomen erſtrecke, laͤſt ſich aus folgenden Beyſpielen uͤberſehen. Die Theile aller feſten Koͤrper haͤngen zuſammen, und widerſtehen der Trennung; auch die Theile der fluͤßigen laſſen ſich nicht ohne Widerſtand trennen, und vereinigen ſich in Tropfen; fluͤſſige Koͤrper haͤngen ſich an feſte, die ſie benetzen; polirte Marmorflaͤchen oder Spiegeltafeln haͤngen bey der Beruͤhrung, auch bey dazwiſchen liegenden feinen Haaren oder Seidenfaͤden, zuſammen; das Licht beugt ſich beym Voruͤbergange beym Rande der Koͤrper vom geraden Wege ab; jeder Koͤrper naͤhert ſich freygelaſſen der Erde, oder faͤllt gegen dieſelbe; der ſonſt ſenkrecht gedehnte Bleywurf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p> <pb facs="#f0179" xml:id="P.1.165" n="165"/><lb/> </p> <p>Diejenigen, welche den erſten Theilen der Materie die Ausdehnung abſprechen, machen ſich freylich hievon, ſo wie von der Materie uͤberhaupt, andere Begriffe, <hi rendition="#b">ſ. 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Attraction, Anziehung, Attractio, Attraction.
Das Phaͤnomen der Koͤrperwelt, da Koͤrper ſich einander naͤhern, oder, wenn ſie aufgehalten werden, ſich zu naͤhern ſtreben, da ſie nach der Beruͤhrung an einander bleiben, oder doch der Trennung widerſtehen, ohne daß man eine aͤußere in die Sinne fallende Urſache davon, einen Druck, Stoß u. dergl. gewahr wird. So faͤllt ein freygelaſſener Koͤrper ſenkrecht auf die Erdflaͤche nieder, naͤhert ſich der Maſſe der Erde, oder aͤußert doch, wenn man ihn daran hindert, ſein Beſtreben zu fallen, durch ſein Gewicht, durch Druck auf das, was ihn traͤgt; ſo fließen zween einander beruͤhrende Waſſertropfen in Einen zuſammen u. ſ. w. ohne daß man eine aͤußere Urſache davon bemerkte; die Erfahrung zeigt uns, daß es geſchehe, belehrt uns aber gar nicht daruͤber, warum es geſchehe.
Wie weit ſich dieſes Phaͤnomen erſtrecke, laͤſt ſich aus folgenden Beyſpielen uͤberſehen. Die Theile aller feſten Koͤrper haͤngen zuſammen, und widerſtehen der Trennung; auch die Theile der fluͤßigen laſſen ſich nicht ohne Widerſtand trennen, und vereinigen ſich in Tropfen; fluͤſſige Koͤrper haͤngen ſich an feſte, die ſie benetzen; polirte Marmorflaͤchen oder Spiegeltafeln haͤngen bey der Beruͤhrung, auch bey dazwiſchen liegenden feinen Haaren oder Seidenfaͤden, zuſammen; das Licht beugt ſich beym Voruͤbergange beym Rande der Koͤrper vom geraden Wege ab; jeder Koͤrper naͤhert ſich freygelaſſen der Erde, oder faͤllt gegen dieſelbe; der ſonſt ſenkrecht gedehnte Bleywurf
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