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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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Worinn aber dieses Vermögen des menschlichen Auges, seine Einrichtung für nähere und entferntere Gegenstände zu ändern, eigentlich bestehe, darüber sind die Meinungen sehr getheilt. Kepler (Dioptr. prop. 64.) glaubte, wenn man nahe Gegenstände betrachte, so mache der Stralenkörper (corpus ciliare) durch seine Zusammenziehung das Auge länger, indem er die gläserne Feuchtigkeit drücke, welche daher die Krystallinse vorwärts treibe, und weiter von der Netzhaut entferne. Diese Meinung hat Porterfield (Treatise on the eye. Edinb. 1759. II. Vol. 8.) mehr ausgeschmückt, und behauptet, im natürlichen Zustande sey der Stralenkörper schlaff und das Auge kürzer, daher man entfernte Gegenstände ohne Anstrengung betrachten könne; nahe Gegenstände deutlich zu sehen, müsse der Stralenkörper zu Verlängerung des Auges wirken, daher es durch diese Anstrengung ermüde. Scheiner und Descartes (Dioptr. c. 3.) nahmen an, durch die Zusammenziehung des Stralenkörpers werde vielmehr die Gestalt der Krystallinse selbst convexer; und überhaupt, sagt der letztere, wird die Figur des Auges, ja sogar eines Theils vom Gehirn verändert, wodurch die Seele die Entfernungen zu schätzen weiß. Dieser Meinung, in so fern sie die Krystallinse betrift, ist Iurins Hypothese (vom deutl. Sehen im Smith nach Kästner S. 497.) gerade entgegengesetzt. Er meint, für entlegnere Sachen zögen sich die Stralenfasern zusammen, und brächten die vordere Seite der Kapsel der Krystallinse etwas vorwärts und auswärts, dadurch fließe das Wasser in der Kapsel von der Mitte nach dem erhabnen Theile hin, die wässerichte Feuchtigkeit aber von dem erhabnen Theile der Kapsel nach der Mitte, und die Vorderfläche der Linse werde weniger convex. Für nähere Gegenstände wirke ein Muskelring an der Iris, der die Hornhaut erhabner mache. Pemberton glaubt, die Krystallinse selbst sey mit muskulösen Fibern versehen, welche ihren Flächen die für die Entfernung der Gegenstände gehörige Krümmung gäben. Musschenbroeck (Introd. ad philos.


Worinn aber dieſes Vermoͤgen des menſchlichen Auges, ſeine Einrichtung fuͤr naͤhere und entferntere Gegenſtaͤnde zu aͤndern, eigentlich beſtehe, daruͤber ſind die Meinungen ſehr getheilt. Kepler (Dioptr. prop. 64.) glaubte, wenn man nahe Gegenſtaͤnde betrachte, ſo mache der Stralenkoͤrper (corpus ciliare) durch ſeine Zuſammenziehung das Auge laͤnger, indem er die glaͤſerne Feuchtigkeit druͤcke, welche daher die Kryſtallinſe vorwaͤrts treibe, und weiter von der Netzhaut entferne. Dieſe Meinung hat Porterfield (Treatiſe on the eye. Edinb. 1759. II. Vol. 8.) mehr ausgeſchmuͤckt, und behauptet, im natuͤrlichen Zuſtande ſey der Stralenkoͤrper ſchlaff und das Auge kuͤrzer, daher man entfernte Gegenſtaͤnde ohne Anſtrengung betrachten koͤnne; nahe Gegenſtaͤnde deutlich zu ſehen, muͤſſe der Stralenkoͤrper zu Verlaͤngerung des Auges wirken, daher es durch dieſe Anſtrengung ermuͤde. Scheiner und Descartes (Dioptr. c. 3.) nahmen an, durch die Zuſammenziehung des Stralenkoͤrpers werde vielmehr die Geſtalt der Kryſtallinſe ſelbſt convexer; und uͤberhaupt, ſagt der letztere, wird die Figur des Auges, ja ſogar eines Theils vom Gehirn veraͤndert, wodurch die Seele die Entfernungen zu ſchaͤtzen weiß. Dieſer Meinung, in ſo fern ſie die Kryſtallinſe betrift, iſt Iurins Hypotheſe (vom deutl. Sehen im Smith nach Kaͤſtner S. 497.) gerade entgegengeſetzt. Er meint, fuͤr entlegnere Sachen zoͤgen ſich die Stralenfaſern zuſammen, und braͤchten die vordere Seite der Kapſel der Kryſtallinſe etwas vorwaͤrts und auswaͤrts, dadurch fließe das Waſſer in der Kapſel von der Mitte nach dem erhabnen Theile hin, die waͤſſerichte Feuchtigkeit aber von dem erhabnen Theile der Kapſel nach der Mitte, und die Vorderflaͤche der Linſe werde weniger convex. Fuͤr naͤhere Gegenſtaͤnde wirke ein Muskelring an der Iris, der die Hornhaut erhabner mache. Pemberton glaubt, die Kryſtallinſe ſelbſt ſey mit muskuloͤſen Fibern verſehen, welche ihren Flaͤchen die fuͤr die Entfernung der Gegenſtaͤnde gehoͤrige Kruͤmmung gaͤben. Muſſchenbroeck (Introd. ad philoſ.

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[197/0211] Worinn aber dieſes Vermoͤgen des menſchlichen Auges, ſeine Einrichtung fuͤr naͤhere und entferntere Gegenſtaͤnde zu aͤndern, eigentlich beſtehe, daruͤber ſind die Meinungen ſehr getheilt. Kepler (Dioptr. prop. 64.) glaubte, wenn man nahe Gegenſtaͤnde betrachte, ſo mache der Stralenkoͤrper (corpus ciliare) durch ſeine Zuſammenziehung das Auge laͤnger, indem er die glaͤſerne Feuchtigkeit druͤcke, welche daher die Kryſtallinſe vorwaͤrts treibe, und weiter von der Netzhaut entferne. Dieſe Meinung hat Porterfield (Treatiſe on the eye. Edinb. 1759. II. Vol. 8.) mehr ausgeſchmuͤckt, und behauptet, im natuͤrlichen Zuſtande ſey der Stralenkoͤrper ſchlaff und das Auge kuͤrzer, daher man entfernte Gegenſtaͤnde ohne Anſtrengung betrachten koͤnne; nahe Gegenſtaͤnde deutlich zu ſehen, muͤſſe der Stralenkoͤrper zu Verlaͤngerung des Auges wirken, daher es durch dieſe Anſtrengung ermuͤde. Scheiner und Descartes (Dioptr. c. 3.) nahmen an, durch die Zuſammenziehung des Stralenkoͤrpers werde vielmehr die Geſtalt der Kryſtallinſe ſelbſt convexer; und uͤberhaupt, ſagt der letztere, wird die Figur des Auges, ja ſogar eines Theils vom Gehirn veraͤndert, wodurch die Seele die Entfernungen zu ſchaͤtzen weiß. Dieſer Meinung, in ſo fern ſie die Kryſtallinſe betrift, iſt Iurins Hypotheſe (vom deutl. Sehen im Smith nach Kaͤſtner S. 497.) gerade entgegengeſetzt. Er meint, fuͤr entlegnere Sachen zoͤgen ſich die Stralenfaſern zuſammen, und braͤchten die vordere Seite der Kapſel der Kryſtallinſe etwas vorwaͤrts und auswaͤrts, dadurch fließe das Waſſer in der Kapſel von der Mitte nach dem erhabnen Theile hin, die waͤſſerichte Feuchtigkeit aber von dem erhabnen Theile der Kapſel nach der Mitte, und die Vorderflaͤche der Linſe werde weniger convex. Fuͤr naͤhere Gegenſtaͤnde wirke ein Muskelring an der Iris, der die Hornhaut erhabner mache. Pemberton glaubt, die Kryſtallinſe ſelbſt ſey mit muskuloͤſen Fibern verſehen, welche ihren Flaͤchen die fuͤr die Entfernung der Gegenſtaͤnde gehoͤrige Kruͤmmung gaͤben. Muſſchenbroeck (Introd. ad philoſ.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/211>, abgerufen am 24.11.2024.